Private Eye
für PC (Windows)

01.jpg
Mr Creosote:
Weitere Titel: Philip Marlowe: Private Eye
Firma: Simon & Schuster Interactive
Jahr: 1996
Genre: Adventure
Thema: Umsetzung eines anderen Mediums / Cartoon & Comic / Krimi
Sprache: English, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 9997
Rezension von Mr Creosote (10.05.2014)
Avatar

Die kleine Schwester hatte es schon immer schwer. Der Roman wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als diese Art der harten Detektivgeschichte sich bereits trendtechnisch auf dem absteigenden Ast befand. Hollywood wandte sich ebenfalls dem Genre ab, so dass er anders als die vorhergegangenen Marlowe-Geschichten nicht mehr zeitnah, sondern erst 20 Jahre später verfilmt wurde. Also zu einer Zeit, also Humphrey Bogart definitiv nicht mehr zur Verfügung stand. Und seinen Namen verlor er auch, der Film nannte sich Der Dritte im Hinterhalt bzw. einfach Marlowe. Doch nichts davon sollte man als Qualitätsmaß verstehen, und selbst das Auftauchen Bruce Lees auf der Besetzungsliste sollte man nicht so ernst nehmen – sowohl der Roman, als auch der Film sind kleine Geheimtipps.

Weitere 27 Jahre später wurde der Roman ein weiteres Mal adaptiert. Wieder ging der Name verloren, es hieß nun nur noch Private Eye (so wie auch die Fernsehsehrie aus den 80er Jahren). Rein auf der extrinsischen Information des Hauptthemas dieser Webseite könnte man nun annehmen, dass es sich bei diesem Private Eye um ein Computerspiel handeln könnte. Diese These werden wir mal im Folgenden auf die Probe stellen.

08.png

Tatsächlich fällt auf, dass die augenfälligsten Qualitäten Private Eyes nicht mit Aktivitäten in Verbindung stehen, die man selbst im weitesten Sinne als „Spielen“ bezeichnen könnte. Es gibt sich optisch im Stil eines 1940er-Jahre-Cartoons, indem Cel-Shading auf die animierten Charaktere angewendet wird; leider bleibt diese Technik von den Hintergründen fern. Es ist offensichtlich, welcher Teil der Grafik besser gealtert ist: Auch wenn die Figuren durch die sparsame Animation manchmal etwas steif wirken, wirken frühe 3D-Renderings einfach immer schrecklich schäbig aus heutiger Sicht. Im Vergleich zu vielen Spielen der Zeit macht sich Private Eye aber immer noch optisch gut insgesamt.

Ergänzt wird dieser Look durch einen angemessenen, aber nicht besonders hervorstechenden Jazz-Soundtrack sowie – viel essentieller – einem beeindruckenden Ensemble von Sprechern, die allesamt sehr gute Arbeit mit ihren Figuren leisten. Dem männlichen Hauptdarsteller, dem durch seine Off-Erzählung so viel Zeit zukommt, gelingt es, genau den richtigen Tonfall zu finden, um die Fans des 40er-Jahre-Kinos zu beglücken, ohne in allzu einfache, schlechte parodistische Züge zu verfallen. Das gilt zumindest, wenn man die englische Originalversion spielt. Die deutsche Tonspur wurde dagegen völlig versemmelt. Was noch nicht mal direkt der Fehler der Sprecher ist, sondern der der Entscheider, die versucht haben, Akzente „entsprechend“ zu übertragen – und so beispielsweise einen texanischen Ölbaron in einen Schwaben verwandeln. Es gibt schon einen Grund, dass professionelle Synchronstudios mit Akzenten eher vorsichtig umgehen, sie von den Originalen her eher abschwächen – die deutsche Version von Private Eye ist akustisch kaum erträglich!

14.png

Was die Handlung angeht bekommt man genau das verworrene, beinahe unentschlüsselbare Chaos, an das man von Chandler gewohnt ist. Was heißen soll, dass man sich dicht an den Originalplot, aus dem keine größeren Charaktere entfernt oder Szenen geschnitten oder geändert wurden, hält. Den Einbau eines alternativen Plots, in dem die Ausgangslage Marlowes, der angeheuert wird, den verschwundenen Bruder eines Landeis zu finden und dadurch in den Fall eines Eispickelkillers, der im Umfeld eines Hollywoodstudios agiert, verwickelt wird, erhalten bleibt, in dem sich Identität und Motiv des Killers jedoch ändert, muss man ebenfalls gutheißen.

Wie klar einem diese Plotwendungen zumindest halbwegs werden, hängt stark vom Verhalten der Person vor dem Bildschirm ab. Was zu der großen Frage überleitet, auf die wahrscheinlich ohnehin alle warten: Was ist denn nun mit der Interaktion? Was ist überhaupt das Spielprinzip? Tja, die meiste Zeit sieht man einfach passiv zu, wie der Plot sich entwickelt. Was er mehr oder weniger von alleine tut. Hauptaufgabe des Spielers ist es, den nächsten Ort auszuwählen, nachdem die aktuelle Szene beendet ist. Diese Wahl löst dann das nächste Video aus. Meist wird dabei recht deutlich kommuniziert, wo man sich tunlichst als nächstes hinbewegen sollte, um die Geschichte voranzutreiben. Von Zeit zu Zeit kommen kleine Verzweigungsentscheidungen in der Mitte der Videos hinzu („Ich konnte sie vom Haken lassen oder auf weitere Informationen drängen“), die dann den weiteren Verlauf der Szene leicht verändern.

19.png

Der Höhepunkt der Interaktion, und dies ist es dann auch, wodurch Private Eye zumindest zum Kandidaten für den Titel „Spiel“ wird, besteht aus ein paar Räumen (beinahe wortwörtlich ein Paar; um genau zu sein sind es vier), die der Spieler interaktiv nach Indizien durchsuchen kann: Man untersucht eine Leiche, durchwühlt Schubladen, wirft einen Blick unters Bett und entscheidet sich, was man einsackt und was man stattdessen lieber unberührt lässt.

Und genau hier löst sich dann der Knoten der Fähigkeit, dem Plot zu folgen: Ob der Spieler Hinweise, die häufig in Form von Zeitungen, Magazinen oder hingekritzelten Notizzetteln auftreten, aktiv wahrnimmt oder nicht – Marlowe (der Stellvertreter des Spielers im Spiel) wird all das aufsaugen, verarbeiten und seine Schlussfolgerungen in einer der nächsten Szenen gnadenlos präsentieren. So kann es leicht und mit steigender Häufigkeit passieren, dass der Protagonist, der sich mehr und mehr von der Person, die ihn eigentlich steuern (spielen) sollte, entfernt, plötzlich über Ereignisse und Verbindungen spricht, die einem völlig unbekannt vorkommen. Passenderweise gilt es sogar noch in gesteigerter Form für die Handlungen anderer Charaktere, die recht zufallsgesteuert scheinen, anstatt auf Spieleraktivitäten zu reagieren (wie eigentlich im Genre üblich). Eine weitere Quelle für ein wenig Frust, wenn man beispielsweise auf einen wichtigen Telefonanruf oder Ähnliches wartet.

Dadurch, dass die Rolle des Spielers recht weit von der eines Akteurs zu der eines Beobachters reduziert wird, fällt es schwer, Private Eye als Spiel zu empfehlen. Als halbwegs interaktiver Cartoon, dessen Interaktion eher darin liegt, den Takt des Umblätterns zu bestimmen, ist es zweifellos gut gelungen – ein dunkler, stimmungsvoller Cartoon könnte es durchaus wert sein, für sich angesehen zu werden, auch ohne dass ein wirklich interaktives Spiel dahintersteht. Es hängt ganz von den eigenen Erwartungen ab.

Kommentare (1) [Kommentar schreiben]

[Antworten]

Quiz