Sherlock Holmes: Another Bow
für C64

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Mr Creosote:
Firma: Bantam
Jahr: 1985
Genre: Adventure
Thema: Umsetzung eines anderen Mediums / Krimi
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 24579
Rezension von Mr Creosote (26.03.2022)
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Sherlock Holmes ist eine der literarischen Figuren, die weit über ihre eigenen ursprünglichen Geschichten gewachsen sind. Im Zeitalter der Rationalismus liebte die gebildete Leserschaft seine logische Deduktionstechnik. So weit, dass sein Schöpfer Arthur Conan Doyle sich gezwungen sah, seinen mittlerweile verhassten und bereits begrabenen Charakter wiederzubeleben. Die Faszination mit der Vorstellung, alles sei erklärbar, wenn man nur genau beobachtet und logisch denkt, bleibt auch heute ein vielgehegter Wunsch. Selbst wenn das Bild des legendären Detektivs mittlerweile von Sekundärquellen geprägt wird.

Trotz Guy Ritchie und Robert Downey Jr. ist der eine Mensch, der diesem Bild bis heute seinen stärksten Stempel aufgedrückt hat, William Gillette. Der Name mag den wenigsten geläufig sein, doch es war dieser Bühnendarsteller, der das Cliché des Holmes im schweren Mantel und mit Deerstalker-Mütze, permanent an einer gebogenen Pfeife ziehend, etablierte, was in den originalen Geschichten kein großes Thema war. Gillette, wie auch Arthur Conan Doyle und seine Frau sowie diverse weitere berühmte historische Figuren (von Houdini und Picasso zu Lawrence von Arabien und Thomas Edison) geben in diesem Spiel die Nebenrollen zu Holmes und Watson. Mehr Meta geht es nicht.

Diese Zusammenkunft ergibt sich nicht ganz zufällig auf einem Schiff auf dem Weg quer über den Atlantik. Nach Ende des ersten Weltkriegs planen Gillette und Doyle (im Spiel als „Agent“ Watsons bezeichnet) eine neue Holmes-Theatertournee durch die USA vor. Der sich bereits im Ruhestand befindliche Detektiv zeigt sich nur milde interessiert, stimmt aber einer Reise zu Werbezwecken zu – geködert von dem ebenfalls eingetroffenen Brief eines jungen Mannes, der behauptet sein Sohn zu sein. Der scheinbare Selbstmord eines Passagiers am ersten Abend der Reise ist nur der Anfang dessen, was in den nächsten fünf Tagen geschehen wird. Der alternde Holmes wird dabei nicht nur an den Rand seiner körperlichen Belastbarkeit gebracht, sondern es geraten noch mehrere andere Passagiere in akute Lebensgefahr…

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Ach ja, die Anleitung sollte man schon lesen

Another Bow ist eines der ersten offiziell lizensierten Holmes-Computerspiele. Es entstand unter dem kurzlebigen Softwarelabel des Buchverlags Bantam, und dort nahm man diese Aufgabe wohl sehr ernst. Zwar hatte das Adventuregenre bereits bewiesen, dass Erzählungen jenseits „erschlage den Drachen, befreie die Prinzessin und finde diese zehn Schätze“ mögliche waren, jedoch war die Kernspielmechanik trotzdem immer die der mechanischen Interaktion mit der physischen Welt geblieben. Selbst im Krimigenre, weitgehend von Deadline definiert, drehten sich Aktionen der Spieler primär darum, verschlossene Wege zu öffnen, Objekte aufzusammeln und sie anderswo mehr oder weniger logisch einzusetzen. In diesem Sinne hätte man im besten Fall ein Spiel erwarten können, in dem Sherlock Holmes Schlösser knackt, codierte Nachrichten entschlüsselt und Fallen entschärft.

Stattdessen gingen die Designer einen völlig anderen Weg, beschritten mutige Wege abseits der bereits etablierten Formel. Auf die Gestaltung einer physischen Welt voller mechanischer Interaktionen verzichteten sie weitgehend, sondern entwickelten alles ausgehend von Plot und Charakteren. Die räumliche Bewegung auf dem Schiff? Sekundär, man tippt einfach ein, wohin man möchte, Holmes und Watson finden schon einen Weg. Formt man aus Ton einen Schlüssel, härtet ihn über offenem Feuer und schließt damit eine Tür auf? Nein, das muss man nicht tun. Im Laufe des gesamten Spiels gibt es ungefähr fünf Objekte und selbst die werden jeweils nur zur sofortigen Untersuchung oder Verwendung aufgesammelt. Die Aktionen ergeben sich aus der erzählerischen Notwendigkeit (wenn diese auch ehrlich gesagt manchmal mehr nach einer pseudohistorischen Version des Denver-Clans erscheint als eine Holmes'sche Kriminalgeschichte), während in dem Genre normalerweise Spieleraktionen (im besten Fall) kleine erzählerische Schnippsel oder (das übliche faule, viel zu verbreitete Design) längliche Zwischensequenzen auslösen.

Daraus ergibt sich allerdings auch der größte Kritikpunkt des Spiels. Wo etwas Relevantes geschehen wird, ist schwer vorauszusehen. In einem Genre, in dem es hauptsächlich darum geht, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, schwierig. Die Designer nahmen sich diesem Problem mehr oder weniger elegant an. Besser läuft es, wenn dem Spieler visuelle oder auditive Hinweise (in Textform) gegeben werden, denen er folgen kann. Weniger subtil ist es, wenn Holmes oder Watson anlasslos Dinge der Marke „Ach ja, wollten Sie nicht heute Morgen bei X vorbeischauen?“ von sich geben.

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Jemand hatte ein Eigeninteresse an Mr Ryans Tod

Solch deutliche Hinweise könnten das Spiel allzu simpel machen und genau dies kann man Another Bow auch vorwerfen. Einigermaßen gelindert wird es, indem insgesamt sechs kleine Plots in die Spielwelt gewoben werden. Statt eines Kriminalfalls gibt es gleich mehrere. Wodurch jeder für sich natürlich weniger komplex ist, aber man muss erstmal identifizieren, was wozu gehört. Beim Durchspielen ist ein Teilerfolg sehr wahrscheinlich: Vielleicht verhindert man das eine oder andere Verbrechen, schnappt einen oder zwei Bösewichte, aber das ist natürlich längst noch nicht alles.

Genau genommen wird der Spieler somit in eine ziemlich passive Rolle gedrängt. Die Plotzweige schreiten wie vordefiniert voran. Zwar teilweise parallel und überlappend, aber doch in ihrer vorgegebenen, linearen Ordnung. Dem Spieler bleibt wenig Aktionsraum, abgesehen vom Beobachten, um schließlich im letzten Moment ein Verbrechen doch noch zu verhindern.

Immerhin ermutigt diese Struktur zum freien Entdeckung und Experimentieren, selbst in Bereichen der Geschichte, die man eigentlich bereits abgeschlossen wähnt. Das Spiel bietet diesbezüglich eine breite Möglichkeit an Eingaben, die sinnvoll beantwortet werden, selbst wenn sie nicht direkt zur konkreten Lösung beitragen. Die Erzählung im Präteritum hilft diesbezüglich ebenfalls. Watson wählt durchaus mal eine Zusammenfassung der Sorte „Holmes sprach mit Mr X, aber eröffnete mir später, es sei Zeitverschwendung gewesen.“ Richtig erkannt, es muss nicht alles auserzählt werden.

All dies muss 1985 schwieriger zu akzeptieren gewesen sein als heute. Insbesondere wird Spielern schnell aufgehen, dass nur sehr wenige Befehle überhaupt notwendig sind zum Erreichen des „perfekten“ Endes. Geht man Another Bow als Spiel an, das es zu lösen gilt, bietet es zugegeben nicht besonders viel. Sieht man es andererseits als interaktive Weise, die Geschichte zu erleben, möglichst viel aus ihr herauszuholen, ist es nicht nur ein bemerkenswertes Experiment, sondern bietet auch eine schöne Zeit für Kenner. Selbst wenn nicht alle Pfade, die es einschlägt, komplett ausgestaltet sind.

Rezension von Mr Creosote (22.04.2002)
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Ganze Generationen wurden mittlerweile von Sir Arthur Conan Doyles berühmtesten Charakter unterhalten. 221b Baker Street wurde zu einem Museum für eine Person, die niemals dort gelebt, ja sogar niemals existiert hat! Und nur wegen einer zufälligen (?) Wahl eines Autors, der noch keine Ahnung hatte, was er gerade geschaffen hatte. Die Bekanntheit Sherlock Holmes' geht sogar so weit, dass eine Menge Leute glauben, er sei ein historischer Charakter!

Sherlock Holmes: Another Bow protzt mit dem Namen Bantams (dem Verlag der Bücher selber) auf dem Titelbildschirm. Als Konsequenz (?) ist es wie ein Buch aufgebaut: linear. Meistens bekommt man direkt oder auf sehr direkte Weise indirekt gesagt, wo man als nächstes hingehen soll. Und das ist dann auch schon meistens ein Gutteil der Lösung. Wie bei seinen „echten“ Fällen kommt er durch Beobachtung zur Lösung, nicht durch Handeln. Es geht also darum, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Der Plot entfaltet sich auf einem Schiff. Der 1. Weltkrieg ist gerade vorbei. Sherlock Holmes hat sich schon lange von seinem Beruf zurückgezogen. Er und Dr. Watson reisen in illustrer Gesellschaft historischer Persönlichkeiten. Und natürlich, wie überall, wo der Meisterdetektiv auftaucht, werden Pläne und Verschwürungen im Hintergrund geschmiedet. Die genaue Vorgeschichte ist in der Anleitung erzählt (das sollte man auf jeden Fall lesen, sonst verliert man schnell im Gewirr der Namen die Übersicht).

Insgesamt gibt es sechs Fälle in nur fünf Tagen an Bord (von denen der erste nicht spielbar ist) zu lösen. Diese Fälle geschehen nicht schön geordnet nacheinander - schließlich stimmen die Bösewichte ihre Aktionen nicht ab. Also ist es sehr wohl möglich (und wahrscheinlich), dass man nicht alle beim ersten Spielen löst. Um vollständig zu gewinnen, muss man alle in einer Sitzung schaffen. Aber durchspielen ist auch mit nur einem Teil möglich.

Die parallele Struktur und das daraus resultierende Spielelement, den Spieler die Beobachtungen zu den verschiedenen Handlungssträngen zuordnen zu lassen, gleicht den linearen Aufbau und den Mangel echter Rätsel wett. Weiterhin sind die Texte gut geschrieben, die Story ist gelungen. Das Spiel wird aus der Perspektive Dr. Watsons erzählt, was etwas verwirrend sein kann, da man Sherlock Holmes spielt. Wenn man z.B. etwas untersucht, bekommen man logischerweise Watsons Beschreibung, nicht Holmes'. Und manchmal wird sogar nur die Beschreibung von Holmes' Handlungen ausgeworfen, was natürlich noch weniger bringt.

Die Spielengine ist rein textbasiert und der Parser folgt nicht dem traditionellen Infocom-Standard. Man kann beispielsweise mit Leuten reden („talk to“) und zu Orten gehen („go to“). Aber er funktioniert gut genug, wenn man sich auf das Wesentliche beschränkt. Die Grafik ist nicht allzu spektakulär: Der momentane Aufenthaltsraum wird als Hintergrund eingeblendet, darüber kommen Charakterporträts der Anwesenden. Diese Porträts passen stylistisch, und das ist auch schon alles, was man über die Grafik sagen kann.

Insgesamt ein Adventure für Anfänger. Es ist kein Problem, es an einem Abend durchzuspielen, wenn man die Einführung in der Anleitung und die Texte im Spiel genau liest. Aber das Spiel entlohnt einen genügend. Und sobald man alle Rätsel gelüftet und alle Fälle gelöst hat, kann man ja immer noch herumlaufen, und Unsinn verzapfen - es gibt ein paar richtig witzige Szenen, wenn man einfach unlogische Sachen versucht! Eine Designphilosophie, die leider mit den Textadventures untergegangen ist.

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