The Testament of Sherlock Holmes
für PC (Windows)

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LostInSpace:
Firma: Frogwares
Jahr: 2012
Genre: Adventure, Denkspiel
Thema: Krimi / Polizei & Verbrecher
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 11970
Rezension von LostInSpace (19.11.2019)
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Wer ist Guybrush Threepwood? Genau an dieser Stelle scheiden sich im Folgenden die Geister. Der nicht-wissende Casual-Player schüttelt nur den Kopf über den Nerd, der sofort eine Anekdote über seine zurückliegenden Spiele-Sessions mit dem Urvater der Adventure-Games auf den Lippen hat. Denn er fühlt sich gelangweilt von den Lobhudeleien auf einen Piraten, der sowieso nicht an Jack Sparrow herankommt. Genau dieses Helden-Kaliber weckt nämlich überhaupt erst das Interesse des anspruchsvollen Casual-Players. Der Nerd gibt sich schon mit den unbekannten Größen des Genres zufrieden, solange das Spiel an sich seinen Maßstäben gerecht wird. Daraus ergibt sich die spannende Frage: Hat dieser Titel das Zeug die Brücke vom Spielen des Themas wegen zum Spielen des Mediums wegen zu schlagen. Allgemein formuliert: Sollen die Hobby-Detektive zunehmend das Buch und die Film-DVD im Regal lassen und lieber mal eine Runde zocken? Oder soll im Gegenzug der bleiche Nerd mal die Maus aus der Hand legen und die Auftritte der richtigen Helden lieber in für ihn zweitrangigen Medien konsumieren?

Dabei ist natürlich auch die Affinität zum Sujet nicht ganz unwichtig. Für mich persönlich kein Problem, da ich schon als kleiner Junge die Bücher verschlungen habe. Demgemäß ist meine Erwartungshaltung auch entsprechend hoch. Nicht nur an die Story, sondern ganz besonders an die Gestaltung des unantastbaren Mr. Holmes. Die ukrainischen Entwickler des Spiels namens Frogwares haben bis zur deutschen Veröffentlichung dieses Titels im Jahr 2012 schon sage und schreibe 5 Adventures und unter dem Pseudonym Waterlily Games weitere 4 Wimmelbilder-Suchspiele mit besagter Hauptfigur veröffentlicht. Leider ist mir ehrlich gesagt nur dieser eine Teil unter die Finger gekommen und werde deshalb keine vergleichende Betrachtung bieten.

Die erste Auffälligkeit ist wohl die Perspektive. Das Geschehen findet in einer völlig frei begehbaren 3D-Umgebung statt, solange man sich in der Third-Person-Ansicht befindet. Viel schöner finde ich die 3D-Welt aus der Sicht der festen Beobachtungspunkte, die je nach Standpunkt der Spielfigur die Blickpunkte des Spielers sind. Da im Spiel niemals zeitkritische Aufgaben oder Action-Sequenzen zu bewältigen sind, ist der Nachteil der schlechten Orientierung bei dieser wechselnden Kameraperspektive absolut verschmerzbar. Im Gegenteil: das Geschehen entwickelt sich zu einem filmartigen Ablauf. In diesem Film wird der Spieler nun in die Rolle des wohl größten Detektivs aller Zeiten und in gewissen Passagen auch in die Rolle seines Freundes und Assistenten Dr. Watson versetzt.

Das Spielgeschehen findet in 3 Bereichen statt: das klassische Aufsammeln und Einsetzen von Gegenständen. Dazu kommt ein Deduktionsschema, in dem der Spieler kombinatorisch bestimmte Ereignisse in Korrelation setzt und dadurch aus scheinbar unzusammenhängenden Beobachtungen eine Schlussfolgerung zieht. Das dritte Spielelement sind kleine Minispiele, die in den meisten Fällen das Öffnen eines Schlosses bezwecken.

Natürlich lässt sich die kognitive Fähigkeit eines Mr. Holmes nicht auf eine derart banale Art simulieren. Aber als normalsterbliche Spieler müssen wir kleine Brötchen backen und uns mit dieser schlichten Annäherung an das unerreichbare Genie zufriedengeben. Also sammeln wir fleißig alles ein, was nicht niet- und nagelfest ist, klicken uns durch abstruse Ablaufpläne eines Mordkomplotts und werden geradezu überhäuft mit jeder erdenklichen Art von Schlössern und Geheimmechanismen an jeder nur denkbaren und mitunter komplett abwegigen Stelle. Dabei halte ich verzweifelt meine Faszination aufrecht, indem ich mich an der liebevollen Gestaltung und Auswahl der Schauplätze erfreue: die engen dunklen Gassen mit vor Armut strotzenden bemitleidenswerten Kindern, der verlassene Friedhof mit den windschiefen Kreuzen, das dunkle Spital, das eher an ein Hospiz erinnert, die heruntergekommene Spelunke in der sich die Opiumraucher ihrem Rausch hingeben und natürlich auch viktorianische Prachtbauten im reichen Teil der Stadt.

Hinter dieser Anhäufung von Einzelaktionen wird währenddessen auch mehr oder weniger ein übergeordneter Handlungsverlauf deutlich: Sherlock Holmes macht sich bei seinen Ermittlungen gegenüber der Polizei und sogar seinem langjährigen Freund Dr. Watson selbst zu einem gesuchten Hauptverdächtigen und täuscht sogar einen Selbstmord vor, um im Untergrund weiter seinen Erzrivalen Dr. Moriarty jagen zu können. Um fair zu sein, hat das sogar eine gewisse Spannung erzeugt, die mich weitere Minispiele und längere Suchaktionen nach geeigneten Gegenstand-Benutzen-Kombinationen ertragen ließen.

Nachdem Mr. Holmes nun mal die Hauptfigur ist, sind Sequenzen mit seinem Alter-Ego in der Hauptrolle naturgemäß sehr häufig. Das Entwicklerteam hat bei diesem Titel für den Bewegungsablauf der Spielfiguren das Motion Capture Verfahren angewendet. Das ist zwar grundsätzlich durchaus sehenswert. Aber bei der zig-fachen Wiederholung des immer selben Musters nützen auch die professionellsten Bewegungen eines bezahlten und gelernten Schauspielers nichts. Wenn schon schauspielern, dann auch szenerelevant und nicht dieselbe Bewegung zu jeder Art von Situation. Das ist gewollt und nicht gekonnt.

Geschmackssache ist auch die recht explizite Darstellung der Auswirkung von Gewalt auf menschliche und tierische Körper, die in den Büchern eher eine dezente Rolle einnimmt. Einmal wird man sogar in die Rolle versetzt, eine misshandelte Leiche zu obduzieren. Also nichts für zartbesaitete Gemüter, die hier nur den Spaß an der mentalen Herausforderung suchen.

Positiv fand ich den Spiel-Fluss. Der Spieler ist fast ausnahmslos in der Lage, die nächsten notwendigen Schritte für den Fortgang des Geschehens zu erahnen und kann im Notfall die anstehenden Minispiele nach relativ kurzem Ausprobieren auch einfach überspringen. Das Spiel lässt quasi keine Sackgassen zu, man kann demnach auch nicht ungewollt – im Sinne der Story - sterben.

Zusammen mit den erwähnten filmartigen Kamerawechseln, dem extrem niedrigen Schwierigkeitsgrad und der realitätsnahen Kulisse – die grafisch gesehen mittlerweile schon wieder überholt ist – unterhält das Spiel ähnlich wie ein richtiger Film. Damit wurde trotz aller Mängel das Ziel erreicht, an einem interaktiven Spielerlebnis in der Welt des Sherlock Holmes teilzuhaben. Und mich persönlich hat das besser unterhalten als dieses ganze Affentheater in manch anderen vollmundig gelobten Adventures.

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