Das Erbe
für Amiga (OCS/ECS)

Mr Creosote:Besucherwertung:
4/6
Firma: Comad / Umweltbundesamt
Jahr: 1991
Genre: Adventure
Thema: Apokalypse / Werbespiel
Sprache: Deutsch
Lizenz: Freeware
Aufrufe: 9153
Rezension von Mr Creosote (27.09.2014)
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Das Erbe meines verstorbenen Onkels besteht aus ordentlich Kohle. Doch sie ist an eine Bedingung geknüpft: Erst muss sein heruntergekommenes Haus renoviert werden, ohne dabei die Umwelt zu belasten! Nehmen wir das Gemäuer (?) mal in Augenschein… oha, da ist ja tatsächlich so Einiges zu tun. Die Fassade ist brüchig und benötigt dringend einen neuen Anstrich. Praktisch die gesamte Einrichtung besteht nur noch aus Müll. Nur ein Lichtblick findet sich: ein Foto Lolitas, der attraktiven Adoptivtochter meines Onkels (die übrigens den Rest des Erbes einstreichen wird) – inklusive ihrer Telefonnummer. Nun habe ich wohl zwei Ziele…

Doch für ein mögliches Rendezvous muss natürlich das Haus gerade auf Vordermann gebracht werden. Ich beginne mit dem Garten, wo das Laub darauf wartet kompostiert (selbstverständlich nicht verbrannt) zu werden. In der Küche häuft sich noch schmutziges Geschirr, doch die Spülmaschine werfe ich dafür natürlich nicht an. Per hochmodernem BTX ordere ich einen Strauß Rosen für Lolita. Mit Handwerkern und anderen Dienstleistern organisiere ich telefonisch die Abholung des ganzen Schrotts sowie die Renovierungsarbeiten – selbstverständlich alles in der umweltfreundlichen Variante.

Das in der Garage bereitstehende Auto lasse ich links liegen und mache mit stattdessen per Bus auf den Weg in die Stadt. Hier kaufe ich im Fachhandel neue Möbel aus deutschen Landen und -Rohstoffen, die möglichst wenige Umweltgifte enthalten. In der (nicht-chemischen) Wäscherei wird meine bei der Gartenarbeit verdrecktes Outfit wieder blütenrein. Außerdem besorge ich noch ein paar Süßigkeiten für Lolita und alles Zubehör, ihr einen romantischen Brief im Recyclinglook zu schreiben, den ich dann per Radtour zum Briefkasten bringe. Zurück zu Hause versuche ich, ihr Lieblingsgericht zuzubereiten, scheitere jedoch an dem Rezept. Das Haus ist perfekt renoviert, das Geld mein – aber ich muss es allein bewohnen.

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Das Erbe ist ein Spiel unermesslicher historischer Bedeutung. Praktisch im Alleingang begründete es die Tradition der kostenlosen Werbespiele, die in den folgenden Jahren in Dutzenden hierzulande produziert werden sollten. Das vorherrschende Genre: Adventures. So nutzt auch dieser Klassiker die Konventionen jenes Genres. Zumindest äußerlich. Warum nur äußerlich? Trotz des Iconinterfaces und der von Sierra und Lucasfilm gewohnten Perspektive trifft man die meisten zentralen Spielentscheidungen im Ja-Nein-Stil auf Fragen reagierend. Womit leider die spielerischen Probleme ihren Anfang nehmen.

Denn: Dabei wird es reichlich unfair. Paradebeispiel sind die Telefongespräche mit den Handwerkern. Das Haus braucht einen neuen Anstrich. Also rufen wir den Malermeister an. Der fragt einen, ob er vorbeikommen soll, um das Haus zu streichen. Hört sich erstmal unverfänglich an, oder? Weit gefehlt! Stimmt man zu, belehrt einen das Spiel, das nun umweltunverträgliche Lacke zum Einsatz gekommen seien – Game Over! Hm, lesen wir nochmal die Frage, die einem gestellt wurde… richtig, da ging es ausschließlich darum, ob Jemand zum Anstreichen vorbeikommen solle; nicht jedoch, was dafür verwendet werden soll/darf!

Und so geht es leider an mehreren Stellen weiter: Das Spiel fordert einem ab, Entscheidungen zu treffen, ohne vorab alle Optionen zu kennen (denn die umweltfreundliche Farbe wird natürlich erst angeboten, wenn man die erste abgelehnt hat). Das zweite Viertel der Interaktion ist grundlegend nicht unähnlich. Wieder muss eine Auswahl aus mehreren Optionen getroffen werden, nur dass man die Optionen immerhin kennt, wenn man beispielsweise eine neue Matratze kaufen will. Man nimmt die möglichen Produkte einfach persönlich in Augenschein. Mehr Spaß macht das allerdings auch nicht unbedingt, da in diesen Fällen die „richtigen“ Entscheidungen äußerst offensichtlich sind. Na ja, immerhin weniger frustrierend.

Dann gibt es den Teil des Spiels, der streng genommen darin besteht, Dinge nicht zu tun, da sie den sofortigen Tod zu Folge hätten. Was nun endlich für ein bisschen Unterhaltung sorgt. Unfreiwillige Komik kommt auf, wenn man sich beispielsweise auf die Sonnenliege im Garten legt und sofort von der Sonne zu Asche verbrannt wird! Oder wenn sich durch das Öffnen eines Fensters bei eingeschalteter Heizung prompt ganz Europa zur Wüste verwandelt.

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Erst beim Nebenplot, der Eroberung der nur vom (sehr unansehnlichen) Foto bekannten Dame, wird Das Erbe ansatzweise zum Adventure, so wie man sich das eigentlich vorstellt. Da werden dann doch immerhin ein paar Objekträtsel präsentiert. Wenige, aber immerhin. Nur, dass die Umsetzung dieser einem durch das Interface viel schwieriger gemacht wird als nötig. Teilweise sogar nahezu unmöglich. Selbst, wenn man die Lösung weiß oder zumindest vermutet. Und selbst wenn nicht, dann kostet die Bedienung einfach viel zu viel Zeit.

Und was ist mit dem erzieherischen Anspruch? Tja, leider muss man den Erfolg dessen in Frage stellen. Das liegt noch nicht mal an dem schwachen Spielprinzip oder jener Bedienung, sondern primär an den erwähnten lachhaften Game-Over-Ereignissen. Diese sind wirklich dermaßen überzogen, dass es nicht nur selbst für kindliche Spieler unglaubwürdig wird, sondern dass man sich regelrecht veralbert vorkommt. Wer lässt sich schon gerne von jemandem (oder etwas) belehren, das einen als Rezipienten dieser Botschaft nicht ernst nimmt?

So ist Das Erbe leider nicht mehr das geeignetste Aushängeschild des klassischen Werbeadventuregenres. Es wurde mehrfach und um ein Vielfaches von seinen Kindern und Enkeln übertroffen. Dass es trotzdem seine historischen Verdienste hat, weil es zeigte, dass Gratisspiele trotz geringen Umfangs und Qualitätsunterschieden zu kommerziellen Produkten ankamen, ist nicht zu bestreiten. Dass es einfach kein gutes Spiel ist, allerdings ebensowenig.

Kommentare (4) [Kommentar schreiben]

Commander_Keen:

Oh mein Gott, dieses Spiel suchte ich bereits vor 10 Jahren vergebens, denn meine Diskette ist nicht mehr lesbar.
Hat davon zufällig noch jemand die PC Version unter DOS?

Mr Creosote:
Das zeigt vor allem, dass zumindest zu der Zeit offensichtlich keine Pädagogen am Design beteiligt waren. Anstatt die gewünschte Verhaltensweise positiv zu belegen, mit unterhaltsamen Spielmechaniken und spaßigen Reaktionen zu assoziieren, wird stumpf gepredigt. Was zur ablehnenden Gegenreaktion der Zielgruppe führt.
Herr M.:
Woran liegt es eigentlich, dass man bei solchen Spielen wie dem hier immer nur dann so richtig Spaß hat, wenn man all die Sachen macht die man eigentlich nicht machen sollte? Ich kann mich noch erinnern wie ich dieses hier anno dazumal gespielt habe und versucht habe so gut wie alles falsch zu machen. :) Die 'Todes'-Szenen waren halt auch viel zu lustig überzogen (siehe Sonnenbad!)
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