Tales of Maj'Eyal
für PC (Linux)

Mr Creosote:
Weitere Titel: TOME4
Firma: Netcore Games
Jahr: 2012
Genre: Rollenspiel
Thema: Kämpfen / Schwerter & Magie / Textbasiert
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 5815
Rezension von Mr Creosote (17.07.2021)
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Geschichten aus grauer Vorzeit

Moria war Anfang der 1980er Jahre der erste Vertreter des Roguelike-Genres, das sich gänzlich unverschleiert (unlizensiert) auf die Tolkien'sche Mittelerde bezog. Daraus entwickelte sich Angband (1990), deutlich erweitert und bis heute in Weiterentwicklung. Spielerisch tat daraufhin ZAngband (1994) einen weiteren entscheidenden Entwicklungsschritt, indem es eine Welt zur Erkundung außerhalb des mittlerweile üblichen Dungeon- & Stadtsetting anbot. Ganz nebenbei ersetzte es den Tolkien-Bezug durch eine andere literarische Vorlage. Auf dieser Basis entstand dann allerdings wiederum Tales of Middle Earth – oder kurz TOME.

Der Autor jenen Spiels hatte allerdings bereits leidvolle Erfahrungen mit Abmahnungen wegen der Verwendung geschützten Materials gemacht und so entstand der Gedanke, doch lieber eine eigene Welt zu erschaffen. Und nebenbei das gesamte Spiel zu modernisieren. Solche grundlegenden Neuanfänge führen bekanntermaßen zum langsamen dahinsiechen und schließlich dem Tod der einstmals populären Software. Doch TOME wollte einfach nicht sterben und kehrte triumphal 2010 als Tales of Maj'Eyal zurück. Und räumte gleich mal den prestigeträchtigen Titel des Roguelike of the Year dreimal hintereinander ab. Nun, ungefährt zehn Jahre später, ist all das auch schon wieder historisch. Also werfen wir doch mal einen neuen Blick auf diesen modernen Klassiker!

Das Spiel

TOME4 punktete seinerzeit mit seinem Umfang und seinem Feinschliff. In einem Genre, in dem üblicherweise die Spiele immer noch einfach aus einem Dungeon von n Levels bestehen, machte es selbst ADOM Konkurrenz in seiner Größe. Es bot ungekannte Kombinationsmöglichkeiten von Charakterklassen und -rassen (mehr darüber später). Und nicht zuletzt, in diesem Genre, dessen Spiele zumeist immer noch Zeichensatzgrafiken verwandten, illustrierte es seine Welt komplett grafisch und war steuerbar per Maus.

Das bis heute vorstechende Feature ist die Charaktererstellung. Neuen Spielern stehen nicht direkt alle Klassen zur Auswahl. Dies wird innerhalb des Spielkosmos insoweit erklärt, dass gewisse Gruppen (wie die Magier) aus der Welt verschwunden sind und erstmal wiedergefunden werden müssen. Jeder Spieldurchlauf, ob erfolgreich oder nicht, eröffnet also neue Optionen für den nächsten Versuch. Extrinsisch ist dies ein cleverer Weg, neuen Spielern erstmal einen einfachen Einstieg mit weniger komplizierten Klassen zu ermöglichen und später weitere Durchläufe zu motivieren. Insbesondere, da der Einstieg in die Geschichte von der Charakterdefinition abhängt.

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Es gibt immer noch viel zu entdecken

Ebenso setzt es sich im Spielverlauf fort. Neben den üblichen Charakterwerten können auch besondere Talente erlernt und somit Spezialisierungen verfolgt werden. So eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten, den Kern des Spiels anzugehen, also das Kämpfen. Wo der Zusammenstoß mit einem normalen Feld-, Wald- und Wesenmonster noch einfach durch unbedachtes Zuschlagen gewonnen werden kann, erfordern Endgegner oder größere Feindesgruppen eine durchdachte Handlungsweise, inklusive Einbeziehung besonderer Kampfmanöver. Es versteht sich von selbst, dass der nächste Charakter – man will garantiert eine andere Klasse ausprobieren – sich völlig anders spielen wird. Man muss neidlos eingestehen: Die hochtaktischen Kämpfe sind die wohl größte Stärke von TOME4.

Eine lange Historie gereicht einem Spiel jedoch natürlich nicht immer nur zum Vorteil und so zeigt sich auch hier ein gewisser Feature-Creep in der Vielzahl an Systemen des Spiels. Neuere Genrevertreter konzentrieren sich eher darauf, eine Sache richtig gut zu machen. Aber in langen Entwicklungen müssen sich Entwickler immer wieder neu motivieren und die erfahrenen Spieler verlangen ebenfalls Neues.

TOME4 leidet in diesem Sinne unter dem Überangebot von Objekten, die man im Laufe des Abenteuers geradezu nachgeworfen bekommt. Einerseits wird einem die Entscheidung, womit man sich bewaffnen will, nicht leichtgemacht. Die ultimative Waffe oder Rüstung, die alle anderen in den Schatten stellt, gibt es nicht. Der ausgeteilte bzw. verhinderte Schaden ist multidimensional verteilt, über zahlreiche Schadensklassen, und andere Spezialfähigkeiten der Ausrüstung kommen dazu. Soweit, so gut. Doch gleichzeitig liegt darin der Hund begraben: Man hat theoretisch derart viele Faktoren zu beachten, dass ein wirklicher Gesamtüberblick praktisch unmöglich gemacht wird. Zusammen mit der völligen Überfrachtung an Gegenstandsquantität wird die letztliche Entscheidung über den Einsatz, die interessant und schwierig sein sollte, geradezu bedeutungslos.

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Ja, all das habe ich in einem Level gefunden. Man beachte die Scrollleiste.

Immerhin zwingt einen das Spiel nicht, immer und immer wieder zu einer der Städte zurückzukehren, um unnütze Gegenstände dort zu verkaufen. Stattdessen werden sie beim Levelübergang automatisch zu Gold gemacht. Doch die Tatsache allein, dass die Entwickler eine solche Mechanik für notwendig erachteten, die letztlich nur ein Workaround ist, hätte ihnen bereits sagen müssen, dass hier ein tieferliegenderes Problem auf Lösung wartet.

Zuguterletzt sollten wir auf den Plot zurückkommen, auch wenn es damit in ganz tiefe Subjektivitätswasser geht. Das anfängliche Mysterium dreht sich um die Frage, was in dieser Welt geschehen ist. Warum sind die Magier verschwunden? Was hat es mit den gelegentlich auftauchenden Artefakten auf sich? Was haben die Orks vor? Ehrlich gesprochen sank mein Interesse recht schnell, immer oberflächlicher überflog ich die teilweise länglichen Textpassagen. Man watet durch durch Sümpfe von Fantasyclichés rund um düstere Ambitionen, abgründige Motivationen usw. Das hat natürlich seine Zielgruppe, aber die Textmenge wird sicher den einen oder anderen abschrecken.

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Jetzt gut nachdenken

Im Rückblick ist die immense historische Bedeutung von TOME4 unbestreitbar. Sein Erfolg hauchte dem Roguelike-Genre neues Leben ein, im kommerziellen wie nicht-kommerziellen Bereich. Ohne dieses Spiel hätte es den Neustart des seinerzeit bereits legendären ADOM sicher nie gegeben. Ja, und TOME4 ist ein gutes Spiel. Doch ehrlich gesagt hat ADOM es wieder überrundet. Dessen heutige Grafik ist alles in allem schöner und durchgestylter. Die Bedienung hat einige Jahre gebraucht, aber ebenfalls aufgeholt. Und auch wenn es natürlich seinen ganz eigenen Feature-Creep hat, so hilft der halbironische Stil im NetHack-Stil, über einiges hinwegzusehen. TOME4, in der Tradition Angbands nimmt sich selbst dagegen sehr ernst, was für diejenigen, die nicht so auf die Geschichte anspringen, eher öde ist.

Im Kern bleibt das spielmechanisch wirklich hervorragende, umfangreiche Spiel. Nur wollte man vielleicht doch einfach zu viel.

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