Ripley's Believe It or Not! – The Riddle of Master Lu
für PC (DOS)

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Mr Creosote:
Weitere Titel: Das Rätsel des Master Lu
Firma: Sanctuary Woods
Jahr: 1995
Genre: Adventure
Thema: Krimi / Mythen und Sagen
Sprache: English, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 3434
Rezension von Mr Creosote (28.11.2020)
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Unter den zahllosen Point-&-Click-Adventures der Mitte der 90er Jahre ist Master Lu eines der unbekanntesten. Beweise seiner Existenz sind dünn gesät, von aktuelleren Meinungsäußerungen jeglicher Spieler, so sie denn existieren, ganz zu schweigen. Das trotz der guten Wertungen, die das Spiel zur Veröffentlichung einheimste. Meine persönliche Erfahrung mit dem Spiel gestaltete sich recht ähnlich. Ich habe es gespielt, aber nicht sehr weit. Die wenigen unspezifischen Erinnerungen, die davon geblieben sind, sind allseits positiv. Wieso ich niemals weiter vorgedrungen bin als bis zum zweiten größeren Ort, ist also zu einem großen Mysterium geworden. Gibt es etwas an dem Spiel, das es so vergessenswert macht? Finden wir's heraus!

Das Intro macht auf jeden Fall mal gleich alles richtig. Der Protagonist Ripley, Hobbyarchäologe und Abenteurer, wird auf der Flucht vor bewaffneten ägyptischen Fieslingen von einer „sprechenden“ Sphinx gerettet. Oder war es nur der Wind? Schnitt zu einem romantischen Abendessen in New York mit Mei Ling, seiner Freundin. Und chinesischen Bösewichten in direkter Nähe, allerdings ohne sein Wissen. Noch ein Schnitt und wir befinden uns in der ersten interaktiven Szene, in der wir uns einer tödlichen Kobra entledigen müssen. Alle wichtigen Bausteine sind also direkt vorhanden: Abenteuer, Gefahr, Geheimnisse, Liebe… Dass sich das Spiel grafisch mit seinen gerenderten Hintergründen und etwas pixelig digitalisierten, davorgeschnittenen Schauspielern eher schlecht gehalten hat, wäre mir Mitte der 90er natürlich noch nicht sauer aufgestoßen. Und überhaupt wird es diesbezüglich mit der Zeit etwas besser.

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…und so bin ich dank der Sphinx entkommen.

Die Szenen sind sowohl grafisch als auch akustisch reichhaltig ausgestaltet. Zahlreiche kleine Details können gefunden und untersucht werden, selbst wenn sie nicht alle direkt zur Lösung des Spiels beitragen. Stattdessen dienen die der impliziten Charakterisierung des Helden, des jeweiligen Besitzer oder dieses Ortes in der Welt. Selbst die Hintergrundgeräusche auf der Straße sind den bereisten Orten und Ländern angepasst.

Geschichte und Personen erweisen sich als ebenso vielversprechend. Ganz im Stil der Abenteuergeschichten der 1920er und 1930er Jahre wird das Thema der gelben Gefahr mit dem aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland und dem damit verbundenen Damoklesschwert eines neuen weltumspannenden Krieges in einem semi-ironischen Plot scheinbar bierernst für ein wissendes Publikum aufbereitet. Innerhalb dieser Grenzen spielen Genrearchetypen wie der sadistische asiatische Scherge, der hochgebildete und kultivierte Bösewicht und die Jungfrau in Nöten ihre vorgegebenen Rollen. Einzig Mei Ling bricht aus diesen geschätzten Clichés aus, indem sie Ripley wieder und wieder tatkräftig aus der Scheiße zieht. Oder anders gesagt: Man stelle sich Indiana Jones in einer Geschichte von Sax Rohmer vor, und schon befindet man sich in der richtigen Stimmung.

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Ich brauche ein Flugticket!

Trotz Wichtigkeit von Plot und Charakteren ist Master Lu zum Glück lange nicht so endlos verquatscht wie viele seiner Zeitgenossen. Die Dialoge sind auf den Punkt, also nicht nur gut geschrieben, sondern was gesagt wird, ist auch immer relevant. Im Sinne des Genres kann man sterben, doch zuverlässig wird man automatisch wiederbelebt. Zuguterletzt versteckt sich hinter dem Hauptplot noch ein (größtenteils) optionales Minispielchen. Auf allen Stationen der Weltreise kann man kleine Kuriositäten, Schätze oder Artefakte finden, die Ripley nach Hause senden und so seine Ausstellung aufwerten kann. Die Einnahmen dienen dann der Finanzierung seiner weiteren Reisen.

So viele Worte, aber immer noch sind wir dem Geheimnis der Obskurität des Spiels keinen Schritt näher gekommen. Keine Sorge – ich habe es gelüftet. Moment, ist das nicht eher schlecht?

Nach den hervorragenden Einstiegsszenen in New York und einem Abstecher nach China geht es nach Danzig. Nach einer einsichtsvollen Unterhaltung mit dem Eigentümer des Schlosses Pik As und dessen mürrischen (und gierigen) Gärtner, sowie der Lösung einiger schöner mechanischer Rätsel findet sich Ripley im Geheimlabor des verstorbenen Barons wieder… an dem Punkt, an dem sich die Designer des Spiels wohl dachten, es müsse jetzt man der Schwierigkeitsgrad „ein wenig“ angezogen werden.

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Aaaah, jetzt erinnere ich mich

Dort erwartet einen eine komplizierte Maschinerie, die ein wertvolles Juwel in ihrem Innern gefangenhält, und nur durch umfangreiche Manipulationen freigibt. Der erste Eindruck ist dabei positiv, da es sich nicht um eine Rätselkiste außerhalb der eigentlichen Spielwelt handelt, die Plage des Genres, seit Myst dieses Schema zwei Jahre zuvor etabliert hatte. Alles findet auf dem normalen Spielbildschirm mit dem normalen Interface statt und die Notwendigkeit dieser Aktionen ergibt sich direkt aus dem Plot.

Trotzdem ist dieser Abschnitt wirklich nur etwas für… tja, wie soll man es höflich ausdrücken… sehr geduldige Gemüter. Der Bildschirm ist vollgestopft mit Hotspots, einige nicht größer als wenige Pixel und direkt neben wieder anderen Hotspots oder sogar auf anderen, größeren Hotspots drauf. Mehr als ein Dutzend neue Objekte füllen plötzlich das Inventar des Spielers. Die notwendigen Schritte können durch Experimentierfreudigkeit erschlossen werden, doch diese vergeht einem schnell angesichts der Breite des Suchraums. Ganz sicher habe ich seinerzeit an dieser Stelle aufgegeben.

Diesmal habe ich mich nicht entmutigen lassen und wurde im Folgenden von einem sehr unterhaltsamen Spiel belohnt, das all die eingangs beschriebenen Stärken ausspielte. Und das, obwohl das Rätseldesign holprig blieb, auf der gesamten Spannbreite zwischen geradezu genial gut (die kryptischen Hinweise der Mönche zu entschlüsseln) bis hin zu unglaublich und unnötig langwierig. Als ob das Labor nicht genug gewesen wäre, findet man sich später zu allem Überfluss in einem umfangreichen Irrgarten wieder, das keinen Zweck erfüllt, als weitere Spieler davonzutreiben, und ein weiteres Mal zu belegen, wie viel effizienter Bewegung doch zu Textadventurezeiten war.

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Abenteuer!

Es ist schon seltsam, wie das gleiche Spiel solchen Frust verbreitet, aber auch solch ernsthaft berührende Momente bietet, wie die kleine Geschichte über den Sohn eines der Reisebüromitarbeiter (und ich dachte schon, die seien alle abgesehen von ihren Akzenten identisch), die keine Relevanz für den Hauptplot hat, aber trotzdem bestens eingebunden ist. Wie die gleichen Designer es für nötig befanden, sich der wirklich ältesten Hüte zur Spielverlängerung zu bedienen, aber andererseits so viele liebevoll gestaltete Orte schufen.

Die Erinnerung an die Schwächen wird diesmal wahrscheinlich nicht mehr verschwinden. Aber sie wird verblassen. Hängen bleibt normalerweise die Erinnerung an die Ambition eines Spiels, nicht so sehr das mühsame Durchkämpfen auf dem Lösungsweg. Ambition und einige wirklich tolle Momente, in denen Master Lu in die Oberliga des Genres vorstößt – das möchte ich in meinen Gedächtnis einprägen.

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