The Lords of Midnight
für ZX Spectrum

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Mr Creosote:
Firma: Beyond Software
Jahr: 1984
Genre: Strategie
Thema: Krieg / Schwerter & Magie
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 7864
Rezension von Mr Creosote (07.03.2018)
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Manchmal ist die Zeit einfach reif. Im Jahr 1984 beschritt The Lords of Midnight zusammen mit seinem Zeitgenossen Elite völlig neue Wege. Man sollte sich nochmal ins Gedächtnis zurückrufen, wie typische Computerspiele Anfang der 1980er Jahre aussahen. Der Konsolenmarkt war gerade in sich zusammengebrochen. Preislich einigermaßen erschwingliche Computer fanden langsam ihren Weg in die Häuser von Privatleuten (deshalb „Heimcomputer“), aber spielerisch waren weiterhin die Formeln, die man aus den Spielhallen geerbt hatte und die auch bereits auf den gescheiterten Konsolen nachgemacht worden waren, die Norm: simple Reaktionsspiele, die normalerweise auf ein oder zwei Bildschirmen stattfanden. Die Heimcomputer brachten noch ein paar wenige Rätsel- oder Brettspielumsetzungen mit sich. Und dann, völlig aus dem Nichts, tauchten diese Spiele auf.

Eventuell leicht überspitzt dargestellt, aber trotzdem war es einfach atemberaubend, ein Spiel wie Lords of Midnight vor sich zu haben, das… riesige Ausmaße hatte! So riesig und so komplex, dass es als physisches Brett- oder Kartenspiel undenkbar gewesen wäre und einem Spielkonzept folgend, das in Spielhallen oder auf Konsolen einfach nicht passiert wäre.

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Dem Umfang seines eigenen Werks angemessen ließ sich Designer Mike Singleton bei dem Epos der Nerdkultur inspirieren: dem Herrn der Ringe. Leicht bemäntelt geht es um den „Mondprinzen“ Luxor und dessen Sohn Morkin, die den militärischen Widerstand der freien Welt gegen die Invasion Doomdarks, des bösen Magiers, der seine Monsterhorden aus den Eiswüsten des Nordens gegen den blühenden Süden ausschickt, organisieren. Dem Spieler stehen zwei Wege zu gewinnen offen. Entweder gelingt es Luxor, viele weitere Verbündete unter den Herrschern des Landes, die sich bei Spielbeginn noch neutral verhalten, zu gewinnen, und Doomdarks Armeen im offenen Kampf zu schlagen sowie schließlich dessen Heimatfestung zu erobern. Oder aber Morkin – der als einziger immun gegen die Magie des Bösewichts ist – stiehlt Doomdarks Eiskrone und zerstört sie im gleichen Feuer, in dem sie geschmiedet wurde. Die äquivalenten Rollen bei Tolkien ergeben sich intuitiv.

Der Spieler bekommt die Kontrolle über Luxor, Morkin sowie zwei weitere anfängliche Verbündete, und bewegt sie rundenbasiert über eine Landkarte, die aus ca. 4000 Feldern besteht. Die Bewegungskosten hängen von der Landschaft ab: Gebirge zu überqueren dauert natürlich länger als über Wiesen zu reiten. Zufällige Zusammentreffen mit Monstern können jederzeit geschehen. Dazu kommen natürlich Ruinen, in denen man nützliche Artefakte finden kann, anheuerungswillige Armeen usw. Geht die Sonne unter, muss sich jeder Charakter zur Ruhe begeben und seine Kräfte regenerieren. Idealerweise an einem sicheren Ort, wie einem Dorf. Der Spieler kann seine Charaktere in verschiedene Richtungen schicken und so in viel kürzerer Zeit einen größeren Teil der Karte abdecken. Ein Vorteil, der sich potenziert, je mehr Lords sich in Luxors Dienste begeben, wodurch sie ebenfalls zu steuerbaren Charakteren werden. Dadurch entsteht schließlich eine komplexe militärische Gesamtoperation. Wobei man immer bedenken muss, dass nicht jeder Lord sich von jedem dahergelaufenen anderen Charakter anwerben lässt – Völker- und persönliche Konflikte müssen bedacht werden.

So eröffnen sich ungekannte strategische und taktische Herausforderungen, innerhalb solcher Freiheitsgrade für grundlegende Spielerentscheidungen, die zu völlig verschiedenen Spielverlaufen führen. Im Vergleich: Ein Favorit der Zeit war Manic Miner – für sich selbst gesehen ein wirklich schönes Spiel, jedoch eine Bagatelle im direkten Vergleich. Und es blieb nicht beim Umfang: Es gelang Lords of Midnight sogar, all seine Spielelemente in eine hervorrangende Balance zu bringen, einen fordernden Schwierigkeitsgrad zu bieten, aber dabei trotzdem fair zu bleiben.

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Damit der Sensation immer noch nicht genug. Jedes Feld der Landkarte wird dreidimensional dargestellt. Nicht einmal, sondern gleich achtmal, denn man kann von jedem Punkt natürlich in jede Himmelsrichtung schauen. Alles in Blau und Weiß plus ein paar wenige weiter Farben für Kreaturen, aber trotzdem unglaublich für die Zeit. Aus der Perspektive der Mitte der 1980er Jahre: Damals war The Bard's Tale eines der besten Rollenspiele auf dem Markt, das ebenfalls seine Welt dreidimensional darstellte. Doch dort sah man gerade mal die Landschaft oder die Gebäude. Charaktere oder Monster wurden überhaupt nicht dargestellt; Zusammentreffen mit unsichtbar berechneten Gegnern schickten einen direkt zum Kampfbildschirm. Man bewegte sich diesbezüglich also blind. Lords of Midnight erlaubte es einem, Gegnern beispielsweise auch auszuweichen, da sie tatsächlich rechtzeitig vorher zu sehen waren. Das Geheimnis hinter dieser riesigen illustrierten Welt lag natürlich darin, die Bildschirme nicht komplett vorzuzeichnen, was der begrenzte Speicher auch gar nicht erlaubt hätte, sondern sie prozedural aus kleinen Legosteinen zu generieren. Noch eine Parallele zum bereits erwähnten Elite

Soviel zur historischen Perspektive. Doch wie spielt sich Lords of Midnight heutzutage?

Überraschend gut, wenn man sich nicht von der Grafik abschrecken lässt. Die Steuerung per Tastatur wird – sobald man sich die wichtigsten Tasten gemerkt hat – sehr effizient. Die strategischen und taktischen Aspekte funktionieren zeitlos. Aus heutiger Sicht mag es ungewohnt sein, dass man sich „auf“ etwas herauf bewegen muss, bevor man damit interagieren kann; was man vor sich auf dem Bildschirm sieht, ist noch nicht nah genug.

Natürlich ist das Spiel nicht mehr das riesige, unglaublich beeindruckende Epos, das es einmal war. Wie zu der Entstehungszeit (und weit darüber hinaus) üblich findet der Plot praktisch vollständig in der gedruckten Begleitdokumentation statt. Einen Fortgang selbigens gibt es nur im Kopf des Spielers statt. Die Charaktere, die man trifft, zeigen tatsächlich nur wenig Charakter. Abgesehen von ihren Namen, der Seite, der sie angehören und ihrer angehängten Armee unterscheidet sie kaum etwas. Selbst die Artefakte, die wohl ein bisschen Rollenspiel reinbringen sollten, sind recht austauschbarer Natur.

Zusammenfassend würde man Midnight heutzutage eventuell als Blaupausenspiel bezeichnen. Das Fundament ist vorhanden und selbst darin liegt bereits ein großes Spaßpotential. Trotzdem fehlt an der einen oder anderen Stelle gefühlt die Ausgestaltung mit Kleinigkeiten hier und dort. Historisch gesehen ist es verständlich, da Speicherbeschränkungen nichts weiter erlaubt hätten. Rückblickend sind die Lücken verschmerzbar. Trotzdem existieren sie und fallen auch auf. Das Spiel ist gealtert, aber Alles in Allem nicht allzu schlecht.

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