Valiant Hearts: The Great War
für PC (Windows)

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Herr M.:
Firma: Ubisoft Montpellier Studios / Ubisoft
Jahr: 2014
Genre: Action, Adventure, Denkspiel
Thema: Cartoon & Comic / Fahren / Lernspiel / Kämpfen / Historisch / Krieg
Sprache: English, German, Français, Italiano, Русский, Nederlands
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 11600
Rezension von Herr M. (23.08.2014)
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Während meine Spielfigur zum Finale von Valiant Hearts: The Great War langsam dem Sonnenaufgang entgegen wandert, lasse ich noch einmal den Weg, der mich bis hierher gebracht hat, vor meinen Augen Revue passieren. Bedenkt man, dass jener zum größten Teil durch die Schlachtfelder des 1. Weltkriegs geführt hat, war es eine überraschend abwechslungsreiche Reise, die nicht nur voller Schrecken war, sondern auch eine Reihe sehr schöner Erinnerungen in sich birgt. Es sind aber wohl auch gerade diese Kontraste gewesen, die für ein emotionales Auf und Ab sorgten, welches nun die Gefühle nur umso intensiver erscheinen lässt. Der Beginn kommt mir nun schon fast ein wenig unwirklich vor, doch gleich wird die Erzählung ein Ende finden, und ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt eine solche Erfüllung beim Abschluss eines Spiels empfunden habe.

Dies ist sicher der äußerst fesselnden Handlung zu verdanken, die es gekonnt versteht, die Schicksale einer kleinen Gruppe von Menschen durch die Wirrungen des 1. Weltkriegs miteinander zu verknüpfen, um sie gemeinsam die Höhen und Tiefen dieser krisenhaften Zeit durchleben zu lassen. Sehr angenehm ist dabei, dass jene eigentlich ganz normale Leute sind, und damit nicht zu den üblichen Heldenfiguren gehören, wie sie nur allzu gerne in anderen Spielen, die in vergleichbaren Konflikt angesiedelt sind, vorkommen. Ihre Ziele gehen also über ein einfaches Töten eines Feindes nach dem anderen hinaus; im Gegenteil, eigentlich wollen sie (größtenteils) nur sicher gehen, dass sie und ihre Liebsten diesen Alptraum möglichst unbeschadet überstehen. Und das macht sie ungemein menschlich, wodurch man sich so leicht mit ihnen identifizieren kann, so schnell mit ihnen leidet aber auch lacht.

Etwas ungewöhnlich ist auch die Art und Weise wie diese Geschichte präsentiert wird. Die von Hand gezeichneten Hintergründe und Figuren gehen nicht nur nahtlos ineinander über, sondern sorgen auch für eine sehr zeitlose Ästhetik, die sich wohl am besten als interaktiver Comicroman beschreiben lässt. Dieser Eindruck wird durch das gelegentliche Einblenden zusätzlicher Bilder, in denen Nebenhandlungen dargestellt werden, verstärkt. Statt der üblichen Sprechblasen kommt man aber nicht nur ohne eingeblendeten Text, sondern sogar beinahe ohne jegliche Sprache: So eine Figur einem etwas mitteilen will, tut sie dies mit Piktogrammen, begleitet von einem Geplapper in einem Kauderwelsch, in dem man vereinzelt Wörter bestimmter Sprachen erkennen mag, dessen eigentlicher Zweck aber eher die Übermittlung der mit der Botschaft verbundenen Gefühle ist.

Dies mag anfangs ein wenig befremdlich, wenn nicht vielleicht sogar lächerlich wirken (sobald deutsche Soldaten etwa so Klassiker wie „Sauerkraut“ loswerden), doch mit diesem Schritt erreichen die Entwickler einen genialen Effekt: Selbst ohne alle der vielen Sprachen der an dieser Westfront zusammentreffenden Parteien zu sprechen, versteht man sofort, was einem das Gegenüber mitteilen will, und hat gleichzeitig den Eindruck, dass jeder in seiner eigenen Sprache spricht. Dadurch erkennt man nicht nur sofort, wer zu welchem Lager gehört, sondern bekommt gerade unter großem Stress, etwa aus der Panik in den Stimmen seiner Begleiter, so viel schneller mit, was in den anderen vor sich geht, als dies bei elends langen Monologen der Fall wäre. Das einzige, was einem dabei eventuell abgehen könnte, ist, dass man solcherart natürlich keine echten Konversationen führen kann.

Da es sich bei dem Spiel um ein Rätselsadventure mit Geschicklichkeitseinlagen handelt, fällt dies allerdings nicht so schwer ins Gewicht. Am besten lässt sich der übliche Ablauf wohl als eine abgespeckte Variante von Lemmings oder Lost Vikings beschreiben. Jede der vier Figuren, die man (hier in fix vorgegebener Reihenfolge) kontrolliert, hat bestimmte Fähigkeiten (wie Graben, Sprengen oder Kriechen), mit denen man sich entweder selbst seinen Weg bahnt, oder anderen Personen ein Weiterkommen oder eine Flucht ermöglicht. Als recht nützlich erweist sich zudem ein Nebencharakter, ein Rettungshund, den man nicht direkt steuern kann, sondern dem man nur indirekt Befehle erteilen kann. Nebenbei sei hier auch noch erwähnt, dass einem der kleine Kerl recht rasch ans Herz wächst und mit seinem munteren Gemüt für ein wenig Auflockerung sorgt.

Des öfteren hat man es auf seinen Wegen mit Logik- und Kombinationspuzzles zu tun, etwas seltener tauchen Quick-Time-Events auf, in denen man etwa mit einem Auto Hindernissen ausweicht oder Erste Hilfe in Form von rhythmischen Tastenschlägen leistet. Nebenher gibt es stets das optionale Sekundärziel, allerlei historische Gegenstände zu suchen, die in den Levels versteckt wurden. Dies stellt sich im Nachhinein betrachtet aber eher als den Spielfluss hemmend heraus, da man sie nur allzu leicht übersieht, so dass man die ganze Ebene wieder und wieder abklappern darf. Man ist zwar nicht dazu verpflichtet, sie alle zu finden, aber der Ehrgeiz lässt einem dann doch keine Ruhe.

Immerhin sind es die Mühen, sie alle zu finden, wert, da man bei deren Auffinden Details über ihre Funktion während des Kriegs erfährt. Wobei man von dem Spiel generell allerlei interessantes Wissen über das Leben an und jenseits der Front erhält, sei es nun vom Erzähler, in den Tagebüchern der Charaktere oder einfach nur durch das sehr umfangreiche Album, in dem neben bemerkenswerten (echten) Photographien sehr umfangreiche Abhandlungen über wichtige Themen des 1. Weltkriegs zu finden sind. So gibt es beispielsweise eine Reihe von Texten über Schützengräben, Gasangriffe und deren Abwehr, Logistik, Fremdenlegionen oder dem Schlachtfeld, auf dem man sich gerade befindet.

Eine solche Treue zu historischen Details hätte man sich vielleicht auch bei der Gestaltung der Spielwelt selbst wünschen können. Manche Dinge sind da nämlich schon etwas sehr frei interpretiert, wie beispielsweise gewaltige unterirdische Anlagen, seltsame Maschinen zur Verbreitung von Giftgas oder die etwas zu modern anmutenden Panzer (und deren massiver Einsatz). Andererseits sind gewisse Vereinfachungen zugunsten einer besseren Spielbarkeit wohl unvermeidbar, und unterm Strich bietet sich hier sicher noch immer ein vergleichsweise akkurater Eindruck vom generellen Ablauf des Krieges. Immerhin erhält man auch einmal einen Einblick in Dinge jenseits der direkten Kampfhandlungen und bekommt auch die Zivilbevölkerung zu Gesicht bzw. reist auch durch weniger verwüstet Gebiete.

Dies sorgt dann auch für eine recht facettenreiche Darstellung dieser Ära, wie man sie bisher in noch kaum einem Computerspiel gesehen hat. Oft beschränken sich diese ja entweder auf eine Art des Kampfes (beispielsweise ganz klassisch in einem der zahllosen Flugsimulatoren) oder auf eine sehr abstrakte Darstellung, bei der tausende Soldaten in einem unpersönlichen Icon zusammengefasst werden. Bei Valiant Hearts trifft man auf eine sehr breite Palette an Charakteren, die allesamt so viel lebendiger wirken, als alles, was man aus bisherigen Kriegsspielen kennt. Und durch diese Vielfalt geht dieses Spiel mit dem Thema Krieg letzten Endes sehr kritisch und reflektiert um, was einen mitunter sehr nachdenklich stimmt.

Sicher ist es immer noch ein ziemlich unbeschwertes Spiel, und es könnte darin noch um Vieles dreckiger zugehen, doch gerade das sorgt wiederum für eine gewisse Zugänglichkeit und macht die Schreckmomente, in denen dann doch nicht alles so glatt läuft wie erwartet, nur umso intensiver. Man sollte sich also nicht täuschen lassen: Gerade gegen Ende hin nimmt die Geschichte sehr dunkle Züge an und wartet mit einigen unangenehmen Überraschungen und Wendungen auf.

Und wo wir schon vom Ende sprechen: Gerade liest der zu Beginn erwähnte Charakter noch einen Brief an seine Tochter vor, ehe der Nachspann einsetzt. Was ihn bis hierher gebracht hat, was er ihr mitteilen will und wohin die Reise nun geht, wird sicher nur die hartgesottensten Veteranen völlig kalt lassen. Allen anderen kann ich dieses kleine Juwel von alternativen Kriegsspiel, das mit dieser schweren Thematik überraschend erwachsen umgeht, nur voll und ganz empfehlen. Von der sehr einzigartigen Ästhetik einmal ganz zu schweigen…

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