Extreme Paintbrawl
für PC

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Herr M.:
Firma: Creative Carnage / Head Games
Jahr: 1998
Genre: Action, Sport
Thema: Kämpfen / Multiplayer / Mannschaftssportarten
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 21715
Rezension von Herr M. (27.04.2013)
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Was macht einen gelungenen Ego-Shooter aus? Gute Grafik, fordernde Gegner, abwechslungsreiches Waffenarsenal, kreatives Karten-Design, flüssige Steuerung, atmosphärische Geräuschkulisse und vielleicht noch eine spannende Handlung, die alles gekonnt abrundet, sind sicher ganz oben auf der Liste jener Dinge, die den meisten Spielern als erstes einfallen dürften. Doch nur die wenigsten werden dabei an Extreme Paintbrawl denken. Warum? Das Konzept klingt doch ganz nett: Paintball ist ein unverbrauchtes Szenario. Zur Abwechslung seine Gegner nicht in blutige Einzelteile zu zerlegen, sondern sie nur zur Aufgabe zu zwingen hat auch etwas für sich. Zwei Gruppen, die je eine Fahne verteidigen ist zwar Genre-Standard, aber gerade hier passt es doch hervorragend. Doch wenn man sieht, wie das ganze umgesetzt wurde, stellt sich rasch Ernüchterung ein.

Fangen wir mit dem an, was einem als erstes ins Auge springt: Die Grafik. Diese hinterlässt gleich beim Hauptmenü, welches aus ein paar unsagbar hässlichen, vorgerenderten Bildern besteht, einen äußerst schlechten Eindruck. Zum Glück wurde für den Hauptteil des Spiels, das Kernstück des tatsächlichen Paintball-Kampfes, die Build-Engine verwendet, die zuvor, äußerst erfolgreich, in Spielen wie Duke Nukem 3D und Blood zum Einsatz gekommen war. Bei Extreme Paintbrawl wirkt sie für 1998 einfach nicht mehr zeitgemäß. Theoretisch werden zwar (für ein DOS-Spiel) recht hohe Auflösungen unterstützt, was aber angesichts der mangelnden, da eintönigen, Texturen und den grob-klotzigen Objekten nur von geringer Wirkung ist. Außerdem sticht ohnehin die Flachheit der Figuren und auch Teilen der Szenerie zu sehr hervor: Diese sind nämlich in 2D gehalten, was ungefähr Mitte der 90er Jahre Standard war (siehe Doom), gegen Ende der Dekade aber doch schon ein wenig altbacken wirkte (zur Erinnerung: Im selben Jahr erschienen System Shock 2 und Half-Life). Doch damit nicht genug: Es gibt im ganzen Spiel nur zwei Figuren, eine männliche und eine weibliche, und diese haben ein Minimum an Animationen: Gehen, Kriechen und Hände hoch Halten. Auch die Waffen spotten jeglicher Beschreibung: Aus einem grobschlächtigen 2D-Lauf, der wenigstens von Gewehr zu Gewehr leicht variiert, fliegt immer die gleiche blaue (oder rote) Farbkugel, die immer den gleichen traurigen Farbklecks hinterlässt.

Es mag nur wenig überraschen, dass sich das Schussverhalten der Waffen adäquat zu ihrem Aussehen verhält. Auch wenn sie noch so sehr als Gewehre hochstilisiert werden, sie schießen wie etwas bessere Steinschleudern. Selbst mit dem als „Sniper“ titulierten Ding, beschreiben die Kugeln nach dem Abfeuern eindeutige Wurfparabeln. Das lässt Schüsse auf größere Entfernung zur reinen Glückssache werden. Es erklärt auch das fehlen eines Fadenkreuzes. Noch spannender wird es, wenn man versucht während des Laufens zu schießen, eine Handlung, die normalerweise recht üblich ist in Ego-Shootern (ich erinnere nur an den guten alten Circle-Strafe). In einem Anfall von entweder Realitäts-Wahn oder Bugophilie wurde nämlich die Zielgenauigkeit für Schüsse aus der Bewegung drastisch herabgesetzt. So drastisch sogar, dass es beinahe unmöglich ist irgendetwas gezielt zu treffen, sobald man auch nur den kleinsten Schritt macht. Die typische Angriffssequenz sieht damit folgendermaßen aus: Herumlaufen um Gegner zu suchen, blitzschnell stehen bleiben, sobald man einen erspäht, Distanz für die Wurfparabel richtig einschätzen und hoffen, dass man innerhalb von zwei, drei Schüssen trifft.

Ist dies nämlich nicht der Fall, kommt der nächste schwere Programmierfehler mit voller Wucht zu tragen: Die künstliche Intelligenz der gegnerischen Bots. Diese kann man nur als eine wahrhaft zwiegespaltene Persönlichkeit bezeichnen. In ihrem Grundzustand ist sie strohdumm: Der typische Computer-Paintbrawler steht gerne in der Gegend herum, läuft gelegentlich in eine willkürliche Richtung und vermittelt kaum den Eindruck irgendetwas von seiner Umwelt (wie beispielsweise die Wand neben ihn oder dieses Tür-Ding) zu begreifen. Damit haben sie so gut wie keine Chance aufeinander zu treffen, oder gar jemals die gegnerische Flagge zu Gesicht zu bekommen. Für ihr zufallsgesteuertes Vorgehen sind damit schon die ohnehin winzigen Karten zu groß. Doch wie oben bereits angedeutet, gibt es eine Situation in der sie unheimlich gefährlich werden: Im Feindkontakt. Kommt man einer feindlichen Einheit zu nahe oder schießt auf sie, beginnt diese überraschenderweise zurückzuschießen. Und das mit tödlicher Präzision, unglaublicher Sturheit und unendlicher Munition. Im Gegensatz zu den menschlichen Mitspielern hat sie keinerlei Zielschwierigkeiten und schießt auch gerne einmal aus ihrem Rücken heraus. Wenn sie einmal zu ballern angefangen hat, hört sie nie wieder damit auf: Sie zielt einfach auf den am nächsten stehenden Gegner, egal wie weit er entfernt ist oder was dazwischen liegen mag, und feuert fröhlich vor sich hin. Lustigerweise verhalten sich freundliche Einheiten genauso, wenn man sie unter Beschuss nimmt. Traurigerweise ist dies die einzige Möglichkeit mit ihnen auch nur irgendwie zu interagieren.

Ob man eine Partie gewinnt oder verliert hängt also sehr stark davon ab, ob man eine KI „aktiviert“ hat. Denn wenn sie einmal vor sich hinballert, ist sie so gut wie nicht mehr zu treffen. Die unausgewogene Treffergenauigkeit in Kombination mit der Tatsache, dass man nach dem ersten Treffer ausscheidet (immerhin kann man dann noch zu einem der verbliebenen Gruppenmitgliedern wechseln) begleitet von dem Nerven zermürbenden, ununterbrochenen Tick-Schussgeräusch (nebenher bemerkt die ganze Geräuschkulisse) machen dies zu einem frustrierend unmöglichen Unterfangen. Es sei denn es kommt zu einem der Totalaussetzer, die gelegentlich vorkommen, bei denen sämtliche Farbbälle nichts mehr bewirken, die KI komplett still steht und man seelenruhig zur feindlichen Flagge spazieren kann um sofort zu gewinnen. Generell stellt auf kürzestem Wege zur feindlichen Fahne zu rennen (die andere Option für maximale Punkte die gegnerische Mannschaft komplett zu bezwingen sollte man sich aus dem Kopf schlagen) die einzig realistische Gewinnstrategie dar, da man hier den geringsten Feindkontakt hat. Zumindest in der Theorie, denn tatsächlich hängt es sehr stark davon ab, wie viele Bots es zustande bringen ihren Startpunkt zu verlassen.

Und was hat man davon, wenn man es tatsächlich schafft zu gewinnen? Nach einem knappen Gratulationsbildschirm wird einem eine mehr oder weniger kleine Dollar-Summe in die Gruppenkassa überwiesen. Mit dem Geld bezahlt man seine Teamkameraden (fürs Rumstehen), kauft sich neue (angeblich bessere) Paintball-Gewehre und stockt Munition auf. Letzteres sollte man nicht übertreiben, denn man fängt nach jeder Partie wieder bei Null an, alle überschüssige Farbkugeln und Pressluftflaschen bleiben auf dem „Schlachtfeld“ zurück. Theoretisch könnte man auch die Gruppenzusammenstellung zwischen den Spielen ändern, die Frage ist nur: Wofür? Ob sie nun 5/4/6 oder 8/7/9 haben, sie verhalten sich alle wie 0/0/0. Nach jedem Kampf kann man außerdem seinen aktuellen Rang in der Liga überprüfen, ohne dass man ersehen könnte, wie dieser Zustande kommt.

Außer dem Liga-Modus kann man noch Einzelgefechte bestreiten, bei denen genau das gleiche wie in den Liga-Turnieren abläuft, außer dass man gleich mit der „besten“ Bewaffnung spielt. Oder man erkundet in einem „Übungsmodus“, von Feinden und Freunden ungestört, die Karten, was viel vom Charme eines leeren Online-Servers hat, auf dem keiner spielen will. Einmal abgesehen davon, dass diese Erkundung für die sehr geradlinigen Karten kaum nötig ist.

Es kann sein, dass sich sehr viele dieser Probleme in einem Spiel mit menschlichen Gegner etwas relativieren, ja vielleicht verschwinden sie sogar. Leider war niemand für eine solche Merhspielerpartie zu begeistern… vor allem nicht nachdem sie die Einzelspieler-Version gesehen hatten. Selbst wenn, so hätte ich meine Zweifel, dass dies überhaupt hingehauen hätte, da das Spiel schon im Solo-Modus nur mit einigen Tricks und Kniffen starten wollte. Das Hauptproblem besteht darin, dass das Menü auf Windows 95/98/ME basiert, während der Shooter-Teil in MS-DOS läuft. Es gibt wohl nur noch sehr wenige Systeme, die dies nativ unterstützen dürften. Wobei diese Kombination sicher auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kaum eine sonderlich benutzerfreundliche Lösung war. Ich hatte das Glück, dass die auf Windows basierenden Menüs auf einem meiner Testrechner funktionierten (auf anderen streikten sie mit sehr schönen, sich zigmal wiederholenden, schweren Ausnahmefehlern), so dass ich nur noch in einer Batch-Datei, die die Schnittstelle bildet, die DOS-Kommandos mit entsprechenden DOSBox-Befehlen ersetzen musste. Bei wem der Windows-Teil nicht klappt, der wird sich wohl nach einer virtuellen Maschine umsehen müssen.

Die Frage ist nur, ob es diese Mühen wert ist. Offen gesagt: Ich persönlich hatte mehr Freude daran, dass Spiel zum Laufen zu bringen, als es dann tatsächlich zu spielen. Dies liegt schlicht und ergreifend daran, dass Extreme Paintbrawl in so ziemlich allen eingangs erwähnten Punkten völlig versagt: Die Grafik war damals wohl nicht mal mehr mittelprächtig, heutzutage ist sie eher jämmerlich. Die Gegner sind zwar höllisch fordernd, aber aus den völlig falschen Gründen. Die Steuerung versagt beim wichtigsten Element überhaupt: dem namensgebenden Schießen. Die Karten sind völlig austauschbar. Die Waffen bewegen sich auf dem Niveau von Spritzpistolen. Die Geräuschkulisse ist einfach erbärmlich. Und die Handlung… nun welche Handlung? Damit dürfte die Frage, warum niemand mehr an dieses Spiel denkt, ausführlich geklärt sein.

An und für sich wäre Extreme Paintbrawl ein extrem guter Kandidat für eine Extrem-Wertung (Verzeihung, das musste einfach sein :)). Zwei Dinge gibt es aber, die mich dazu bewegen, es nicht als „der letzte Schrott, hätte niemals produziert werden dürfen“ zu deklarieren: Erstens hat der Versuch die völlig unfair spielenden Gegner zu besiegen, zumindest am Anfang, einen gewissen Reiz. Wer nach einem wirklich schweren Schooter sucht, wird hier sehr gut bedient. Es hat etwas von dem Masochismus als völliger Frischling zum ersten mal auf einem Server eines der größeren Online-Shooter aufzutauchen. Zweitens geistert mir 1 der 6 Lieder des Soundtracks unaufhörlich im Kopf herum, weil es wirklich genial ist: Vivaldis Vier Jahreszeiten - Frühling gespielt auf E-Gitarren (siehe Downloads!). Was den Rest betrifft: Der wäre besser Schweigen.

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