Das Geheimnis von Zeitreisen

von Mr Creosote (30.07.2011)

In Literatur und Film ist Zeitreise ein beliebtes Motiv, da es sehr viele Möglichkeiten eröffnet. Allerdings befasst sich nur ein Teil aller Zeitreisegeschichten tatsächlich mit der „Wissenschaft“ der Zeitreisen.

Zeitreise als Vorwand für eine Abenteuergeschichte

Im klassischen Science-Fiction-Genre werden Zeitreisen meist nur als Initialzündung für eine Abenteuergeschichte verwendet. Buck Rogers ist dafür ein gutes Beispiel: Ein Pilot aus dem 20. Jahrhundert wird versehentlich eingefrohren und wacht 500 Jahre später in einer ihm fremden Welt auf. Ein originäres Konzept nach diesem Motto in der Computerwelt ist Space-Pilot. In diesem Spiel fliegt der Spieler in einem zeitreisenden Jet umher. D.h. praktisch, dass jedes Level eine andere historische oder futuristische Ära darstellt, der Zeitreiseaspekt also für Abwechslung sorgen soll.

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Eine eierförmige Zeitmaschine

Was Spiele angeht, die stärker erzählerisch geprägt sind, ist hier Universe zu nennen. Ein Teenager benutzt die Erfindung seines Onkels, um in ein futuristisches Universum zu reisen. Hier muss er...

a) ...überleben.

b) ...sich in dieser Welt mit all der unbekannten Technik zurechtfinden.

c) ...dabei helfen, einen bösen Diktator zu stürzen.

Leider ist Universe spielerisch nicht viel origineller als sein Plot. Diesbezüglich kann im direkten Vergleich Victor Loomes glänzen: In diesem Spiel will ein Privatdetektiv der 1930er Jahre einer Nachtclubsängerin helfen... indem er ihr Geld in den 1990er Jahren anlegt, wozu er mit H.G. Wells' Zeitmaschine dorthin reist. Nicht schlecht für ein kostenloses Werbespiel, auch wenn die Geschichte natürlich keinerlei Sinn ergibt.

Zeitreisetheorie

Interessanter wird es, wenn Zeitreisen nicht nur zur Erklärung der weiteren Handlung benutzt, sondern direkt spielerisch eingebunden werden. Die aus Film und Literatur bekannten Unterarten des Genres sind im Bereich der Spiele ebenfalls zu finden.

Zeitmanipulation

Korrektur

Ein typisches Subgenre besteht darin, dass ein Bösewicht die Geschichte verändert, indem er in die Vergangenheit reist, dort etwas beeinflusst/verändert und damit die Gegenwart ändert (die ja aus der Sicht der Zeit, in der er herumgepfuscht hat, die Zukunft ist). Der Protagonist muss in der Rolle eines „Zeitpolizisten“ die Dinge wieder geraderücken. Ilyad handelt genau davon: Jemand hat futuristische Raumschiffe in mehrere historische Epochen eingeschleust, der Spieler springt ebenfalls zurück, um sie dort wieder vom Himmel zu holen.

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Game Over

Timequest ist diesbezüglich deutlich ausgefeilter: Der Bösewicht des Spiels hat subtile Änderungen an zahlreichen historischen Zeitpunkten vorgenommen, die allesamt korrigiert werden müssen. Versagt der Spieler, endet das Spiel in einer alternativen Zukunft – die dann üblicherweise deutlich unerstrebenswert ist. Doch es geht in Timequest nicht nur um Zeitreise; sie wird auch spielerisch für viele Rätsel benutzt. Man braucht ein bestimmtes Objekt, kann es aber nicht auftreiben? Vielleicht ist es ja zu einer anderen Zeit verfügbar. Allerdings muss man sich immer bewusst sein, dass die eigenen Aktivitäten ebenfalls die Geschichte ändern können.

Aktive Änderung

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Die originale US-amerikanische Flagge wird genäht – was würde wohl passieren, wenn man da seinen eigenen Entwurf einschleust?

Diese Fähigkeit eines zeitreisenden Protagonisten, die Geschichte zu ändern, kann jedoch auch als positiver Spielinhalt benutzt werden. Day of the Tentacle baut auf dieser Idee auf: Jeder der drei Protagonisten befindet sich in einer anderen Zeit; eine davon in einer Zukunft, in der die Menschheit von tyrannischen Tentakeln versklavt wurde. Wie kann diese Zukunft verhindert werden? Anscheinend dadurch, in der Vergangenheit Bäume zu fällen, einen Hamster in die Tiefkühltruhe zu stecken und einen Pullover 200 Jahre lang in der Waschmaschine zu lassen. Sehr originelle Rätsel entstehen organisch aus der Zeitreiseproblematik – sofern man diese als realistisch gegeben zu akzeptieren bereit ist.

Discworld nutzt ähnliche Zeitmechanik wie Day of the Tentacle in geringerem Umfang. Leider geht die Logik dabei jedoch teilweise flöten: Wie soll man wohl erahnen, dass sich das Spiel scherzhaft auf den Schmetterlingseffekt beziehen möchte, also das Freilassen eines Schmetterlings am Vorabend das gesamte „heutige“ Wetter ändert? Doch abgesehen von der logischen Erschließbarkeit ist auch dies ein gutes Beispiel dafür, Zeitreisegesetze spielerisch einzubeziehen.

Meistens beginnen Zeitreisen mit dem Ziel, die Geschichte zu verändern, aus der Perspektive der Gegenwart; d.h. Jemand reist in die Vergangenheit, um einen unerwünschten Zustand der Gegenwart zu ändern. Kampf um Trubelland geht den umgekehrten Weg: Ein Mädchen aus der Zukunft bittet den Protagonisten der Gegenwart per Zeittelefon um Hilfe. Ihre düstere Zukunft soll geändert werden, was der Spieler aus der Gegenwart unterstützen soll. Leider geschieht dies jedoch im Rahmen eines der schlechtesten Spiele aller Zeiten.

Den peinlichsten Zeitreiseauswuchs findet man jedoch in The Dig. Mehrere Teilnehmer der Expedition sind umgekommen, die gesamte Welt steht praktisch vor dem Abgrund – also reist man einfach ein paar Stunden zurück in der Zeit und damit ist alles wieder in Ordnung. Zeitreise wird hier also nur missbraucht, um ein möglichst kitschiges „Happy End“ zu erlangen.

Vorbestimmung

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Eine zweite Version des eigenen Alter Egos wird im nächsten Moment auftauchen und einen retten

Zeitreisen sind natürlich nicht immer so einfach. Prisoner of Ice zeigt ein typisches Paradox zirkulärer Logik, die man niemals entwirren kann, sobald man freie Bewegung durch die Zeit in kausale Zusammenhänge mit einbezieht. In einer bestimmten Szene wird der Protagonist mit einer Waffe bedroht – es scheint keinen Ausweg aus der Situation zu geben. Aus dem Nichts erscheint der Protagonist nochmals, erschießt den Bösewicht mit einem futuristischen Strahlengewehr und verschwindet wieder.

Sehr mysteriös, und später findet sich der Spieler nochmal in der gleichen Situation wieder; nur diesmal aus der Perspektive seines anderen Ichs, d.h. er muss sich selbst retten. Das logische Problem: Wäre der Protagonist in dieser Szene erschossen worden, wäre er später nicht mehr am Leben gewesen, um in der Zeit zurückzureisen, um sich selbst zu retten. Wo kam er also her? Die Existenz seiner späteren Inkarnation (als „Retter“) hängt von seinen eigenen erst später getroffenen Handlungen ab.

Selbsterzeugung

Ein weiteres typisches Zeitreiseparadox befasst sich mit den Wurzeln von Objekten: Dadurch, dass Objekte von Zeitreisenden mitgenommen werden, kann ebenfalls zu zirkulären kausalen Zusammenhängen führen. Das Hauptziel in Snackzone ist es, das verlorene/gestohlene „Bi-Fi Produktionsgeheimnis“ wiederzubeschaffen. Das geschieht mittels Zeitreise, jedoch bewegt sich der Spieler ironischerweise nicht in der Zeit zurück (zu einem Zeitpunkt, als das Geheimnis noch nicht verloren war), sondern in die Zukunft, wo das Geheimnis in einem Museum zu finden ist. Hier schnappt er es sich und bringt es zurück in seine Gegenwart.

Wie ist das Geheimnis jedoch jemals in das Museum der Zukunft gekommen, wenn es bereits in Gegenwart verschollen war? Die einzige mögliche Erklärung ist, dass das Wissen um das Produktionsgeheimnis deshalb in der Zukunft wieder vorhanden ist, weil es aus jener Zukunft wieder in die Gegenwart gebracht wurde. Es ist also ein Henne-und-Ei-Problem: Das Produktionsgeheimnis in der Zukunft lässt sich direkt darauf zurückführen, dass der Zeitreisende es dort stehlen wird, um es mit sich in die relative Vergangenheit zu nehmen.

Fazit

Zeitreisegeschichten können sehr spannend sein; doch nicht nur Geschichten können von ihr profitieren, sondern auch Spielprinzipien – sofern eine gewisse immanente Logik beachtet wird. Natürlich kann nicht alles erklärt werden, wenn man sich an ein fiktionales Thema wie Zeitreise heranwagt. Die „Regeln“, nach denen Zeitreisen in einem bestimmten Spiel möglich sind, müssen jedoch erklärt und daraufhin auch durchgehalten/befolgt werden.

Am anderen Ende des Spektrums haben Spiele, die Zeitreise nur als reinen Anlass verwenden, diese Logik- und Konsistenzprobleme nicht. Allerdings können sie ebensowenig die positiven Seiten des Themas für sich beanspruchen; all die potentiell spannenden und interessanten Gedankenmodelle spielen dann keine Rolle – also sollte in jenen Fällen besser einiges auf der rein spielerischen Ebene geboten werden.

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