Murder on the Zinderneuf
für Atari 400/800

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Mr Creosote:
Firma: Free Fall Associates / Electronic Arts
Jahr: 1983
Genre: Adventure
Thema: Brettspiel / Krimi
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 11650
Rezension von Mr Creosote (02.03.2013)
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Ein Krimi funktioniert in abgeschlossenen Räumlichkeiten immer besonders gut, da dem Publikum vermittelt wird, der Fall sei transparent lösbar, da ja schließlich alle Informationen vorlägen. Agatha Christie wusste das, als sie den Klassiker des Genres, Mord im Orientexpress, schrieb, und seitdem gab es immer wieder neue Werke, die sich der gleichen bewährten Formel bedienten. Im Spezialfall eines Zuges gibt es jedoch inhärente Probleme mit der Abgeschlossenheit des Handlungsraumes: Ein Zug kann prinzipiell jederzeit anhalten, spätestens an der nächsten Station können Personen zu- oder aussteigen. Deshalb bedient sich Orient Express dem Schneesturm in der Abgeschiedenheit der jugoslawischen Einöde. Keine solchen Verrenkungen sind notwendig, wenn dagegen als Handlungsort ein fliegendes Gefährt gewählt wird, das sich über einem Ozean bewegt, so dass dies die wohl noch dankbarere Variante ist. Die Zinderneuf ist ein Zeppelin – bestens geeignet aufgrund der vergleichsweise langen Reisezeit über den Atlantik! Das Luftschiff befindet sich gerade auf halben Wege von London nach New York, als sich ein Mord ereignet. Der Spieler, in der Rolle eines Detektivs oder einer Detektivin, hat nun 15 Verdächtige zur Auswahl und zwölf Stunden Zeit, den richtigen herauszupicken.

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Was könnte das bedeuten?

Spielerisch bekommt man die zu erwartenden ermittlerischen Aktivitäten: Räume nach Indizien zu durchsuchen und Verdächtige zu befragen. Ersteres macht die Spielfigur automatisch durch gezieltes Herumlaufen in einem Raum, bevorzugt während man nicht durch die Anwesenheit anderer Personen gestört wird, bis das Spiel irgendwann von sich aus verkündet, ob man etwas gefunden hat oder nicht. Die Befragung der Verdächtigen ist da schon komplexer. Nicht nur muss man die richtigen Themen setzen, sondern auch die Art und Weise, wie man jemanden ausquetschen will. Für viele Gegenüber ist ein sachlicher Tonfall angebracht, aber manchmal ist es auch geschickter, sich naiv zu stellen, um Jemanden in Sicherheit zu wiegen (die Columbo-Masche) – oder im Gegenteil auf hart zu spielen. Eine klug platzierte Beschuldigung kann ebenfalls unerwartete Geständnisse provozieren.

Der Trick dabei: Die zentralen Elemente des Kriminalfalls werden bei jedem Start neu ausgewürfelt. Opfer, Mörder, Motiv, Indizien sowie einige Beziehungen zwischen den Passagieren sind also von Fall zu Fall verschieden. Der Spieler selbst kann den Fortgang der Geschichte darüber hinaus dadurch beeinflussen, dass er einen von acht zur Verfügung stehenden Detektivcharakteren (allesamt inspiriert von berühmten Vorbildern aus Literatur und Film) auswählen kann. Die Kombination des Protagonisten mit den leicht dem Fall angepassten Verdächtigen kann so zu sehr unterschiedlicher Dynamik führen.

Murder on the Zinderneuf kann man also als aufgebohrte Version von Cluedo bezeichnen. Aufgrund der zusätzlichen Freiheitsgrade spielt es sich jedoch weniger formelhaft. Der Spieler bewegt sich in (beschleunigter) Echtzeit frei durch das Luftschiff, ebenso wie die anderen (noch lebendigen) Passagiere. Dem Spiel gelingt es, ihre Aktionen autonom und sinnvoll erscheinen zu lassen. Wenn ein Charakter sich in die Kabine eines anderen Passagiers begibt, dann ist das nicht das Resultat eines zufällig bestimmten Bewegungsmusters, sondern es bedeutet etwas; ob nun im Hinblick auf den Mord oder nicht, das bleibt herauszufinden. Natürlich, und auch das ist bezüglich des Eindrucks einer realistischen und lebendigen Welt nicht zu unterschätzen, gibt es auch zahlreiche falsche Fährten. Diese von den relevanten Hinweisen zu trennen und letztere gegen den richtigen Verdächtigen zu verwenden, macht das Spiel aus. Die deduktiven Schlüsse muss man jedoch selbst ziehen (und dazu ist die Anfertigung von Notizen geradezu Pflicht): Anders als in den meisten neueren Spielen erscheinen in Zinderneuf keine „Denkblasen“ über dem Kopf des Protagonisten, die einem irgendetwas verraten, worauf man selbst noch gar nicht gekommen ist. Die Reaktionen der Verdächtigen passen sich jedoch immerhin den bereits gefundenen Indizien an.

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Schöne Aussicht

Zum Glück gestalten sich die Fälle niemals zu komplex. Die Zinderneuf wird zwar in der Dokumentation als „riesiges“ Luftschiff bezeichnet, aber tatsächlich reisen immer nur 17 Passagiere mit: der Detektiv, das Opfer und 15 Verdächtige (zum Vergleich: die historische Hindenburg konnte immerhin rund 70 Passagiere transportieren). Die zwölf Spielzeitstunden werden immer in genau 36 Minuten abgehandelt, so dass die Gesamtzeit, die man mit einer Partie verbringen muss, klar beschränkt ist. Eine gute halbe Stunde ist dabei eine gute Wahl, da man so eine Partie locker an einem Stück zu Ende bringen kann und auch nicht signifikant Freizeit opfern muss. Spielerisch bedeutet die zeitliche Beschränkung, dass die Lösung mittels vollständigem Ausprobieren aller Möglichkeiten nicht praktikabel ist: Man wird gezwungen, logische Schlüsse zu ziehen und entsprechend zu priorisieren, also das Spiel fair zu spielen.

Zu Zeiten, in denen Adventures praktisch immer noch gleichbedeutend mit Textparsern waren, wagte Murder on the Zinderneuf insofern ein Experiment, dass nicht nur die Darstellung, sondern auch die Interaktion mit dem Spiel beinahe komplett grafisch geschieht. Der Spieler bewegt ein kleines Detektivsprite durch das – aus heutiger Sicht hochabstrakte, aber seinerzeit recht sehenswert dargestellte – in der Vogelperspektive zu sehende Luftschiff. Die Verdächtigen bewegen sich ebenfalls umher und sie sind größtenteils gut rein optisch unterscheidbar. Soundtechnisch gibt es die üblichen Laufpiepsgeräusche der 80er Jahre sowie den Lärm des Motors (dessen Intensität sich nach der momentanen Position des Protagonisten im Schiff richtet).

Aus heutiger Sicht könnte man es also so bewerten, dass weder die zweckmäßige audiovisuelle Präsentation, noch die intuitiv-simple Steuerung dem Spielspaß im Wege stehen. Komplexität und Schwierigkeitsgrad sind auf die Bedürfnisse gelegentlicher Hobbydetektive abgestimmt und das Clichébild vergangener Zeiten stimmt. Wärmstens empfohlen!

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