Die frühen 90er mögen eine tolle Zeit für neue Spiele gewesen sein, aber im Hinblick auf historisches Bewusstsein war es ein düsteres Zeitalter. Wie oft in sich erst entwickelnden Kunstformen blickte man auf alles etwas Betagte irgendwie peinlich berührt zurück. Computerspieldesign und -produktion wurde als reine Aufwärtsbewegung angesehen, alles wurde angenommen immer besser und besser. Warum also zurückblicken? Ein Paradigma, das sich gerade erst langsam aufzuweichen beginnt.
Entsprechend war es 1993 bei der Besprechung Strongholds keiner einzigen Erwähnung wert, dass Designer Don Daglow hiermit zu seinen Wurzeln zurückkehrte. Der Mann, der mit seinem Geniestreich Utopia 1982 sowohl das „Sim“-, als auch das Götterspiel aus der Taufe gehoben hatte. Heutzutage, da einem solche Zusammenhänge eher geläufig sind, rechtfertigt das doch sicher einen genaueren Blick, selbst wenn Stronghold zu seiner Zeit ein großer kommerzieller Flop war und heutzutage praktisch unbekannt ist.
So ganz nebenbei war es auch eines der experimentellsten Spiele, die SSI unter ihrer gerade auslaufenden exklusiven D&D-Lizenz veröffentlichte. Man könnte Stronghold als Städtebausimulator im Fantasyreich bezeichnen. Auf Basis einer Burg und wenigen Bewohnern gilt es, eine blühende Gemeinde aufzubauen, die sich aus einer oder mehreren Klassen des Regelwerks zusammensetzen kann (Kämpfer, Zwerg, Elf, Magier, Kleriker usw.).
Die zufällig erzeugte Karte unterteilt sich in rechteckige Felder, die jeweils von jeder Einheit in Besitz genommen werden kann, und auf denen dann Gebäude errichtet werden können. Basische, wie Wohnhäuser, Kornspeicher oder Felder, sind immer zu haben, doch jede Klasse hat ein paar spezifische Bauwerke sowie bestimmte Boni auf Fähigkeiten. Zwerge finden beispielsweise mit höherer Wahrscheinlichkeit wertvolle Erze im Gebirge. Entsprechend der Logik Sim Citys wächst die Bevölkerung, wenn sich das richtige Gleichgewicht aus bezahlbarem Wohnraum, ausreichendem Einkommen und verfügbarer Nahrung eingestellt hat, wodurch dann wiederum weitere Landstriche erschlossen werden können.
Irgendwann zeigen sich dann die Monster, die ebenfalls das Land bewohnen. Sie speisen sich ebenfalls aus dem D&D-Pool, wobei manche einigermaßen zivilisiert ebenfalls Gebäude errichten und gar nicht mal so aggressiv handeln (wenn man ihnen nicht zu nahe kommt); andere sind dagegen sofort auf Kampf aus. Je nach gewähltem Spielziel (in etwa: alle Gegner besiegen oder ein großes Reich aufbauen) gestalten sich solche Konflikte eher offensiv oder defensiv.
Interessanterweise wählt Stronghold statt der naheliegenden Vogelperspektive einen dreidimensionalen Blick in die Spielwelt. Der Ansatz ähnelt Lords of Midnight insofern, dass dieses Fenster eine „echte“ Perspektive bietet: Anstatt nur das aktuelle Feld vor einer generischen Landschaftstapete zu zeigen, sieht man im Hintergrund die tatsächlichen Landschaften der Weltkarte, inklusive der dortigen Gebäude. Das macht sich nicht nur optisch attraktiv (selbst Jahreszeiten wirken sich grafisch aus), sondern ergibt auch spielerisch Sinn, da es das Auffinden bestimmter Felder erleichtert. Was allerdings auch nötig ist, denn Allen in Allem lässt der Überblick doch zu wünschen übrig. Besondere Gebäude, von denen man bestimmte Aktionen auslöst, oder die man erweitern möchte, sind über die ansonsten recht nützlichen Statistikbildschirme leider nicht auffindbar.
Dies hängt negativ damit zusammen, dass sich nach der sehr motivierenden Einstiegsphase leider gegen Ende eine leider sehr langwierige, genretypische Routine einstellt. Irgendwann ist der bevorstehende Sieg des Spielers nur noch Formsache, unabhängig vom Spielziel. Trotzdem geht das Spiel immer noch weiter und weiter, bis es offiziell wird, da noch viele kleine Schritte zu machen sind.
Stronghold bemüht sich ernsthaft, das Micromanagement in späteren Spielphasen zu reduzieren. Beispielsweise können neu entstandene Einheiten standardmäßig angewiesen werden, neues Land zu erschließen und dort typische Bauvorhaben anzustoßen. Damit schreitet das Wachstum zumindest einigermaßen fort, selbst wenn der Spieler gerade anderweitig beschäftigt ist, setzt jedoch ein solides Fundament aus Nahrungslagerkapazität für den Winter (wenn die Ernteleistung sich verringert) und Goldeinkommen voraus.
An die Bewegung von Armeen muss man sich erstmal gewöhnen, aber im Kern ist die zugrundeliegende Idee sogar ziemlich schlau. Anstatt Einheiten einzeln herumzukommandieren, fordert man einfach eine beliebige Anzahl von Soldaten zu einem Punkt auf der Karte an. Auf Basis einfacher Kriterien machen sich dann entsprechend viele autonom auf den Weg. Klar, manchmal gerät so ein schlecht ausgebildeter Soldat versehentlich in ein Scharmützel, aber je weiter das Spiel fortschreitet, desto weniger macht das.
Manche andere Komfortfunktion sucht man dagegen vergeblich. Auch das setzen von Prioritäten zwischen dem Rekrutieren neuer Untertanen, Bauen und Trainieren pro Kartenfeld ist prinzipiell eine gute Idee. So kann man pro Region verschiedene Schwerpunkte setzen. Beispielsweise alle Ressourcen in die Konstruktion stecken in Neubaugebieten und dafür ein spezielles Trainingslager woanders einrichten? Doch ist es wirklich sinnvoll, das in Prozentschritten einzustellen? Nur wenige diskrete Kombinationen ergeben wirklich Sinn – und darüber hinaus wünscht man sich schnell eine Funktion, das für größere Gebiete gleichzeitig zu definieren.
Rückblickend betrachtet ist und bleibt die beste Spieleinstellung für mich das chaotische Spielziel (Bezwingung aller Gegner). Zwar dauert auch die Kriegsführung recht lange und ist irgendwann nicht mehr sonderlich spannend, aber immerhin zieht sie sich nicht ganz so wie immer und immer weiter erzwungene Expansion der Siedlung. In beiden Fällen steht man irgendwann keinen echten Gefahren mehr gegenüber. Andererseits ist der Krieg ohnehin nicht besonders interessant. Also wähle ich routiniert die eigentlich absurde Kombination aus formell chaotischem Ziel, aber dann friedlichem Vorgehen, bis die Machtbasis völlig stabil ist. Was wohl kaum der Intention der Designer entsprach. Womit also etwas während des Designs aus dem Ruder gelaufen sein muss.
Daglow identifizierte das nervige Micromanagent als inhärentes Problem und ließ sich Einiges einfallen. Manches funktioniert recht gut, manches nicht so sehr. Doch so sehr er darauf bedacht war, negative Auswirkungen in der Endphase des Spiels zu vermeiden, so sehr vergaß er es jedoch, eben diese gleiche Phase mit positiven neuen Anreizen zu versehen. Selbst wenn Frust also weitgehend vermieden wird, macht es einfach kaum noch Spaß.
Doch genau dieser Spaß ist, was die Anfangsphase jeder Partie bestimmt. Ob man nun einen Einzelcharakter oder eine ganze „Party“ übernimmt, ist gar nicht mal so sehr von Bedeutung. Die Stadt wachsen zu sehen, die schleichende Umstellung des Einkommens von Farmen und Minen hin zu planbareren Ressourcen wie Märkten und Manufakturen, der Aufbau von Verteidigungsanlagen – selbst im Sandkastenmodus völlig ohne Monster würde dies funktionieren. Sobald man ein stabiles Gleichgewicht erreicht hat, kann man die Partie aber auch mit gutem Gewissen beenden und einfach eine neue beginnen, da man irgendwann alle Gebäude schonmal errichtet hat und qualitativ nichts mehr Entscheidendes geschieht, um einen bei der Stange zu halten.
Kommentare (2) [Kommentar schreiben]