Dark Seed
für Amiga (OCS/ECS)

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Mr Creosote:Besucherwertung:
5/6
Firma: Cyberdreams
Jahr: 1992
Genre: Adventure
Thema: Sonstige Fantasy / Horror
Sprache: English, Francais, Castellano, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 41709
Rezension von Mr Creosote (12.09.2020)
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Große Lizenzen. Darin bestand anscheinend das Geschäftskonzept von Cyberdreams. Hans Ruedi Giger, der Vater surrealer biomechanischer Fantasykreaturen und vor allem bekannt durch den Film Alien, gab für ihr erstes Spiel, Dark Seed, seinen Namen her und Zugriff auf sein Archiv. Für Giger war es wahrscheinlich ein gutes Geschäft, da er aktiv keinen Finger rühren musste (Cyberdreams durfte sich nur an bestehenden Designs und Bildern bedienen), aber ebenso für die Neulinge in der Spieleindustrie, da Gigers Name gleich mal mediale Aufmerksamkeit brachte.

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If I could turn back time!

Ausgehend von der Giger-Lizenz versucht sich Dark Seed an dem eher seltenen Horroradventuregenre. Yuppie Mike Dawson, benannt nach und gespielt von dem Designer des Spiels, zieht in ein altes Herrenhaus am Rande eines kleinen Dorfes. Hier möchte er sich abseits des Stresses der Geschäftswelt Zeit nehmen, ein Buch zu schreiben. Die Kopfschmerzen, die ihn seit einiger Zeit plagen, werden jedoch nicht besser, sondern eher schlechter. In letzter Zeit auch gerne begleitet von verstörenden Träumen… ganz aktuell davon, wie ein Giger'sches Maschinenmonster ihm etwas in den Kopf einpflanzt.

Nun könnte man nach einer solchen Eröffnungssequenz ein blutiges Fest der Angst erwarten, liegt damit dann aber falsch. Schockeffekte folgen kaum. Ebenso ist die explizite Prosa (primär Raumbeschreibungen und wenige Dialoge) bestensfalls als plump zu bezeichnen. Vielmehr punktet die stellenweise verstörende Atmosphäre. Manchmal absichtlich, wie durch die seltsame Innendekoration des Hauses, die der vorige Bewohner vorgenommen hat. Oder das komische Mikro-Twin-Peaks, in dem niemand so richtig mit Dawson spricht. Anderes hat eventuell unabsichtlich den gleichen Effekt. So wenn beispielsweise Dawson – was noch viel seltsamer ist – auch seinerseits keine Anstalten macht, mit irgendjemandem zu interagieren.

Dieser Dawson ist schon ein seltsamer Typ. Einerseits wird er in der in der Anleitung abgedruckten Vorgeschichte stark charakterisiert, so dass man ihn keinesfalls als leere Projektionsfläche für den Spieler sehen kann. Andererseits geschehen im Spielverlauf um ihn herum und sogar mit ihm eine Menge schrecklicher Dinge und auf diese zeigt er praktisch keinerlei Reaktion. Was er erlebt, was er darüber denkt, wie er sich fühlt, teilt er mit niemandem. Die Dorfbewohner sind gerade mal für geschäftliche Interaktionen gut (Einkaufen im Gemischtwarenladen, Bücher aus der Bibliothek ausleihen…). Wenn Dawson ihnen vielleicht einfach nicht genug vertraut, warum ruft er dann nicht zum Beispiel einfach einen seiner engeren Freunde an?

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Und was fühlst du dabei, Mike?

All das nährt primär den Eindruck eines unzuverlässigen Erzählers. Finden all diese Geschehnisse rund um böse Wesen aus einer Paralleldimension nur in seinem Kopf statt? Ist all das, in Tradition des klassischen Horrorgenres, nur symbolisch für seinen zerfallenden Geisteszustand zu verstehen? Ist seine ganze Geschichte, d.h. das Spiel, das wir spielen, nur symbolisch?

Dabei kann man sich niemals klar sein, ob Dark Seed erzählerisch überhaupt so funktioniert wie konzeptuell mal gemeint. Zum Glück sparen sich die Designer irgendwelche Erklärungen und Auflösungen, sondern lassen alles offen. Selbst unnötige Wendungen bleiben einem erspart. Seven Keys to Baldpate ist dies nicht. Oder doch? Die größte Stärke des Spiels liegt darin, seinen Spieler in permanenter Unsicherheit über seinen eigenen Avatar zu belassen.

Grafisch verhalten sich die Dinge andersherum. Gute Absichten sind allseits zu erkennen, aber in der Umsetzung hapert es hier und da. Cyberdreams verwendete einen hochauflösenden Bildschirmmodus, unter der Behauptung, Giger selbst habe dies zur Bedingung gemacht. Doch ehrlich gesagt haben sie ein wenig geschummelt. Horizontal sind die Bildpunkte einfach verdoppelt. Vertikal ist das Bild immerhin etwas weniger verzerrt als in der originalen PC-Version, doch der Preis dafür ist Interlacing.

Beim Computerspielen sitzt man viel näher am Bildschirm als beim Fernsehen und so wird das Geflacker schnell nervig. Ohne Flickerfixer, also zusätzliche Hardware, war es praktisch unspielbar. Aber keine Angst: kein Problem im Emulator.

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Interlacing in Aktion

Die größte Ironie an der Erfüllung der Anforderung, eine „hohe“ Auflösung zu verwenden, liegt jedoch in der Gesamtbildkomposition. Effektiv ist der Bildschirmteil, der die Welt darstellt, ziemlich klein. Der Rest wird durch einen statischen Rahmen belegt, der spielerisch keinerlei Sinn hat. Dennoch ist die Optik eine der Stärken Dark Seeds. Meist rücken die Cyberdreams-Grafiker eine Giger-Kreation ins Zentrum der Aufmerksamkeit und füllen dann den Rest des Bildes stilistisch passend dazu selbst.

Unter der Oberfläche des Plots und hinter der grafischen Fassade schlummert das Gameplay, und leider befindet sich dies nochmal eine Qualitätsstufe weiter unten. Ein paar gute Designentscheidungen finden sich durchaus, aber jede davon wird auch zuverlässig von etwas anderem wieder heruntergezogen. Beispielsweise verarbeitet das Spiel den Wissensstand des Protagonisten, indem es bestimmte Hotspots erst dann sichtbar macht, wenn es einen plotinhärenten guten Grund dafür gibt, sie genauer in Augenschein zu nehmen. Hat der Auslöser für einen solchen Hotspot jedoch keinerlei erkennbaren kausalen Zusammenhang, dann führt dies nur zu Nerverei, da man als Spieler gezwungen wird, sämtliche Bildschirme nochmals im Detail abzusuchen.

Apropos Hotspots, das im Kontext des Spiels am häufigsten Zitierte Problem betrifft die Suche pixelgroßer Objekte, und ja, solche gibt es im Spiel. Die Haarnadel (zwei Pixel groß) ist nicht einmal das schlimmste; die Taschenuhr verschwimmt sogar farblich mit ihrem Hintergrund; und manchmal darf man sogar Hotspots auf anderen Hotspots finden, d.h. genau dort, wo man eigentlich gar nicht mehr suchen würde. Dass die meisten Hotspots des Spiels sogar recht großzügig bemessen sind, macht die Sache in der Relation sogar noch schlimmer.

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Einige Orte werden nur zugänglich, wenn man Rätsel auf der „anderen Seite“ löst

Und dann ist da noch die gespiegelte Dimension, zu der der Spieler schließlich Zugang erhält. Pervertierte Varianten der gleichen Orte finden sich dort und einige der stärksten Rätsel drehen sich darum, etwas auf der einen Seite zu manipulieren, und damit Effekte auf der anderen auszulösen. Cooles Konzept, aber leider nicht annähernd genug ausgeschlachtet. Salz in die Wunde streuen darüber hinaus diejenigen Rätsel, die aus reiner Adventurelogik bestehen; so beispielsweise die wohl lächerlich-aufwändigste Methode der Spielegeschichte, einen Stock zu beschaffen.

Stattdessen ergibt sich der Schwierigkeitsgrad aus der kontinuierlich fortlaufenden Zeit. Die häufigste Spielsituation ist tatsächlich, sich bereits in einer Sackgasse zu befinden, ohne davon zu wissen. Viel zu häufig endet das Spiel mit dem Tod, was nicht einmal so schlimm wäre, wüsste man zumindest, woran es lag. Berührt man einen unter Strom stehenden Hebel, ist das deutlich. Plötzlich am dritten Spieltag verhaftet zu werden, allerdings ohne Angabe eines Grundes löst dagegen nur Kopfkratzen darüber aus, wie und wann man das jetzt bitte verhindern kann. Ganz schlimm wird es, wenn man ein spielwichtiges Objekt „zu früh“ mitnimmt und es dann durch eine nicht vorhersehbare kausale Kette im entscheidenden Moment unzugänglich, wenn auch weiter sichtbar, wird.

Trotz all dieser Probleme bleibt das Spiel mit etwas Geduld schaffbar dank seines insgesamt geringen Umfangs. Ob diese Reise es wert ist, hängt stark von den Vorlieben des Spielers vor dem Fernseher ab. Mit Interesse an Adventuredesign und -geschichte finden ein paar schöne Innovationen. Wer einfach ein unterhaltsames Spiel sucht, wird dagegen eher enttäuscht. Echter Horror bleibt Mangelware. Doch blendet man das Gesamtbild mal aus, dann bietet Dark Seed immerhin eine seltsame Welt und einen Protagonisten, die beide viele Interpretationen zulassen und ihm gelingt damit eine stellenweise bemerkenswerte Atmosphäre. Ob nun beabsichtigt oder nicht; der Effekt ist es, was zählt.

Für Cyberdreams ging die Rechnung vorerst auf. Das Spiel wurde dank der Lizenz ein echter Hit und bekam deshalb einen direkten, allerdings deutlich weniger kommerziell erfolgreichen, Nachfolger. Ihre anderen Spiele versuchten in die gleiche Kerbe zu schlagen, aber die Namen Syd Mead oder Harlan Ellison erwiesen sich als weniger zugkräftig als Giger. Verhandlungen mit Gary Gygax und Wes Craven scheiterten und die Firma verschwand nach nur wenigen Jahren von der Bildfläche.

Archivierte Rezension(en) ↓

Rezension von Mr Creosote (04.09.2002)
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Darkseed ist eines der bekannteren Adventure der frühen 90er, hauptsächlich wohl wegen dem werbewirksamen Namen H.R. Giger, dem Schweizer Designer der Aliens. Der Protagonist ist gerade in eine alte Villa in einem kleinen Dorf eingezogen. Sie war ein richtiges Schnäppchen! Doch plötzlich bekommt er diese stechenden Kopfschmerzen, die sich nur mit großen Dosen Betäubungsmitteln ertragen lassen. Und seit der ersten Nacht in diesem Haus hat er auch diese schrecklichen Alpträume mit.... alienähnlichen Monstern.

Natürlich stimmt etwas nicht mit dem Haus, aber was genau, müsst ihr schon selbst herausfinden. Nur soviel: Dieser Teil des Spiels (die Horror-Ambiente) ist bei weitem der gelungenste! Mag es auch manchmal etwas dick aufgetragen sein, man muss ja nicht immer alles ganz so ernst nehmen.

In der Story gibt es aber noch viel schwächere Punkte. Warum wohnt der Protagonist schon in dem Haus, das noch ein vollkommen kaputtes Dach hat, dessen Küche unbenutzbar ist, und in dem er noch nicht mal in allen Räumen war? Warum läuft er immer nackt herum und warum sieht seine Haut wie Kleidung aus? Oder schläft er etwa in seinen Klamotten uind duscht auch damit? Warum spricht er nicht mit den Leuten aus dem Dorf, außer auf Geschäftsbasis („Ich möchte das kaufen“)? Von diesem Unsinn muss man schon eine Menge ertragen, damit einem das Spiel nicht völlig verdorben wird!

Das Spiel läuft mit einer typische Engine für Grafikadventures. Komplett mausgesteuert, der Cursor macht den Spieler auf wichtige Objekte aufmerksam, das Auswählen der Befehle ist einfach - alles genauso, wie man es sich wünscht! Leider gibt es auch hier wieder einen Haken: Manchmal muss man nach Gegenständen suchen, die exakt zwei Pixel groß sind. Wie konnten sie nur??? Ist das hier Sierra, oder was?

Darkseed ist sicherlich kein Spiel für Leute, die hauptsächlich auf knackige Puzzles aus sind. Dafür gibt es einfach überhaupt zu wenige, und selbst diese sind nicht besonders einfallsreich. Woraus die (begrenzte) Schwierigkeit hervorgeht ist die Echtzeit. Ja, schon wieder ein Adventure mit begrenzter Zeit. Jeden Spieltag (nachts muss man schlafen, das strukturiert das Spiel) hat man allerdings eine ganze Menge davon, so dass große Speicher/Ladeorgien ausbleiben.

Insgesamt bringt es Darkseed nicht zu einem wahren Klassiker. Das Spiel ist einfach zu schwach. Die Horrorambiente gleicht einiges davon aus, aber wiederum ist es nicht genug, um wirklich gut zu werden - da stehen wieder die logischen Löcher gegen. Was bleibt ist ein ganz gutes Adventure mit einigen guten Szenen.

Kommentare (3) [Kommentar schreiben]

Mr Creosote:
Puh, schwierig zu sagen. Die Gewichtung der Aspekte hat sich schon verschoben. 2002 fand ich sowas wie Sackgassen und Backtracking noch nicht so schlimm. Meine Geduld für sowas ist deutlich gesunken. Allerdings habe ich mir diesmal viel mehr (positive) Gedanken über die Zuverlässigkeit der Erzählung gemacht. Jene habe ich 2002 noch komplett als faktisch angenommen und war insofern damals eher enttäuscht angesichts der inhärent brüchigen Logik. Wenn man die als Absicht annimmt, wie diesmal, dann funktioniert der Teil wesentlich besser.
LostInSpace:
Hat dir das Spiel 2002 oder 2020 besser gefallen?
[Antworten]

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