Micro Machines
für Amiga (OCS/ECS)

MicroMachines.jpg
Herr M.:Mr Creosote:Gesamt:
4/6
Besucherwertung:
3/6
Firma: Codemasters
Jahr: 1993
Genre: Action
Thema: Umsetzung eines anderen Mediums / Fahren / Multiplayer
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 15380
Rezension von Mr Creosote, Herr M. (29.03.2014)
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[Herr M.] Fast jeder von uns hat wohl seine motorisierte Laufbahn mit Spielzeugautos begonnen, mit mehr oder weniger großen Modellen der großen Vorbilder. Namen wie Matchbox, Majorette oder Hot Wheels werden so gut wie jedem etwas sagen. Alle diese Autos kommen in etwa im gleichen Maßstab daher, eben zündholzschachtelgroß, und doch gibt es ein paar Ausreißer, wie beispielsweise die Micro Machines: Autos, die sich auf extreme Miniaturisierung spezialisiert haben.

[Mr Creosote] Eine kurze Weile lang waren diese Spielzeuge sogar sehr populär. Mein Bruder hatte auch ein paar. Das tolle war, dass man praktisch eine komplette, fertig aufgebaute Stadt mit zugehörigem Straßensatz in einem kleinen Köfferchen mit sich herumtragen konnte, wenn man beispielsweise Freunde besuchen und dort die Sammlungen zusammentragen wollte.

[Herr M.] Ich selbst hatte ja leider nie welche, aber was mich immer daran fasziniert hat, war die riesige Auswahl an solchen Miniatur-Fahrzeugen: Von herkömmlichen Autos, über Hubschraubern bis hin zum Flugzeugträger. Und selbst letzterer war nicht viel größer als eine Schuhschachtel. Ein wenig geht da die Handlichkeit auf Kosten der Kompaktheit, aber das Konzept, mit solchen Miniflitzern durch die Gegend zu rasen, hat einen gewissen Reiz.

Computerisiertes Spielzeug

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Ein schnelles Rennen während des Frühstücks

[Mr Creosote] Dieser ganz eigene Charme wirkt sich natürlich auf die Machart des Computerspiels, über das wir sprechen wollen, aus: Es ist stilsicher ganz in Spielzeugoptik gehalten.

[Herr M.] Stimmt, man rast mit seinen Vehikeln durch die für sie ganz typischen Spielgegenden, wie beispielsweise den guten alten Küchentisch, den Sandkasten oder auch die Badewanne.

[Mr Creosote] Eben dort, wo man als Kind spielen würde. Anstatt das Spiel dort anzusiedeln, was man sich als Kind vorstellen könnte, wo die Rennen stattfinden würden. Also ein genau gegenteiliger Ansatz zu dem von seiner Herkunft nicht unähnlichen Hot-Wheels-Computerspiel.

[Herr M.] Das einzige was noch „fehlen“ würde, sind die Hände, die die Fahrzeuge anschieben, und schon wäre man fast wieder in Kindheitstage zurückversetzt. Trotzdem ist das Spiel nicht nur für Kinder gedacht, denn so bunt Grafik und Präsentation auch sein mögen, das Spiel dahinter weiß durchaus auch Erwachsene zu unterhalten.

[Mr Creosote] Ich würde sogar behaupten: Es richtet sich primär an eine ältere Zielgruppe als die Spielzeuge selbst. Vielleicht nicht notwendigerweise Erwachsene, aber schon mindestens Teenager, die sich bereits leicht nostalgisch ihrer eigenen Kindheit erinnern, würde ich vermuten.

[Herr M.] Wofür sicher auch der teils nicht zu verachtende Schwierigkeitsgrad spricht. Denn die Rennen laufen schnell, chaotisch und teils ein wenig dreckig ab.

Kopf-an-Kopf-Rennen

[Mr Creosote] „Dreckig“ ist schon genau das richtige Stichwort, das ganz primär das Spielgeschehen bestimmt. Was besonders durch den sehr originellen primären Spielmodus wichtig wird, denn neben dem eher „normalen“ Rennen gegen jeweils drei andere Wagen, bei dem es immer zur nächsten Strecke weitergeht, wenn man mindestens den zweiten Platz erreicht, gibt es den „Head-to-Head“-Modus, mit dem wohl jeder dieses Spiel verbindet.

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Hurra, ein Punkt mehr!

[Herr M.] Dieser geht das Problem, zwei Spieler vor einem Computer zu vereinen, statt mit einem geteilten Bildschirm, auf eher ungewöhnliche, aber sehr effektive Art und Weise an: Beide Spieler bewegen sich mit ihren Fahrzeugen auf dem gleichen Streckenabschnitt und es gilt, seinem Kontrahenten so weit vorauszueilen, dass man ihn aus dem sichtbaren Abschnitt hinausbefördert. Eigentlich sehr simpel, aber durchaus genial, weil sich damit eine völlig andere Art der Hektik einstellt.

[Mr Creosote] Es vermeidet eben das sonst eigentlich immer auftretende Problem, dass man kaum „gegeneinander“ fährt, sondern sich einfach jeweils nur auf der gleichen Strecke, aber auf verschiedenen Abschnitten bewegt. Micro Machines garantiert so auf geniale Weise permanente Interaktion zwischen den Spielern, was die Sache viel spannender macht: Ein Fahrfehler ganz am Anfang kostet einen nur einen Punkt, den man sich wiederholen kann, nicht gleich das ganze Rennen. Und es verführt natürlich zum erwähnten „schmutzigen“ Fahren…

[Herr M.] Weil es eben nur allzu verlockend ist, seinen Gegner buchstäblich über die Kante zu stoßen. Dem zugute kommt, dass das Kollisionsmodell recht elastisch ist, sprich ein Stoß kann ein Gefährt schon mal ganz schön durch die Gegend schleudern. Einfach wild drauf los rammen führt aber dennoch nicht zum Ziel: Man muss schon ein wenig Geschick zeigen, weil man sonst recht schnell selbst nach hinten katapultiert wird.

[Mr Creosote] Man stößt den Gegner vom Tisch runter oder eben gegen eines der zahlreichen kleinen Hindernisse (von der Billiardkugel bis zum Anspitzer) – aber geht eben auch die Gefahr ein, selbst herunterzustürzen oder irgendwo gegenzufahren. Was natürlich gerade dann passiert, wenn man die Strecken nicht in- und auswendig kennt; aber selbst Profis passiert das zum Glück noch.

Auf und Ab

[Mr Creosote] Da muss man sagen: Viele der Strecken sind diesbezüglich sehr gut ausgelegt, auch im Bezug auf die Fairness der relativen Positionen der Fahrer zueinander (d.h. dass nicht immer der gleiche am gefährlichen Rand fahren muss).

[Herr M.] Was in punkto Positionen allerdings nicht ganz so gut hinhaut ist, wann jemand als führend gilt und wann nicht, sprich es mangelt ein wenig an der Punktevergabe. Es kommt nicht selten vor, dass man sich ganz nach vorne vorarbeitet und den letzten kleinen Schritt zum vermeintlichen Punkt macht, und dann feststellt, dass der Gegner angeblich weiter vorne war. Teils kann man es vielleicht noch nachvollziehen, weil man etwas abseits der Strecke gefahren ist, manchmal scheint die Zuweisung aber ein wenig willkürlich.

[Mr Creosote] Ja, das betrifft ja dann sozusagen die Kollisionsabfrage der Bildschirmränder und die darauffolgende Auswertung, wer als führend angesehen wird. Das ist tatsächlich teilweise unideal. Um nur ein offensichtliches Beispiel zu nennen: Man kann durchaus auch dann einen Punkt zugesprochen bekommen, wenn man gerade in einen Abgrund stürzt.

[Herr M.] Was allerdings hingegen hervorragend funktioniert ist, wie sehr dieses System den führenden Fahrer fordert und gleichzeitig den etwas weiter hinter liegenden unterstützt. Wenn man die Strecke nicht gerade in- und auswendig kennt, ist es verdammt schwer (aber auch ungemein spannend), ganz weit vorne zu fahren und zu erraten, wie die Strecke denn nun weiter geht. Manchmal ist es da fast ratsam, seinen Gegner ein wenig aufholen zu lassen und auf eine bessere Gelegenheit zu warten, um zu punkten.

[Mr Creosote] Stimmt, das verbessert die Spielbalance ungemein, den führenden Spieler so zu benachteiligen. Dagegen halten kann ich aber wiederum die Startpositionen der Wagen: Durch den Spielmodus kommt es immer wieder vor, dass beide Wagen neu auf die Strecke gesetzt werden. Das geschieht allerdings an kurvigen Stellen manchmal sehr asymmetrisch, d.h. die jeweiligen Startpositionen liegen unfair weit auseinander.

[Herr M.] Was aber ganz gut hinhaut ist, dass die Spieler möglichst zeitgleich plaziert werden. Dadurch kann es zu sehr amüsanten Situationen kommen, wie z.B. in den Boots-Rennen, in denen Strudel auftauchen, an denen man nur an einer sehr engen Stelle vorbeikommen kann. Werden beide Spieler durch den Sog hinabgezogen, tauchen sie gleichzeitig wieder auf und dann gilt es wirklich geschickt zu manövrieren, sowohl dem anderen Spieler auszuweichen, als auch dem Strudel zu entkommen.

[Mr Creosote] Und man muss sich halt, wenn man doch mal vom Spiel schlecht (d.h. unfair) behandelt wurde, immer wieder klar machen, dass es sich letztlich immer ausgleichen wird: Manchmal trifft das Spiel eine nicht nachvollziehbare Entscheidung gegen, manchmal aber auch für einen. Man könnte fast sagen: Das heizt in gewisser Weise die Stimmung auf dem Sofa sogar noch an!

[Herr M.] Schlimmstenfalls, wenn es allzu offensichtlich war, dass da der Computer-Schiedsrichter völlig versagt hat, kann man den Punkt ja selbst umverteilen, ein bisschen Kooperation und Fairness sollte bei aller Konfrontation schon drinnen sein. Nicht unerwähnt bleiben sollte da auch gleich die Möglichkeit eines Handicaps: Bei sehr ungleicher Spielerfahrung kann der etwas versiertere Spieler seinen Wagen ein wenig zurückschrauben, so dass er eine kleine Spur langsamer fährt. Das gleicht in der Regel den Trainingsvorsprung ganz gut aus.

Von der Werkbank in den Garten und zurück

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Sammle sie alle!

[Mr Creosote] Nun haben wir ja schon mehrfach die Wagen erwähnt; das schöne an den Spielzeug-Micro-Machines war ja auch, dass so eine breite Spanne verschiedener Gefährte abgedeckt wurde. So findet sich das dann auch im Spiel wieder, wobei sich die verschiedenen Autos größtenteils über ihre Geschwindigkeit und Bodenhaftung definieren. Haariger wird's dann mit den Booten, Hubschraubern und Panzern (!).

[Herr M.] Letztere können tatsächlich schießen, was aber eher zu einem netten Gadget verkommt, da es in der Regel zu ungenau ist und es schon exzellenter Schützen für einen Treffer bedarf. Deutlicher ins Gewicht fällt da schon ihr Mangel an Manövierfähigkeit, der schon sehr vorausschauendes Fahren fordert.

[Mr Creosote] Erfahrene Panzerfahrer manövrieren ihr Gefährt übrigens rückwärts, um so den Gegner auf Distanz zu halten ;) Die schwammigere Steuerfähigkeit zeigt sich aber natürlich besonders bei den Booten, was ich persönlich ganz witzig finde. Überhaupt keinen Spaß haben mir dagegen die Hubschrauber gemacht: Da bleibt man irgendwie dauernd an Büschen und Hecken hängen!

[Herr M.] Dieser Endruck kommt wohl vor allem daher, dass bei diesen die Büsche und Hecken beinahe die einzigen Hindernisse sind. Bei allen anderen Fahrzeugen führt man zumindest den ein oder anderen Sprung durch, fährt an gefährlichen Kanten entlang oder bleibt an Kleberflecken hängen. Die Hubschrauber gleichen da eher einer Eisenbahn: Es gibt nur einen fix abgesteckten Weg, den man stur folgen muss. Das macht sie zwar ein wenig einzigartig, aber zugegebenermaßen auch einzigartig langweilig.

[Mr Creosote] Gut, es kann halt nicht nur Treffer geben. Genug Potential für Abwechslung ist durch die verschiedenen Gefährte und Streckentypen auf jeden Fall gegeben. Etwas schade ist, dass das jedoch nur wenig ausgespielt wird: Als Einzelspieler muss man die Strecken immer in vorgegebener Reihenfolge erspielen. Das kann schon recht ermüdend sein.

[Herr M.] Durch die Unzahl an Strecken, deren zunehmenden Schwierigkeitsgrad und die immer schneller fahrenden Computergegner bei gleichzeitig fehlender Speicher- oder Passwortfunktion würde ich es sogar als unschaffbar bezeichnen. Spätestens wenn man nach zig Rennen wieder ganz von vorne anfangen muss, vergeht einem da die Lust darauf, sich abermals daran zu versuchen, bis zum Ende vorzudringen.

[Mr Creosote] Es ist schon schade, dass man Einzelspieler so sehr vernachlässigt hat, und sei es nur, dass man ihnen dadurch die ernsthafte Trainingsmöglichkeit für den Multiplayerteil nimmt.

[Herr M.] Nun, zum Strecken auswendiglernen ist er so gesehen nicht mal so verkehrt, zumindest für die ersten paar Strecken, die man sehr oft fahren darf, ehe man sie genug verinnerlicht hat, um zu den späteren vorzudringen. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Rennen sind sehr lustig, an Motivation mangelt es also gewiss nicht, im Gegenteil man möchte ja alle Strecken fahren. Es ist nur schade, dass das aufgrund des Umfangs beinahe unmöglich ist.

[Mr Creosote] Man wird dann halt irgendwann in den ersten paar Strecken zum regelrechten Profi, aber bei denjenigen, die dann spannender werden, bleibt man Anfänger, da man dahin ja erstmal immer wieder vordringen muss. Es macht zweifellos Spaß, aber so durchdacht wie der Zweispielermodus ist es leider lange nicht.

[Herr M.] Eines gibt es allerdings, das mir am Einzelspieler-Modus sehr gut gefällt: Eine Art Zeit-Rennen, bei dem man nicht gegen den Computer, sondern gegen die Stoppuhr antritt. Da diese speziellen Strecken sehr trickreich designt sind, machen sie einen Mordsspaß. Zu dumm nur, dass sie ebenfalls darunter zu leiden haben, dass man sie nur fahren kann, wenn man alle anderen vorher gefahren ist.

Foto-Finish

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Zu guter letzt: Ein wohlverdienter Sieg!

[Mr Creosote] Es ist also eigentlich genau umgekehrt wie beim Spielkonzept: Dort hat man eine hervorragende Idee gehabt (den Head-to-Head-Modus), ihn aber technisch mit (nur kleinen) Macken umgesetzt. Bei der Optionsvielfalt des Einzelspielermodus war man dagegen einfach zu faul und einfallslos, während technisch alles klaglos läuft.

[Herr M.] Das ist sehr gut auf den Punkt gebracht. So gut die einzelnen Teile auch sind, beim Gesamtbild hapert es leider ein wenig. Es fehlt der letzte Feinschliff, das Abrunden mancher Kanten. Sicher ist das Spiel auch ohne diesen sehr gelungen, weil nichts absolut Unentbehrliches fehlt. Es bietet sich nur leider immer wieder der Eindruck, dass da noch Verbesserungspotential vorhanden gewesen wäre.

[Mr Creosote] Diesen Feinschliff bekam die Fangemeinde dann in Form eines zweiten Teils (den wir evtl. auch irgendwann nochmal besprechen sollten) nachgeliefert. Doch auch für sich ist Micro Machines tatsächlich schon ein nicht zu verachtender Wurf. Es räumt recht gründlich mit sehr, sehr vielen eingefahrenen Rennspielclichés auf und überholt damit locker ein Großteil des Konkurrenzfeldes.

[Herr M.] Man könnte fast sagen, es stößt diese Konkurrenz geschickt über die Kante. Schon allein weil das Szenario recht unverbraucht ist, und es dereinst ein ganz eigenes Genre abseits der doch schon recht abgedroschenen Arcade-Rennspiele begründet hat.

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