Time Zone
für Apple II

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Mr Creosote:
Firma: On-Line Systems
Jahr: 1982
Genre: Adventure
Thema: Science Fiction
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 108564
Rezension von Mr Creosote (19.12.2015)
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Bei Sierra Entertainment ist „Risiko“ nicht unbedingt das erste Attribut, das einem in den Sinn kommt. Hauptsächlich verbindet man mit ihnen ja diese Endlosserien, deren treue Fans mit immer neuen Teilen gefüttert wurden. Recht sichere Investitionen, aber auch kaum Potential für Überraschungen. Also die Firma sich jedoch noch On-Line Systems nannte, gab es noch gar keinen richtig etablierten Computerspielemarkt. Insofern war jede Neuveröffentlichung per Definition ein Risiko, da jedes Spiel auf die eine oder andere Art bahnbrechend war. Das größte wirtschaftliche Risiko gingen sie mit Time Zone ein, für das ein (gemessen an den Standards der Zeit) riesiges Team zusammengestellt wurde, um mehr als ein Jahr daran zu arbeiten. Zehn Gehälter auf den Erfolg eines einzigen Spiels gesetzt, das nur auf einem einzigen System und in einen Markt veröffentlicht wurde, der immer noch ziemlich klein war. Wofür brauchte man bloß diese unerhörte Arbeitskraft?

Diese Antwort blieb die Werbeabteilung nicht lange schuldig und sie hielt auch bei der Lautstärke nicht hinterm Berg: Time Zone sollte das größte Adventure aller Zeiten werden; ein Spiel, das man praktisch unendlich weiterspielen konnte. Wobei es natürlich schon ein Ende hat. Doch dies zu erreichen sollte mindestens Monate aktiven Spielens voraussetzen.

Spieler vom erfolgreichen Ende eines Adventures fernzuhalten, ist tatsächlich gar nicht schwierig. Üblicherweise geschieht dies durch schier unlösbare Rätsel, auf deren Lösung man niemals kommen könnte. Dadurch wird ein Spiel lang, aber noch lange nicht unterhaltsam. Dafür müsste es seinem Spieler auch Erfolgserlebnisse durch Fortschritt bieten. Time Zone versuchte sich also anderweitig, nämlich an reiner Größe. Ein Adventure, das einfach mit immer mehr, mehr und noch mehr Rätseln und natürlich besuchbaren Orten um die Ecke kommen würde.

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Dieses also angeblich endlose Abenteuer dreht sich darum, dass im Garten des Protagonisten mal eben eine Zeitmaschine abgestellt wurde. Einfach so. Was damit zusammenhängt, dass irgendein böser außerirdischer Despot im Jahr 4082 die Erde zerstören wollen wird und unsere Nachfahren nichts besseres einfällt, als zufällig einen Durchschnittsmenschen des Jahres 1982 zu ihrem Retter zu erwählen. Ergibt doch Sinn, oder? Auf jeden Fall hat man nun eine Maschine, die sogar nicht nur durch die Zeit, sondern auch durch den Raum reist – Wow, man kann also zu beliebigen Orten zu beliebigen Zeiten reisen? Jetzt wird's langsam klar, warum der Spaß niemals enden wird!

Dies stellt sich allerdings schonmal als falsches Versprechen heraus. Das Spiel erlaubt ausschließlich Reisen in vordefinierte Zeitalter, nämlich 400 Millionen Jahren vor Christus, 10000 vor Christus, 50 vor Christus, 1000, 1400, 1700, 1982, 2082 und schließlich 4082. Außerdem ist die Zielgenauigkeit der Zeitmaschine wohl nicht so genau, da man die Jahreszahlen wohl bestenfalls als grobe Zieldaten bezeichnen kann. Im sogenannten Jahr 1400 erwartet einen beispielsweise Kolumbus kurz vor seiner Abfahrt in Richtung Westen (und der Wandkalender zeigt auch deutlich die Jahreszahl 1492); 1700 herrscht Napoleon über Frankreich; und – was endgültig nicht mehr zu rechtfertigen ist – das Spiel behauptet allen Ernstes, 10000 vor Christus habe Pangea noch existiert. Die örtliche Einteilung der Welt ist ähnlich grob, da man nur einen Zielkontinent pro Zeitalter angeben kann. Was sich dann ebenfalls noch nicht einmal besonders genau gestaltet – St. Petersburg wird beispielsweise Asien zugeschlagen.

Allen Einschränkungen zum Trotz ergibt das natürlich immer noch eine gute Anzahl kleiner „Welten“ zu erspielen und zu entdecken: Jeder Kontinent pro ansteuerbarem Jahr – minus den Pangea-Äras und die entfernte Zukunft, in der nur der andere Planet zugänglich ist. Wobei das Wort „entdecken“ gefallen ist, denn damit erschließt sich das eigentliche schmutzige Geheimnis Time Zones: Es ist regelrecht vollgestopft mit leeren Orten; ganze „Zeitzonen“ haben keinerlei Funktion im Spiel… außer den Spieler abzulenken und zu beschäftigen. Im Südamerika des Jahres 2082 wird man zuerst vielleicht von den leeren Straßen Buenos Aires' verblüfft sein. Faszinierend, da muss es doch wohl ein großes Geheimnis zu lösen geben, was? Falsch, man kann dort nur von Terroristen erschossen werden. Was man jedoch nirgendwo explizit herausfinden kann. Es könnte ein wirkliches Geheimnis geben, oder zu lösende Rätsel – überall zu jeder Zeit. Überhaupt herauszufinden, wo es etwas zu tun gibt, kostet den Großteil der Spielzeit.

Selbst in den historischen Zeitaltern kann man kaum voraussehen, was einen erwarten wird, und wo man sich besser gleich fernhalten sollte. Erstens weiß man ja ohnehin nicht, in welchem Jahr man genau landen wird und selbst wenn, kann man sich auch nicht sicher sein, dass Roberta Williams ihre Hausaufgaben gemacht hat. Zweitens sind auch die besuchten Orte des Kontinents pro Zeitalter verschieden. Europa im Jahr 1000 wird beispielsweise durch England repräsentiert, das Europa des Jahres 14000 durch Spanien und im jahr 1700 tritt Frankreich an die Stelle.

Dadurch präsentiert einem Williams diejenigen Zeit/Ort-Kombinationen, die sie wohl selbst für am Interessantesten hielt, wo also „etwas los war“. Man trifft so auf historische Figuren wie Robin Hood, Cleopatra oder Peter den Großen (der, da er ja den gleichen Nachnamen – Groß – trägt, natürlich der Ehemann von Katharina der Großen sein muss, nech?).

Andererseits entgeht einem aus konzeptuellen Gründen, Zeitreiselogik auf die Orte an sich anzuwenden. Könnte der Spieler die gleichen Orte zu verschiedenen Zeiten besuchen, könnten sie Manipulationen in vorangegangenen Zeiten auf die jeweilige Zukunft auswirken. Time Zone verfolgt dieses Konzept nicht.

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Stattdessen gibt es Schutzmaßnahme dagegen, Objekte zu Orten zu bringen, an denen sie nichts zu suchen haben. Die Spiellogik diktiert, dass man nichts in ein Zeitalter tragen kann, in den die damalige Technologie seine Herstellung nicht erlaubt hätte (womit sich die Frage stellt, wie die Zeitmaschine selbst in ihre Vergangenheit gekommen ist…). Wer also glaubte, mal eben in der Zukunft eine fortschrittliche Laserwaffe mitgehen lassen zu können, um der König der Vergangenheit zu werden, der wird enttäuscht sein.

All das fügt sich zu einem Bild zusammen: Man wollte anscheinend jede Kombination von Ort und Zeit als eigenes, in sich geschlossenes Spiel zusammenstellen, zwischen denen es nur ganz wenige Interaktionen gibt. Man könnte beinahe sagen, dass Zeit in dem Spiel gar keine Rolle spielt – jedes Zeitalter hätte genausogut als anderer Ort in der gleichen Welt der gleichen Zeit definiert werden können und inhaltlich hätte sich daraus praktisch keinerlei Änderung im Spiel ergeben! Eine traurige Erkenntnis über ein Spiel, das sich immerhin Time Zone nennt.

Das liegt daran, dass auch wenn es ein bisschen lokalen Flair im Stil von Kinderbüchern gibt (Clichés wie Reisfelder in China, Zelte und Büffelherden und Nordamerika usw.), dieser nur von geringer Relevanz ist. Das einzige, was man aus dem Jahr 400 Millionen vor Christus benötigt, ist effektiv ein spitzer Stock. 10000 vor Christus nimmt man einen Hammer mit. Im Asien 50 vor Christus kauft man Reis und ein Seil. Im Jahr 1700 in Europa stiehlt man eine Flasche Parfüm und einen Kamm. Und so weiter. Alles Dinge, die man problemlos im Jahre 1982 in seiner Heimatstadt zusammenbekommen könnte – ohne dabei Gefahr zu laufen, von einem Tyrannosaurus gefressen oder von Höhlenmenschen zu Tode geprügelt zu werden. Solche Adventurelogik, dem Spieler den kompliziertmöglichsten Weg aufzuzwingen, ist auch in guten Spielen nicht unbekannt, doch hier ist es jenseits jeglicher Irrwitzgrenze.

Wenn Time Zone also nicht mal wirkliche Zeitreisemechanik für seinen Lösungsweg benutzt, wie sie in anderen Medien seit langem etabliert sind, sollte man sich wohl nur wenig Hoffnungen machen, sie irgendwie abseits jenes Pfades einsetzen zu können, oder? Absolut korrekt. Man trifft Benjamin Franklin, aber verprügeln kann man ihn nicht und genausowenig kann man seine Druckpresse zerstören oder seinen Drachen aufschlitzen. Allerdings nicht aufgrund irgendwelcher ethischer Einwände, wie spätere Spiele Williams' sie vorbrachten (man denke an King's Quest), sondern weil der Textparser so schlicht ist, dass derartige Befehle gar nicht ausgedrückt werden können. Kann man Rohmaterialien in der Vergangenheit benutzen, fortschrittliche Erfindungen vor ihrer Zeit zu machen? Werden wir nicht albern!

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Auch wenn all dieses verschwendete Potential den Frust schon nach oben treibt, macht es Time Zone nicht automatisch zu einem schlechten Spiel. Tatsächlich handelt es sich um ein relativ faires Spiel im Vergleich seiner Entstehungszeit. Die Spielwelt kann komplett kartographiert werden, ohne seltsame Wege, die nur in eine Richtung beschritten werden können, die einem eine Rückkehr verwehren. Man kann zwar an vielen Orten sterben, aber es geschieht immer reproduzierbar an bestimmten Stellen, so dass man jene in folgenden Versuchen meiden kann. Die Rätsel lassen sich meist auf den Austausch von Objekten, das Öffnen verschlossener Türen oder den Kampf mit Menschen oder Tieren, die einem im Weg stehen, reduzieren – außer ein paar wenigen, die dafür gleich völlig unintuitiv sind, und mindestens eines, das man nur mit spielextrinsischem Wissen lösen kann (was später in der King's-Quest-Reihe immer mal wieder auftauchen sollte).

In solchen Fällen bleibt nur die gute alte Ausprobiermethode. Misst man die wirkliche, effektive Größe des Spiels, wäre das eventuell sogar machbar, wenn man nur die Anzahl der verfügbaren Objekte betrachtet, da diese nicht einmal bedeutend höher ist, als in anderen großen Spielen anderer Firmen der Zeit. Was es jedoch so unattraktiv macht, ist die Anzahl der völlig austauschbaren Orte, an denen die Objekte theoretisch einsetzbar sein könnten. Und generische Objekte wie ein Seil oder eine Haarnadel einem bestimmten Einsatzzweck zuzuordnen kann sehr schmerzhaft werden. Vor Allem wenn vollkommen logische Aktionen vom Spiel kommentarlos zurückgewiesen werden, nur weil der Designer diese Möglichkeit nicht bedacht hatte. Kann man den Hasen mit dem spitzen Stock erlegen? Nein, nein, wer kommt denn bitte auf solche Ideen! Natürlich muss man dafür den Stein benutzen! Das Klima der Antarktis ist tödlich? Wie wäre es mit Holz, Streichhölzern und schon hat man ein schönes Feuer zum Aufwärmen? Oder einer Fackel? Einfach einen Pelzmantel anziehen? Allesamt Objekte, die im Spiel existieren, aber natürlich trotzdem verrückte Ideen!

Dazu gesellen sich natürlich die üblichen Problemchen der gesamten Hi-Res-Reihe der Firma. Speziell mögen die grafischen Illustrationen zur Entstehungszeit überhaupt das Verkaufsargument gewesen sein, aber ein wirklich sinnvolles Zusammenwirken dieser Grafik und den Texten hat On-Line/Sierra niemals hinbekommen. Manchmal finden sich vorhandene Objekte auch in den Beschreibungen erwähnt (und bezeichnet!). Manchmal nicht. Viel Spaß beim Raten, welche Details der Bilder nun von Relevanz sind (wobei sich die Implementationstiefe pro Bildschirm in beide Richtungen signifikant ändern kann)… und manchmal gestaltet es sich sogar schwierig, überhaupt zu identifizieren, was etwas Dargestelltes überhaupt sein soll.

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Insgesamt ist Time Zone somit ein Spiel, das man, wenn man nicht gerade über unbegrenzte Geduld verfügt, als unspielbar einordnen muss. Wer es trotzdem versuchen möchte, dem sei ein gut gemeinter Rat mit auf den Weg gegeben: Schaut zumindest in einer Lösung nach, welche Orte es überhaupt wert sind zu besuchen. Wer vollkommen ehrlich spielt, wird zwar nicht völlig frustriert (zumindest nicht mehr als in anderen Spielen der frühen 80er Jahre), aber sehr wahrscheinlich wird man einfach aus überbordender Langeweile aufgeben. Man muss nur 1 und 1 zusammenzählen: unzählige Bildschirme, aber nicht mehr relevante Objekte als in anderen Spielen ergeben zusammen riesige, leere Gebiete, in denen sich niemals etwas abspielt. Ein bisschen wird es durch die relative Eigenständigkeit der Orts-/Zeitkombinationen abgefedert, aber das wiederum macht das Spiel insgesamt zu zusammenhanglosem Stückwerk.

Und apropos Orte und Zeiten, anders als vielleicht vorher angedeutet fehlt ihnen meist ein wirklich erkennbarer Stil, abgesehen von ein paar Charakteren und Tieren (die streng genommen auch nur statische Objekte sind). Wenn man nicht gerade an einem Haus vorbeikommt, das üblicherweise clichéhaft gezeichnet ist, weiß man nur, wo und wann sich diese Wiese, dieser Hügel oder diese Küste befindet, weil man seine Zeitmaschine gerade darauf eingestellt hatte, also nun gedanklich-extrinsisch etwas in die auswechselbaren Bilder projiziert.

Noch schlimmer ist jedoch, dass dem endlosen, ziellosen Herumlaufen jeglicher Antrieb fehlt. In der Tradition des Genres waren die anderen Hi-Res-Adventures allesamt einfache Schatzsuchen. Cranston Manor weist einen beispielsweise explizit an, sechszehn Schätze aus dem Haus zu stehlen. Unter der dünnen Oberfläche lief es in den anderen genauso, d.h. man verschaffte sich irgendwo Zutritt und hatte auch ein klares Ziel vor Augen. Time Zone sagt einem nur, dass man einen bösen Alien davon abhalten soll, die Erde zu zerstören. Wie man das verhindert? Erstmal keine Ahnung (besonders, wenn man mal nachfragt, was man selbst denn bloß tun könnte, was den Zukunftsmenschen nicht mindestens ebenso möglich sein sollte, aber, gut, das ist relativ gesehen eine Kleinigkeit). Nehmen wir also mal auf Basis der generellen Einfallslosigkeit solcher Spiele an, dass man entweder die Bösewicht umlegen oder seine Strahlenkanone in die Luft sprengen muss. Also (da man die Erde in diesem Zeitalter ja nicht mehr besuchen kann) wäre das logische Vorgehen, direkt mal den Planeten des Aggressors im Jahr 4082 zu besuchen, oder? Inwieweit der Besuch historischer Zeitalter diesem Ziel dienlich sein soll, bleibt unklar.

Dabei geht es gar nicht mal um „intrinsische Spielermotivation“ oder sonstige seltsame Ideen unserer Zeit. Einfach zu behaupten, Artefakte der Mythologie müssten aus jedem Zeitalter gesammelt werden, um ihre magischen Kräfte zu kombinieren und somit den Bösewicht zu stürzen, wäre doch in Ordnung gewesen. Oder dass man die größten militärischen Strategen der Geschichte zusammensammeln muss. Simpel, aber ausreichend. Time Zone fehlen selbst solche grundlegenden Einfälle. Stattdessen zwingt es mich, Steine aufzusammeln, weil man solche anscheinend zu keiner anderen Zeit an keinem anderen Ort finden kann (auch wenn sie in den Illustrationen klar sichtbar sind…).

Es bleibt also doch wieder nur der Umfang des Spiels. Der, wie beschrieben, gar nicht mal so unendlich ist wie versprochen, da es dann doch nur aus statischen, gesichtslosen, illustrierten Orten besteht. Ganz sicher sind diese Illustrationen (die sich zwischen akzeptabel und lächerlich bewegen) allein es nicht wert, sich vollständig durch das Spiel zu kämpfen. Davon abgesehen ist der Umfang nur ein Deckmantel, der, wenn man es denn bewerten soll, Probleme macht anstatt das Spiel zu verbessern (wie ausführlich dargelegt). Und ist euch etwas aufgefallen? Diese Erläuterungen sind mittlerweile zur längsten Rezension, die ich jemals verfasst habe, angewachsen (auch wenn sich einiges wiederholt). Passend, aber verdient? Na ja…

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