Captain Gysi und das Raumschiff Bonn
für PC (DOS)

Mr Creosote:
Firma: PDS
Jahr: 1997
Genre: Adventure
Thema: Cartoon & Comic / Humor / Werbespiel / Science Fiction
Sprache: Deutsch
Lizenz: Freeware
Aufrufe: 46227
Rezension von Mr Creosote (05.10.2001)
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Ein dunkles, verrauchtes Hinterzimmer. Die bösen Hintermänner hielten Konferenz. „Wie können wir die Weltherrschaft möglichst schnell erreichen?“, fragte der übergewichtige Chef. Der verächtig aussehnde Mann zu seiner Rechten spielte mit seinem Messer, sein Mund aber blieb geschlossen. Zum ersten Mal konnte man auch das Gesicht des dritten Mannes sehen. Er hatte in seinem Stuhl bedächtig zurückgelehnt gesessen, doch jetzt beugte er sich vor zum Tisch. Er trug dicke Brillengläser, das wenige Haar, das ihm noch geblieben war, war kalkweiß. Er trug einen braunen Cordanzug. „Können wir es nicht einfach wie in der guten alten Zeit machen? Fälschen wir doch einfach die Wahlergebnisse!“ Wut flammte in den Augen des großen Bosses auf. „Dämlicher Idiot!“, schrie er heraus, „Oh großer Satan, warum muss ich nur von solchen Idioten umgeben sein?“. Plötzlich schritt eine dünne schattige Figur aus einer pechschwarzen Ecke. Die drei guckten überrascht - sie hatten offensichtlich keine Ahnung gehabt, dass sich noch jemand im Raum befand. Von dem Schock gelähmt konnten sie den mysteriösen Mann nur mit großen Augen anstarren. Die Spannung stieg, die Stille hätte jedes normale Lebewesen umgebracht. Endlich hob die Erscheinung ihre Stimme: „Ich wurde von dem Namenlosen, dem ihr dient, geschickt.“ „Sie meinen......“, war alles, was der große Boss herauskeuchen konnte, während er mit seinen Kopf ostwärts deutete. „Ruhe!“ Trotz seines wenig beeindruckenden Erscheinungsbildes schien der Unbekannte eine natürliche Autorität über die anderen Männer zu haben. „Hört mir genau zu, ich werde das nur ein einziges Mal sagen: Die Jugend von heute ist die Wählerklientel von morgen. Kontrolliert die Jugend, und die Zukunft ist euer!“ Im nächsten Moment war der Unbekannte bereits wieder verschwunden - so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Aber er hatte den anderen Männern Inspiration in ihre Köpfe gepflanzt. „Heureka! Lasst uns ein Computerspiel machen!“, riefen sie unisono.
So entstand Captain Gysi und das Raumschiff Bonn. Oder vielleicht auch nicht - ich könnte das alles erfunden haben. Aber ihr werdet mit der Unsicherheit leben müssen! Nun einige Tatsachen. Dieses Spiel wurde von einer bekannten deutschen Partei herausgegeben: der PDS. Für diejenigen, die hinterm Mond leben, hier ein paar Informationen dazu, PDS steht für Partei des Demokratischen Sozialismus - der direkte Nachfolger der SED, die einst die DDR mit eiserner Faust regierte. Heutzutage muss sie ja eher immer darum zittern, überhaupt im Parlament vertreten zu sein. In den „westlichen Bundesländern“ hat sie eh keinerlei Chance, sie ist quasi inexistent. In den sogenannten „neuen Bundesländern“ ist sie allerdings weiterhin/wieder beliebt, besonders bei älteren Leuten.
Der Titelheld des Spiels, Gregor Gysi ist wohl das einzig wirklich bekannte Gesicht unter den Mitgliedern. Eine der wenigen Persönlichkeiten, die auch tatsächlich eine Chance haben, ein paar Stimmen einzufangen. Und vor der Bundestagswahl 1998 dachten die PDS-Entscheidungsträger wohl, dass ein bisschen „andersartige“ Werbung nichts schaden könne. Das Resultat ist ein ziemlich kurzes und einfaches Adventure klassischen Stils.
Die Handhabung könnten direkt aus einem Westwood-Adventure stammen: der allmächtige Linksklick kombiniert mit dem untersuchenden Rechtsklick. Das zusammen mit der kleinen Anzahl an Schauplätzen und den Rätseln, deren Niveau sich im Bereich offensichtlich bis beleidigend einfach bewegen, stellt sicher, dass man das Spiel innerhalb einer halben Stunde durchspielen kann.
Wie es scheint, haben die PDS-Programmierer das Gewicht nicht auf den Spiel-Aspekt gelegt. Offensichtlich liegt der Fokus auf der Werbung. Diese ist allerdings im Gegensatz zu den meisten Werbespielen wirklich ins Spielgeschehen eingebettet, sie ist so gesehen das Spielgeschehen! Alle Charaktere sind (damalige) Politiker, jeder einzelne Gegenstand ist der Verusch einer Anspielung auf eine Regierungsentscheidung. Sogar die Räume und Decks des Raumschiffes sind nach Personen benannt!
Leider tötet diese politische Werbung schon ein bisschen den Spaß: Sie ist einfach zu penetrant! Keine hintergründige Satire, Holzhammer ist angesagt! Damit ich nicht missverstanden werden: Ich sehe das Spiel nicht als dumme Propaganda. In vielen Fällen werden zumindest die richtigen Dinge angesprochen. Aber das Spiel versucht, witzig zu sein. Nur ist der Humor eben auf Niveau von Dick & Doof oder Zirkusclowns! Nicht gerade das, was man von politischer Satire erwartet.
Die positiven Aspekte (professionelles Spieldesigns, faire und logische Rätsel) machen es trotzdem spielenswert. Alles in Allem kann es schließlich nie schaden, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive vorgestellt zu bekommen, oder? Und ist das nicht, worum es bei Demokratie eigentlich geht?

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