Transarctica
für Amiga

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Mr Creosote:
Weitere Titel: Arctic Baron
Firma: Silmarils
Jahr: 1993
Genre: Strategie
Thema: Apokalypse / Geschäftswelt / Science Fiction / Krieg / Logistik
Sprache: Français, English, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 14393
Rezension von Mr Creosote (20.12.2014)
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Der Winter ist in unseren Breitengeraden ja eine recht beliebte Jahreszeit. Erwachsene assoziieren damit häufig kitschige Vorstellungen davon, wie die ganze glückliche Familie vor dem warm flackernden Kamin sitzt oder sie denken an romantische Pferdeschlittenfahrten. Kinder träumen davon, Schneemänner zu bauen und sich Schneeballschlachten zu liefern. Winter ist dabei gleichzeitig Weihnachtszeit, und dadurch kommen weitere schmalzige Vorstellungen von Liebe und Frieden auf der ganzen Welt hinzu. Und natürlich Geschenke! Doch möchte man wirklich in einem permanenten Winter leben? Eher nicht.

In der Fiktion werden semi-realistische Szenarien dankbar verwurstet und so nimmt sich Transarctica einem solchen an: Eine Gruppe Wissenschaftler versuchte, den Treibhauseffekt mittels zweier Atombomben aufzuhalten. Die kontrollierten Explosionen an den Polen sollte soviel Staub und Dampf in die Atmosphäre pusten, dass einiges Sonnenlicht reflektiert würde. Doch die Berechnungen gingen schief; das Experiment funktionierte zu gut. Da das Sonnenlicht nur vollständig ausgesperrt war, befand sich die Erde von da an in einem permanenten nuklearen Winter. Kein so erstrebenswertes Szenario – denn eigentlich mögen wir doch am Winter dasjenige warme Gefühl am meisten, zu wissen, dass er auch bald wieder enden wird.

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Nicht die winterliche Idealvorstellung

Legt man jetzt mal die wissenschaftlichen Implausibilitäten (Säugetiere können ohne ein Mindesmaß an Sonnenlicht nicht überleben) sowie die offensichtlich inneren Widersprüche im Plotfortgang (die evtl. dadurch zu erklären sind, dass man anscheinend versucht hat, das Material einer ganzen Reihe dicker Romane in ein einziges Spiel zu stopfen) beiseite, ist das interessanteste an dieser Ausgangssituation die Rolle des Spielers. Jener ist nämlich streng genommen der Anführer eines religiösen Kults. Über die Jahrhunderte ist die Sonne nämlich zur Legende geworden. Die vorherrschende wissenschaftliche Ansicht ist, dass sie gar nicht existiert – nur wenige glauben noch daran. Diese Kultanhänger möchten jedoch mit allen Mitteln dieses mystische Fabelwesen wiederfinden.

Das heißt, man übernimmt eigentlich die Rolle einer Gruppe, die man heutzutage als Terroristen bezeichnen würde. Die etablierte Ordnung wird durch die Viking Union repräsentiert. Kein Staat (die sind mit der Zeit allesamt vom Erdboden verschwunden), aber der Monopolist des Transportnetzwerks. Die Megazüge der Viking Union sind die einzigen Lebensadern der voneinander abgeschnittenen Städte. Dem terroristischen Kult ist es gelungen, einen dieser Züge zu kapern – die Transarctica – und darin sieht er nun das Mittel zur Erforschung und schließlich Bestätigung der Wahrheit, von der der Rest der Welt überzeugt werden soll.

Auf spielerischer Ebene bedeutet das, dass der Besuch von Städten erstmal kein Problem darstellt (dort spricht und handelt man mit jedem). Die Bewegung auf den durch das ewige Eis zusammengewachsenen eurasischen/nordafrikanischen Bahnstrecken ist dagegen gefährlich. Die Züge der Union versuchen, das gestohlene Gefährt wieder zurückzuerobern, oder es ansonsten einfach zu zerstören. Denn Züge sind in dieser rauen Zukunft auch nicht mehr das, was sie mal waren: Da auf den Strecken diverse Gefahren – von den widrigen Wetterbedingungen bis hin zu Überfällen von Wolfsrudeln oder wilden Kannibalen – lauern, ist man mit dicken Kanonen, automatischen Maschinengewehren, Soldaten und gezähmten Mammuts ausgerüstet, die natürlich jetzt auch im Kampf gegen andere Züge eingesetzt werden können.

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Töten oder getötet werden

Ein konkretes erstes Ziel ist es somit, seine eigene Feuerkraft aufzubauen, um in den taktischen Echtzeitschlachten bestehen zu können. Waffenstarrende Waggons (und natürlich auch andere) kosten natürlich und dieses Geld muss erstmal durch Handel zwischen den Städten erwirtschaftet werden. Auf den Wegen trifft man dabei immer wieder auf Schäden oder Blockaden, an denen man nur mit der richtigen (manchmal schwierig zu findenden) Ausrüstung vorbeikommt. Nicht zuletzt schluckt die Transarctica eine spezielle Kohlensorte, die nur in besonderen, zufällig von Zeit zu Zeit auf der Karte auftauchenden Minen abgebaut werden kann.

Als ob das alles das reine Überleben nicht schon schwierig genug machte, muss man dann auch noch die Spuren des Plots verfolgen: Die richtigen Leute müssen aufgespürt, Gerüchte von versteckten Städten und anderen Ortschaften nachgegangen, Wege durch Gebirge gefunden und das Vertrauen der Schlüsselpersönlichkeiten erlangt werden – um dann schließlich die Macht der Union mittels Sabotage und Kampf zu brechen, und der Menschheit neue Hoffnung zu bringen. Das Ziel eines jeden religiösen Fanatikers und in diesem Sinne passenderweise verschreibt man sich dann auch voll und ganz dem Grundsatz der den Zweck heiligenden Mittel, indem man nicht einfach nur Soldaten gnadenlos abschlachtet (schlimm genug), sondern auch ohne mit der Wimper zu zucken Menschen einfängt, versklavt und entweder verkauft oder zu tödlichen Zwangsarbeiten heranzieht – um nur ein Beispiel zu nennen.

Transarctica (das Spiel) sammelt Punkt mit seiner Originalität, vom Szenario bis zum Gameplay, das sich einen Dreck um klassische Genregrenzen schert, ohne dabei auch nur ansatzweise gekünstelt zu wirken. Schon deshalb verdient das Spiel eigentlich bereits Klassikerstatus. Viele weitere Beobachtungen unterstreichen das noch, wie das durchdachte Mausinterface (sobald man die Hotspotstruktur einmal durchschaut hat) und die prächtige Grafik (die Screenshots stammen von der AGA-Version, jedoch ist der Unterschied marginal). Andererseits ist es überhaupt kein zugängliches Spiel.

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Zur Lösung des Spiels, also die Union zu schlagen, sind zahlreiche Anläufe notwentig. Jeder Versuch wird Stunden (wenn man schnell scheitert) oder Tage (wenn man etwas routinierter spielt, aber immer noch mit Sicherheit scheitert) dauern. Bevor man sich auch nur ansatzweise einbilden kann, soetwas wie eine kleine Chance zu haben, muss man also schonmal Wochen investieren, die Welt wirklich ausführlich zu erkunden und sich langsam eine möglicherweise gangbare Strategie zu entwickeln! Was es wert sein mag, jedoch sollte man sich dessen bewusst sein, bevor man überhaupt loslegt.

Unterwegs fallen einem dann viele sehr schöne Dinge auf, aber man bemerkt auch ein paar tendenziell befremdliche Designentscheidungen. Dass jede Stadt nur genau eine Funktion hat, also entweder Gerüchte oder sonstige Informationen zu verbreiten, zu handeln, Soldaten auszubilden und bereitzustellen oder den eigenen Zug umzustellen, fällt dabei in erstere Kategorie. Obwohl es natürlich jeden Realismus entbehrt (wie überleben bitte diese nicht handelnden Städte?) ist diese Beschränkung doch im Sinne des Spielprinzips eine gute Entscheidung: Der Spieler wird dadurch zu häufigeren und größeren Reisen gezwungen, so dass die Erkundung der Welt nicht zum Selbstzweck wird, sondern sich organisch von selbst ergibt. Im gleichen Sinne belohnen das Einfangen wilder Mammuts (anstatt sie für Wucherpreise zu kaufen) und die Zufallsbegegnungen mit Nomaden, die besondere Waren anbieten, das quasi ziellose Herumfahren.

Andererseits arbeitet, wenn Erforschung tatsächlich erklärtes Ziel ist, das beschränkte Handelsmodell dem eher entgegen: Die Preise ändern sich niemals, egal wie viel man in einer Stadt kauft oder verkauft. Nur die beschränkten vorhandenen Mengen der Waren retten das noch einigermaßen. Und größtenteils sind es sogar die verpassten Gelegenheiten, die den Frust füttern: Warum werden die Kämpfe mit den Wölfen und den Kannibalen komplett automatisch berechnet, anstatt eine vielleicht noch andere taktische Sequenz einzuschieben und das Spiel damit weiter aufzuwerten?

Doch wenn ich hier von Frust spreche, ist es nicht derjenige, der einen während des Spielens überkommt und einen für immer aufgeben lässt. Vielmehr ist es die Art Frust, die sich rückblickend in der Reflektion einstellt. Dann bemerkt man nämlich all diese verpassten Chancen, das größere Potential, das in dem breit angelegten Fundament noch vorhanden gewesen wäre, um das Spiel noch besser zu machen.

Die stringente Ausnutzung dieses Potentials hätte die kleinen Absacker in der Motivationskurve, beispielsweise im Mittelteil, nach der fantastischen Anfangsphase, aber noch bevor der Plot so richtig loslegt, und die sich je nach dem wie vorsichtig der Spieler vorgeht eventuell etwas zu lange hinzieht, lindern, wenn nicht sogar verhindern können. Doch das ist gar nicht mal so ungewöhnlich in einem Spiel solch epischer Ausmaße. Allen, denen das Spiel also als es neu war durch die Lappen gegangen ist (also dem Großteil der Menschheit) möchte ich deshalb raten: Gebt ihm eine Chance – falls ihr die Zeit habt, es seine langfristigen Stärken auch wirklich entwickeln zu lassen.

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