Die Siedler
für Amiga (OCS/ECS)
Auch verfügbar für: Amiga (OCS/ECS) (The Settlers)

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Mr Creosote:Besucherwertung:
4.8/6
Weitere Titel: Serf City
Firma: Blue Byte
Jahr: 1993
Genre: Strategie
Thema: Geschäftswelt / Cartoon & Comic / Multiplayer / Krieg
Sprache: Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 37696
Rezension von Mr Creosote (03.04.2021)
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Das eine Spiel, das mich in den 1990er Jahren am meisten beeindruckt hat, ist weder einer der Parallax-gescrollten Actiontitel oder einer der aufkommenden 3D-Shooter, noch eine der Am-Boden-Kugeln-Vor-Lachen-Comedys wie Monkey Island oder Eric the Unready. Reaktionsspiele können eine Zeit lang unterhalten, aber haben mich nie lange fesseln können. Durch ihre Geschichte bestimmte Spiele können beim ersten Durchgang hervorragend sein, jedoch ist diese Ersterfahrung niemals wiederholbar. Simulationen komplexer Weltmodelle versprechen dagegen unendliche Abwechslung. Sie dürfen „nur“ nicht zu simpel gestrickt oder zu trocken sein. Also Die Siedler.

Von der schmucken Burg aus, in deren Keller je nach Schwierigkeitsgrad mehr oder weniger Startressourcen lagern, soll man ein funktionierendes Wirtschaftssystem aufbauen. Idealerweise, bevor die anderen auf der Karte aktiven Spieler sich alle Rohstoffe schnappen. Ein Wald? Baum fällt! Felsen? Da passt der Steinhauer. Was könnte sich wohl in den Bergen verstecken? Eisenerz? Kohle? Vielleicht sogar Gold? Das werden die Prospektoren schon herausfinden und dann errichten wir Minen und holen es ans Tageslicht. Ach, der Wald ist abgeholzt? Dann könnten wir doch das Grünland jetzt für Getreideanbau verwenden.

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Ein Produktionsbaum

Das zugrundeliegende Wirtschaftsmodell trifft die perfekte Mischung aus Komplexität und Zugänglichkeit. Rohmaterialien können auf verschiedene Weise weiterverarbeitet werden, manchmal in mehr als einem Schritt. Gemahlenes Getreide kann zu Brot verarbeitet, oder an die Schweine verfüttert werden, die wiederum geschlachtet ebenfalls Nahrung ergeben. Fischerei liefert ganz direkt Nahrung, jedoch in begrenztem Maße. Kohle und Golderz ergeben zusammen Goldbarren, aber Kohle braucht man auch zur Eisenproduktion. Eisen kann wiederum zu Waffen oder Werkzeugen geschmiedet werden. Und so weiter.

D.h. Die Siedler ist einerseits ein Spiel über Prioritätensetzung. Es gibt niemals genug von Allem für Alles. Gute Entscheidungen zu treffen und diese immer wieder den Entwicklungen anzupassen ist der Schlüssel zum Erfolg. Welche Baustelle braucht am Dringendsten Holz? Welche Mine schreit am lautesten nach Essensrationen, damit die Minenarbeiter mal wieder etwas abbauen? Wobei das ja dann auch noch (mehrschrittig) weiterverarbeitet werden muss, bevor es nutzbar wird, d.h. folgende Schritte müssen nicht nur vorbereitet sein, sondern auch die Zeit mit einberechnet werden.

Zum Glück muss nichts davon kleinschrittig per Hand erledigt werden. Stattdessen können allgemeine Prioritäten in den Menüs eingestellt werden, nach denen die Spielfiguren dann autonom handeln. Menüs, die sich teilweise eventuell nicht sofort intuitiv erschließen, aber sobald man sie einmal durchschaut hat, möchte man sie nicht mehr missen!

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Pfadoptimierung ist essentiell

Andererseits dreht sich das Spiel auch um Flächenoptimierung. Eine Sägemühle in der Nähe des Waldes zu haben, ergibt Sinn, um die Transportwege kurz zu halten. Andererseits sollte man Bäume besser von den ausladenden Bauernhöfen fernhalten, um deren Ernteeffizienz nicht zu gefährden. Sollen alle momentan nicht gebrauchten Materialien wirklich zurück ins Zentrallager gebracht werden oder könnte man auch das Dezentralisieren?

Wo baut man am besten die großen Festungen hin angesichts des starken Schutzes, die sie umliegenden Gebäuden bieten, aber auch angesichts des Potentials als Trainingslager für die Soldaten? Wie dicht staffelt man die Wachgebäude, wenn man bedenkt, dass wenn sie große Gebiete abdecken, der Verlust desto schmerzlicher ist, aber andererseits eben auch direkt und indirekt Platz belegen (wovon man offensichtlich nie genug hat). Außerdem will man vielleicht seine Kräfte nicht zu sehr ausdünnen.

Das Fernziel der Herrschaft über die gesamte Karte teilt sich organisch in verschiedene Phasen oder Schritte. Erstens muss die Rohstoffproduktion zum Laufen gebracht werden. Zweitens der Zugang zu vielversprechenden Gegenden für den Erzabbau gesichert werden. Drittens Rohstoffe zu Gold gemacht werden (wörtlich und im übertragenen Sinne).

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Sieg auf dem Schlachtfeld!

Entscheidungen werden direkt auf der Landkarte getroffen. Kleine Siedler bewegen sich in Echtzeit umher, der Wuselfaktor reicht dank Sprites und Animationen an die Lemmings heran. Doch damit nicht genug. Der Wind weht durch die Baumwipfel, kleine Tiere bewegen sich herum… nicht davon hat direkte Relevanz für den Spielinhalt, aber zusammen mit der Musik und den Soundeffekten ergibt sich eine schön beruhigende Atmosphäre.

Technisch gesehen ist Die Siedler somit eine Sensation. Permanent ist auf dem Bildschirm so viel los und trotzdem bleibt alles flüssig; schwer zu glauben, dass dies immer noch der (fast) gleiche Computer ist, auf dem Mitte der 80er schon ein zweifarbiger umherhüpfender Ball die Kinnladen herunterklappen ließ.

Eine der wenigen kleinen Schwächen liegt wie bereits angedeutet in der Handhabung. Zwar ist die Absicht, den Spieler alles per Maus direkt auf der Karte erledigen zu lassen (und ansonsten iconbasierte Menüs anzubieten statt Textwüsten), sicht- und spürbar. Doch ob man nun links, rechts oder simultan erst das eine und dann das andere drückt, ist nicht unbedingt immer ersichtlich. Einmal erlernt funktioniert alles gut, so dass es nach Einarbeitung kein Problem mehr darstellt.

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Ab in den Kerker!

Dazu kommt die im Strategiegenre übliche lange Endphase. Im schlimmsten Fall stellt sich ein Zustand ein, in dem ein Spieler zwar eine klare Dominanz erreicht hat, aber trotzdem nicht mehr offiziell gewinnen kann. Was alles nur noch mehr für die Zufallskarten, auf denen die Spiele ihre eigenen Siegbedingungen definieren können, spricht. Im Gegensatz zu der vergessenswerten „Kampagne“, die ohnehin nichts anderes ist als eine willkürliche Aneinanderreihung vorgefertigter Karten ohne Zusammenhang.

Doch den Blick zurück gerichtet auf das Große und Ganze erfüllen Die Siedler all die Kriterien für die einsame Insel. Selbst wenn man die prinzipiellen Schritte nach ein paar Partien verinnerlicht hat, sorgt die immer andere Zusammenstellung, Reihenfolge und Priorität dank unterschiedlicher Gegebenheiten bezüglich Landschaft und Gegner doch immer wieder für neue Herausforderungen. Und ob man's glaubt oder nicht, wenn man nicht ganz allein ist auf seiner Insel, kann man sogar am gleichen Computer per Splitscreen gegeneinander antreten. Also bloß zwei Mäuse einpacken!

Archivierte Rezension(en) ↓

Rezension von Mr Creosote (09.02.2003)
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Britische und amerikanische Spiele behalten für die Veröffentlichung in Deutschland meist ihre Originalnamen - auch bei übersetzten Spielen. Das ist auch gut so, besonders wenn man sich die „angepassten“ Titel anguckt, die meist zwischen peinlich und sinnlos pendeln. Deutsche Firmen dagegen versuchen alles, um ihre Chance auf dem internationalen Markt zu erhöhen. Nicht dass es jemals funktioniert hätte, aber es gleich aufzugeben, wäre ja auch albern. Deshalb haben wohl so viele original deutsche Spiele englische Namen (neben der erhofften „Coolheit“ natürlich). Wenn man darin nichts Seltsames sieht, sollte man sich mal fragen, wie weit man selbst schon assimiliert ist. Was andererseits wohl beispielsweise US-Amerikaner sagen würden, wenn Spiele mit deutschen Namen bei ihnen herauskämen - sowohl von deutschen, als auch amerikanische Firmen?

Deren typische Argumentation gegen Originalnamen „ausländischer“ Spiele ist nun andererseits wieder die Arroganz, die Lächerlichkeiten wie bei diesem Spiel hervorbringen. Die direkte Übersetzung von Die Siedler ist natürlich The Settlers - soweit, so gut. Manchmal wird es aber auch auf verschiedenen Seiten als Serf City genannt - wahrscheinlich der US-Titel. Extrem nervig für eine internationale (und sogar zweisprachige) Seite! Besonders, weil es einfach so unnötig ist.

Dass Die Siedler Erfolg bei Kritikern und Kunden auch über Deutschlands Grenzen hinaus hatte, ist nicht überraschend. Es handelt sich allerdings schon um ein „urdeutsches“ Genre: Wirtschaftssimulation. Wirtschaft versteckt hinter einer schönen Fassade allerdings.

In einer zuerst leeren Landschaft muss man ein kleines „Königreich“ aufbauen. Zuerst wird ein Schloss errichtet, dass als zentrales Warenlager dient. Mit den vorhandenen Resourcen (je nach Mission / Szenario) kann man weitere Gebäude bauen.

Die zu verfügbaren Gebäude lassen sich in drei Gruppen einteilen: diejenigen, die Rohmaterialien aus der Natur gewinnen (z.B. Holzfäller, Minen), diejenigen, die Rohmaterialien weiterverarbeiten (z.B. Sägewerk, Schmiede) und die für das Militär.

Die letzteren haben die Funktion, die Grenzen des eigenen Landes auszuweiten und natürlich die anderen Gebäude zu schützen. Schutz wird wegen der anderen „Könige“ mit ihren Völkern gebraucht. Letztendlich ist ein militärischer Sieg nötig, aber im eigentlichen Spiel spielt das nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Womit man sich stattdessen beschäftigt ist der Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft. Die Produktionszusammenhänge zu verstehen ist von essentieller Bedeutung: Um Waffen zu produzieren brauchen Schmiede Kohle und Eisen. Eisen gewinnt man aus Eisenerz und Kohle. Beides kann aus Minen gefördert werden. Die Minenarbeiter verlangen für ihre Arbeit aber Nahrung. Diese kann entweder aus Brot (Bauernhof - Mühle - Bäckerei) oder Fleisch (Bauernhof - Schweinezucht - Schlachthof) bestehen. Wenn man dieses Beispiel nachvollziehen kann, hat man das ganze Spiel verstanden.

Anders als in den meisten ähnlichen Spielen muss man sich nicht nur um die bloße Existenz der geforderten Gebäude kümmern, sondern auch um ihre Verbindung. Man baut Straßen, auf denen kleine Männchen die Waren hin und her tragen. Wenn man die Straßen ineffektiv geplant hat (zu lang, zu steil), bekommt man Probleme, weil die Fabriken nichts zu tun haben.

Die Siedler ist was die Präsentation angeht ein für Deutschland untypisches Spiel. Es gibt durchaus die üblichen öden Statistiken und Menüs, aber sie sind von der normalen Spielansicht klar getrennt. Ein bisschen davon ist wohl für die Komplexität notwendig.

Der militärische Aspekt des Spiels ist zum Glück nur sehr klein und unwichtig. Sein Ausgang scheint nur eine direkte Konsequenz der wirtschaftlichen Leistung zu sein. Wenn es nach mir ginge, hätte man das auch ganz weglassen können. Wie es dann letztlich hätte umgesetzt werden sollen? Keine Ahnung, ich bin kein Spieledesigner, ich rezensiere sie nur ;) Dies ist einfach ein Wirtschaftsspiel, das nichts mit Krieg zu tun hat - eines der besten aller Zeiten.

Technische Anmerkung: Dieses Spiel benutzt das sogenannte „Overscanning“ des Amigas. Das bedeutet, dass es Teile des PAL-Bildschirms benutzt, die außerhalb der üblichen 320x256-Begrenzung liegen. Wer das Spiel per Emulator spielen will, sollte eine entsprechende Auflösung wählen. Auf echten Amigas hat man damit natürlich keine Probleme.

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