Aus naheliegenden Gründen wurde Berlin der Schauplatz zahlloser Spionagegeschichten in allen Medien. Eine geteilte Stadt, der Westteil sozusagen eine Insel mitten im Ostblock. So lief die Stadt dem vormaligen Champion Istanbul locker den Rang ab. Gedanken an Finale in Berlin oder Das Quiller-Memorandum erfüllten mich mich großer Vorfreude, als ich zuerst East vs. West: Berlin 1948 ins Diskettenlaufwerk schob.
Ein Intro im Wochenschaustil setzt die Szene, deren Ton man sich von der beigelegten Audiokassette verinnerlichen darf. Der zweite Weltkrieg ist vor wenigen Jahren zu Ende gegangen. Mit der Blockade Berlins ist die Scheidungserklärung der vormals durch die gemeinsamen Feinde zusammengehaltenen Allianz offiziell. Die eiligst eingerichtete Luftbrücke bedeutete Widerstand und so hätte der Konflikt schnell „heiß“ werden können. Wie wir aus der Realität wissen, blieb es beim Kalten Krieg zwischen West- und Ostblock, doch Pläne für die Alternative lagen ganz sicher in den Schubladen.
Im fiktiven Spielszenario hat die US-Armee eine Atombombe in die Stadt geschmuggelt. Selbstverständlich nur, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Ahem… Doch dann ist ihnen die Bombe abhanden gekommen. Ahem… CIA-Agent Sam Porter sollte sie besser schnellstens wieder auftreiben, doch dabei tunlichst unbemerkt bleiben.
Der Beginn der Suche gestaltet sich noch recht eindeutig. Im Portemonnaie Sams findet sich eine erste Anlaufadresse und von dort wird man zum nächsten Ort weitergeschickt usw. usf. Doch hier zeigt sich ein Problem des Konzepts: Wie es so gestalten, dass es weder trivial, noch unlösbar wird? Bekommt man die nächste Station immer auf dem Silbertablett serviert, wird es zu einfach. Wohl deshalb sind in der Handlung mehrere Bruchstellen eingebaut, wo der Folgeschritt nicht direkt offensichtlich ist und Berlin ist eine große, unübersichtliche Stadt. Noch mehr als in seinem Vorgängerspiel Bozuma verlegt sich Designer Ralph Stock (später mit Mad TV zu verdientem Ruhm gekommen) erstmal auf die Simulation der breiten Spielwelt, in der der Spieler die Handlungsfäden gefälligst selbst zu finden, als solche zu identifizieren und zu verfolgen hat.
Was abstrakt betrachtet gar nicht mal so unrealistisch ist. Hätte man bereits eine allzu konkrete Spur, wäre Sams Einsatz eventuell unnötig. Und überhaupt, wahrscheinlich bestehen echte Kriminaluntersuchungen ebenfalls zum Großteil aus ziellosem Stochern im Dunkeln. Doch dies ist nicht die Realität und soll sie auch gar nicht sein. Gute Spionagethriller folgen einem anderen Muster, erzählen kompakt und scheren sich nicht groß um Realismus. Frei nach Hitchcock: Jede Unwahrscheinlichkeit, jeden Zufall schlucken die Zuschauer, wenn es nur spannend genug ist.
Das Spiel gibt sich einige Mühe, den Schauplatz interessant zu machen. Die Stadt bekommt durch die Passanten, die omnipräsenten Soldaten verschiedener Nationen, die redseligen Taxifahrer, die Schwarzmärkte und Warteschlangen vor den leergefegten Geschäften einiges Lokal- und Zeitkolorit. So ist das Herumstromern erstmal intrinsich nicht uninteressant. Nur im Sinne des Spielerfolgs eher ziellos.
Ist man dann wieder auf der Spur, lernt man die engere Spielerführung plötzlich zu schätzen. Von einem Hinweis hangelt man sich zum nächsten (bis zum nächsten Stolperstein). Überhaupt ist, dem Genre angemessen, die Hauptwährung Information. Das wenig intuitive Interface erlaubt sehr detaillierte Befragungen. Objekte sind eher zu untersuchen als einzustecken. Der Stadtplan ist ständiger Begleiter und auch die Audiokassette kommt noch ein zweites Mal zum lösungsessentiellen Einsatz. Das Führen detaillierter eigener Notizen versteht sich ohnehin von selbst.
Doch theoretische Qualitäten hin oder her, muss man doch eingestehen, dass das Spielen an sich zu mechanisch von Statten geht. Zu viel wertvolle Zeit geht dabei drauf, Fragen aus langen Modullisten zusammenzuklicken. Abseits des Lösungsweges haben die Charaktere leider praktisch niemals etwas zu sagen. Das tut der Lösbarkeit gut, da keine falschen Fährten eröffnet oder angedeutet werden, aber lässt die Interaktionen gefühlt noch langwieriger werden. Und wenn man etwas erfährt, muss man die eben genannten Orte überhaupt erstmal zu finden, wobei der viel zu kleine Bildschirmausschnitt nicht hilft. Taxis, die einen zur Wunschadresse fahren, kommen leider nur zufallsgesteuert vorbei, wenn man sich nicht gerade in der Nähe einer Taxirufsäule befindet. Andererseits blockieren einem natürlich garantiert dann Fahrzeuge oder Passanten den Weg, wenn man einen Verdächtigen verfolgt (was in der zweiten Spielhälfte zur Hauptbeschäftigung wird). Im Umkehrschluss ist auch die logische Abfolge des Geschehens nicht garantiert sauber. So kann man durchaus hier und da verfrüht auf dramaturgisch eigentlich erst später vorgesehene Ereignisse stoßen, die dann noch nicht wirklich Sinn ergeben. Was natürlich auch am Echtzeitansatz liegt: Die Spielwelt wartet nicht in allen Belangen auf den Protagonisten. Wieder realistisch, aber nicht notwendigerweise motivationsfördernd.
Also leider Alles in Allem eher durchwachsen. Schönes Thema, hoher Anspruch (man vergleiche, wie weit Stock seit dem Stein der Weisen gekommen ist!), umfangreiche Produktion – aber eben zu zerfasert und zu umständlich, um wirklich mitzureißen. Nach heutigen Maßstäben, nach Jahrzehnten der Aufmerksamkeitserosion, eher noch weniger erträglich als damals.
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