Digitale Schützengräben: Der Krieg in Computerspielen, dargestellt am Beispiel des 1. Weltkriegs
von Mr Creosote & Herr M. (30.08.2014)[Mr Creosote] In den letzten Monaten haben wir uns hier aus gegebenem Anlass mit Spielen über den 1. Weltkrieg beschäftigt. Einige waren gut gemacht, einige weniger unterhaltsam. Moment, unterhaltsam? Da könnten eigentlich sofort die Alarmglocken klingeln. Krieg als Unterhaltung? Auf diese provokante Frage wollen wir einmal einen Blick werfen, zunächst im Allgemeinen und schließlich besonders in Hinsicht auf den speziellen Anlass.
[Herr M.] Krieg gehört wohl mit ziemlicher Sicherheit zu den heikelsten Themen, die in Computerspielen behandelt werden. Oft bloß als gedankenloses Hintergrundkonstrukt missbraucht, um daran mäßig originelle Actioneinlagen anzuknüpfen, findet er selten den Respekt, der ihm eigentlich zustehen sollte. Ganz besonders markant wird dies bei den größten Konflikten, nämlich den Weltkriegen, die ja scheinbar einen ganz besonderen „Reiz“ auf Spiele-Entwickler und -Konsumenten ausüben.
Unreflektierte Kriegspropaganda?
[Mr Creosote] Das Seltsamste daran: Während in anderen Unterhaltungsmedien eigentlich mittlerweile weitgehend Konsens herrscht, dass man mit dem Phänomen des Krieges kritisch umgeht, herrscht bis heute im Computerspielbereich immer noch fröhliches Hurra! Propaganda von „Gut“ und „Böse“, Verherrlichung des Krieges an sich usw.
[Herr M.] Jene Spiele, die sich tatsächlich etwas kritischer damit auseinandersetzen bzw. versuchen Licht auf alle Facetten der Kampfhandlungen und deren Hintergründe zu werfen, kann man wohl an einer Hand abzählen. Die wenigen Momente, die man in den üblichen Kriegsspielen sieht, in denen Wehr- und Machtlosigkeit dargestellt werden, dienen oft eben nur der erwähnten Schwarz/Weiß-Propaganda und betreffen äußerst selten den Spieler selbst.
[Mr Creosote] Die typischste Rolle, die den Spielern zugedacht wird, ist ja die des „großen Kriegshelden“. Das kann ein erfolgreicher General sein, der seine abstrakten Panzericons hin- und herschiebt. Oder auch der Kommandosoldat, der im Alleingang ganze Heerschaaren feindlicher Soldaten umballert. Wenn man mal wirklich darüber nachdenkt, ist beides mehr als befremdlich: Die eine Variante blendet das menschliche Elend, Tod und Verderben, praktisch völlig hinter einer taktischen Herausforderung aus, die andere ist jenseits jeder Menschlichkeit. Als ob man sich genretechnisch gegenseitig versucht hat zu übertreffen.
[Herr M.] Wobei es eben gerade dieses Ausblenden ist, dass das Genre am Computer wohl so beliebt macht. Man braucht sich keine Sorgen um eventuelle Konsequenzen zu machen, denn es sind eben nur ein paar Zahlenwerte die da verschoben und gelöscht werden. Und mag der abgeschossene Gegner noch so elendiglich krepieren, so ist es doch letzten Endes doch nur ein Spiel, und man tut doch nur das was jenes von einem erwartet. Wofür man dann brav mit Punkten und Beförderungen belohnt wird.
Darf virtueller Krieg überhaupt Spaß machen?
[Mr Creosote] Da müsste man sich eigentlich fragen: Ist das nun die Endstufe des menschlichen Zynismus? Oder ist man doch ausreichend fähig zur Abstraktion von der Realität? Das meine ich jetzt gar nicht im Sinne der ewig in den Mainstreammedien geführten, zutiefst nervigen Diskussion „böse Computerspiele machen Menschen gewalttätig“, sondern es geht mir um die viel interessantere Frage, inwiefern man es schafft, etwas an sich Schreckliches eben doch zu genießen.
[Herr M.] Auch wenn Spuren von Ersterem sicher vorhanden sind, so schätze ich, dass es wohl nur allzu menschlich ist, solche Schrecken zu abstrahieren und davon Abstand zu nehmen, und sich lieber auf die Herausforderung der eigentlichen Aufgabe konzentriert. Diese dann mit einer mehr oder weniger gesunden Portion Romantik zu verklären, entspricht sicher auch dem Bedürfnis, sein Handeln zu rechtfertigen.
[Mr Creosote] Man könnte in diesem Sinne vielleicht sagen: Kriegsspiele gab’s schon immer! Vor Computern hat man sie eben auf Spielbrettern oder Miniaturlandschaften gespielt. Nur dass historisch gesehen zu früheren Zeiten Krieg an sich noch lange nicht so eindeutig gesellschaftlich geächtet war, wie er es heutzutage ist. Trotz diesem gesellschaftlichen Meinungsumschwung sind diese Spiele jedoch geblieben.
[Herr M.] Vielleicht liegt es aber gerade an der gesellschaftlichen Ächtung, dass der Krieg auf den Computer abgewandert ist und dort ungebrochen beliebt ist? Wo sonst kann man sich so ungestört solch tabuisierten Themen widmen?
Müssen wir endlich erwachsen werden?
[Mr Creosote] Dann müsste man allerdings darauf zurückkommen, was ich eingangs bereits einmal andeutete: Warum gelingt es anderen Unterhaltungsmedien, mit der Zeit zu gehen, d.h. Krieg ansatzweise kritisch darzustellen, und damit trotzdem eine Zielgruppe zu erreichen, während das bei Computerspielen kaum jemals versucht wird?
[Herr M.] Das mag zum Einem daran liegen, dass Computerspiele noch ein vergleichsweise junges Medium sind, und manchmal immer noch Probleme haben, von der breiten Masse ernst genommen zu werden, was für kritische Spiele wohl eine wichtige Grundvoraussetzung ist. Und zum anderen liegt das sicher noch an der ungebrochenen Dominanz männlicher, jugendlicher Spieler, gerade bei Action-Spielen. Und jene bevorzugen in der Regel eben eher solche Spiele, die sich mit dem Hinwegsetzen über gesellschaftliche Grenzen auseinandersetzen.
[Mr Creosote] Gut, der ersten These kann ich zustimmen: Es ist eventuell ein Zeichen eines noch nicht erwachsen gewordenen Mediums. Spiele wie Wings entsprechen in ihrer Darstellung in etwa dem, was man vor 100 Jahren auch im Kino sehen konnte. Wobei das ja auch ein Henne-und-Ei-Problem ist: Solange man nichts Ernstzunehmendes liefert, wird man eben auch weiterhin nicht ernstgenommen. Schon fast ein Teufelskreis, oder?
[Herr M.] Gewiss, wobei ein ernstzunehmendes Spiel, das versucht möglichst kritisch mit der Materie Krieg umzugehen, und auf die bequem-bewährten Darstellungsformen verzichtet, aber auch ein ziemliches Risiko für die Entwickler darstellt. Wie groß wird wohl das Publikum für ein solches Spiel sein?
[Mr Creosote] Dahinter steckt eigentlich die gleiche Frage, die wir schonmal bzgl. eines Spiels, das überhaupt nichts mit Krieg zu tun hatte, angerissen haben: Gibt es eine Zielgruppe für Spiele, die nicht direkt unterhalten, sondern eine Gesamterfahrung bieten wollen? Oder platter gesagt: Muss es Spaß machen? Bisher scheinen die Hersteller diese nicht zu sehen, und das, obwohl es sie in anderen Medien existiert – was wieder an der Spezialität der stärkeren Einbindung des Konsumenten bei Spielen liegen mag.
Wollen wir wirklich ein realistisch-immersives Kriegsspielerlebnis?
[Herr M.] Letzteres ist ein recht interessanter Punkt, da diese Einbindung bzw. die Interaktivität der Handlung verstärkt voraussetzt, dass man sich darauf einlässt. Ich denke, dass dies bei der Möglichkeit einfach ein wenig Dampf abzulassen und über seine Gegner zu triumphieren, wesentlich leichter fällt, als hilflos mitanzuehen wie alles vor die Hunde geht.
[Mr Creosote] Wobei es ja gerade in dieser Form besonders intensiv sein könnte – im Vergleich dazu, in Ruhe mit einer Tüte Kartoffelchips gemütlich auf der Couch vor dem Fernseher zu sitzen.
Voher sprachst du aber noch einen zweiten möglichen Grund an: Die Alters- und Geschlechtsstruktur typischer Computerspieler. Diese zum Anlass zu nehmen, Kriegsspiele zum Ausdruck einer wie auch immer gearteten Rebellion hochzustilisieren, finde ich schon reichlich überzogen. Ich glaube kaum, dass sich die meisten Spieler überhaupt solche Gedanken machen – die These des schnellen, einfachen Erfolgserlebnisses, das in seiner Natur überhaupt nicht reflektiert ist, halte ich da schon wieder für nachvollziehbarer.
[Herr M.] Die raschen Erfolgserlebnisse sind sicher wichtig, aber warum finden diese gerade vor solchen Hintergründen statt, wenn diese und die moralischen Implikationen nicht auch ein wichtiger Bestandteil des Reizes sind? Warum sich soviel Mühe geben, das Dahinscheiden der Gegner so dermaßen detailliert und kontrovers darzustellen, wenn nicht um zu provozieren? Es mag nicht der Hauptgrund dafür sein, solche Spiele zu spielen, der wird sicher der „sportliche“ Reiz sein, aber ich denke es ist dennoch nicht zu vernachlässigen.
Haben sich die Zeiten geändert (zum Schlechteren)?
[Mr Creosote] OK, wobei ich diese Übersteigerung des Grauens und deren positive Rezeption bei der Zielgruppe, insbesondere im Actiongenre, schon eher für ein aktuelleres Phänomen halte. Das geschieht doch erst so richtig seit Mitte der 90er Jahre, dass die Gewaltdarstellungen absichtlich immer drastischer werden, weil die Zielgruppe das „cool“ findet. Zu Zeiten meiner eigenen Computerspielsozialisation kann ich mich auf jeden Fall solcher Dinge kaum besinnen.
[Herr M.] Stimmt, es ist ein Phänomen, dass auch erst mit dem Aufkommen von etwas besserer Grafik anfing Überhand zu nehmen. Wobei auch schon in den Kriegsspielen der ersten Stunde oft eindeutig klar gemacht wurde, dass man dabei ist Leben auszulöschen, was viele davon schon damals zu hervorragenden Kandidaten zur Indizierung machte.
[Mr Creosote] Wobei das ja qualitativ kaum vergleichbar ist. „Früher“ wurde ein Silent Service indiziert, weil es eben ein Spiel, das sich in einem historischen Krieg abspielt, ist, obwohl darin kein Tropfen Blut fließt. Was, wie bereits gesagt, es nicht unbedingt weniger zynisch macht.
[Herr M.] Die Tatsache, dass dieses Spiel, wie so viele andere auch, schon aufgrund der Tatsache, dass es mit Krieg zu tun hat, indiziert wurde, zeigt wiederum, was für ein Reizthema es bereits ohne jegliche Art von Ausschmückung ist. Dabei gehen die Emotionen recht rasch hoch. Und was kann es bei einem Computerspiel eigentlich besseres geben als ein mitreißendes Szenario?
Der 1. Weltkrieg – sauber und ehrbar?
[Mr Creosote] „Mitreißend“ hat oft auch mit Identifikation zu tun. Und so sind historische Kriege natürlich in diesem Sinne besonders „dankbarer“ Stoff. Vor 100 Jahren begann der sogenannte 1. Weltkrieg – der natürlich auch versoftet wurde.
[Herr M.] Bemerkenswert ist dabei, dass man dabei sehr Vieles von oben erwähnter Verharmlosung und Abstraktion bemerkt. Bedenkt man, welche Verbrechen auf den Schlachtfeldern dieses Konflikts begangen wurden und welche Schrecken die Industrialisierung des Krieges mit sich brachte, wirken die meisten Spiele vergleichsweise „sauber“ bzw. „harmlos“.
[Mr Creosote] Actionspiele gibt es kaum, und wenn, dann drehen sie sich um Flugzeuge – der Luftkrieg ist ja Thema besonders vieler Legenden bezüglich „ehrlichen“, „sauberen“ Kriegs. Das gleiche gilt natürlich für Flugsimulationen.
[Herr M.] Ja, die „Ritter der Lüfte“ sind schon ein recht dankbares Ziel für vergleichsweise harmlose Szenarien, bei denen mehr der technische Fortschritt, als dessen Bedeutung für den einfachen Soldaten im Vordergrund stehen. Zudem kommt ihnen wohl ihre vergleichsweise Harmlosigkeit zugute. Vergleicht man diese fliegenden Seifenkisten mit modernen Flugdrohnen, wirken erstere kaum mehr sonderlich bedrohlich.
[Mr Creosote] Man sieht nur ein Flugzeug abrauchen, und das nach einem scheinbar „fairen Duell“. Simulationen modernerer Flugzeuge haben es da tatsächlich schwerer aufgrund der technisierten Kälte, mit der dort gemordet wird.
Und dann gibt’s eben Strategie- und Taktikspiele, auf die bereits diskutierte Abstraktion zutrifft und die weitgehend „seltsamerweise“ den endlosen Grabenkrieg und Giftgaseinsatz ausblenden.
[Herr M.] Denkst du, dass das am Mangel an Erfolgserlebnissen liegt? Immerhin sind die Schützengräben ja ein Sinnbild für eine festgefahrene Situation, bei der sich trotz aller extremer Maßnahmen nichts mehr tut, und wenn, dann um viel zu hohe Kosten. Dies scheint kein besonders dankbares Szenario für einen virtuellen General, der dann doch irgendwann Fortschritte sehen will.
[Mr Creosote] Das wäre eine nachvollziehbare Erklärung. Es würde wohl, selbst wenn man jetzt mal die ethische Frage ausblendet, ein Spiel nur für Hardcorestrategen, wenn man minimale Bewegungen und Auswirkungen nur im Schneckentempo erlebt.
Eine Ausnahme bzgl. Letzterem gibt es übrigens: In Warlords II Deluxe gibt es ein „Europa 1910“-Szenario (also praktisch den 1. Weltkrieg), in dem ganz eine Giftgaseinheit vorkommt. Für mich stellt sich da wieder die gleiche Frage: Ist diese schamlose Ehrlichkeit oder die schamvolle Beschönigung besser/schlechter?
[Herr M.] Vermutlich ist dies eine Geschmacksfrage, je nachdem wie sehr man gewillt ist, sich mit der Realität, die hinter dem Spiel steckt, auseinanderzusetzen oder doch lieber mit den Ideen und Klischees, die man damit verbindet, vorlieb nimmt. Wobei es sicher nicht wirklich leicht ist, ein besonders akkurates Bild wiederzugeben, vor allem von einem Krieg, der nun doch schon 100 Jahre her ist, und um den sich schon so viele Mythen und Halbwahrheiten ranken.
[Mr Creosote] Immerhin ist es ein Krieg, der bereits sehr ausführlich mit modernen Mitteln dokumentiert wurde, so dass ich sogar behaupten würde, dass sich um ihn weniger Halbwahrheiten ranken, oder man diese zumindest leichter als solche entlarven kann.
Lern-Spiele oder Ersatzstoff?
[Herr M.] Weniger, aber sich noch bei Weitem genug. Und wie viele Spieler machen sich tatsächlich die Mühe, Ungenauigkeiten zu recherchieren. Wobei man manchen Spielen schon zugute halten muss, dass sie sich viel Mühe um eine gewisse Authentizität geben. Bei Red Baron kann man beispielsweise durchaus Einiges über den Luftkampf zur Zeit des ersten Weltkriegs lernen, was über die übliche Romantik hinausgeht.
[Mr Creosote] Da wäre sonst auch noch History Line 1914–1918 zu nennen. Zwischen den Schlachten gibt es viele Hintergrundinformationen zum Kriegsfortgang, aber auch dazu, was sonst noch so zu der Zeit in der Welt vor sich ging. Wobei HL noch etwas Interessantes zeigt: Der 1. Weltkrieg ist im Vergleich zum 2. ein viel weniger ideologisiertes Thema und damit gern genommene Ausweichstelle, wenn einem das Nazi-Eisen zu heiß ist.
[Herr M.] Was insofern interessant ist, weil dennoch viel Potential verschenkt wird. So gut wie alle Spiele, die hier angesiedelt sind, finden an der Westfront statt. Was nicht nur das Ausklammern der Grabenkämpfe umso merkwürdiger scheinen lässt, sondern neben der Genre-Armut auch noch zu einer solchen der Szenarien führt. Durch diese Beschränkung auf Westeuropa wirkt dies dann kaum als Weltkrieg.
[Mr Creosote] Gut, wobei sich die „Welt“-Bezeichnung ja doch auch wirklich eher auf die weltweiten Teilnehmer bezieht. In den afrikanischen Kolonien war der Krieg schnell beendet und ansonsten gab es eigentlich nur noch den arabischen Raum, in dem sich aktiv außerhalb Europas etwas tat. Die Ostfront (Russland und der Balkan) wäre allerdings tatsächlich ein interessanter Kandidat, weil man in dem Szenario kriegerische und politische Aspekte verknüpfen könnte: Krieg in Zeiten politischer Destabilisierung. Dass sich eigentlich alles im Westen abspielt, hat aber wohl weniger mit durchdachter Wahl, als vielmehr mit der Herkunft der Softwarefirmen, deren Spiele große Verbreitung erreichen, zu tun.
[Herr M.] Stimmt, die Dominanz englischsprachiger Softwareschmieden hat da sicher Einiges zu beigetragen. Und ja, auch wenn es kein wirklich globaler Konflikt war, so gab es dennoch genug andere Kriegsherde, die recht interessante Szenarien bieten würden. Ich warte ja immer noch auf eine Darstellung der letzten Tage des Habsburger-Hauses und damit dem Untergang einer Großmacht, die ganz gerne in Vergessenheit gerät.
Wirklicher Weltkrieg oder historische Fußnote?
[Mr Creosote] Mag aber auch daran liegen, dass das, was in Deutschland eine Tugend ist (lieber Finger weg von Nazis) gerade in den USA genau ins Gegenteil umschlägt: Der 2. Weltkrieg ist einfach „spektakulärer“, die Verteilung von „Gut“ und „Böse“ deutlicher und dadurch bedient man sich jenseits des Atlantiks dieses späteren Szenarios ungleich lieber, so dass für den 1. Krieg nicht mehr viel übrig bleibt.
[Herr M.] Da mag etwas dran sein, wobei es zum Teil sicher auch an ihrer wesentlich stärkeren Beteiligung am 2. Weltkrieg liegen mag. Es erklärt aber nicht, warum europäische Entwickler diesen Konflikt so vergleichsweise selten aufgreifen. Sieht man sich die Zahl aller Spiele, die im 1. Weltkrieg spielen, an, so scheint diese verschwindend gering. Nicht nur im Vergleich zum 2. Weltkrieg.
[Mr Creosote] Wodurch es dann natürlich auch kein großes Wunder ist, dass die Themen, Genres und Darstellungsweisen nicht gerade breit vorhanden sind.
Wir haben ja immer wieder Parallenen zu anderen Medien angesprochen. Genau dies haben Computerspiele immerhin mit Filmen und Romanen gemeinsam: Der 2. Weltkrieg erschlägt bei der Masse der Produkte, die sich auf ihn beziehen, alles. Also könnte man fast sagen: Was diesen speziellen Krieg angeht, gibt es im Computerspielbereich auch keinen Aufholbedarf.
Werden sich die Zeiten ändern (zum Besseren)?
[Mr Creosote] Nach all diesen Fragen, die wir nun besprochen haben, habe ich noch eine Abschlussfrage: Denkst du, dass sich der Status Quo ändern wird? Siehst du Anzeichen dafür, dass Computerspiele in ihrer Behandlung des Themas „Krieg“ erwachsen werden?
[Herr M.] Diese Frage möchte ich mit einem vorsichtigen „Ja“ beantworten. Erst unlängst habe ich nämlich ein Spiel gespielt, dass an die Thematik durchaus ein wenig ernster, wenn auch noch nicht ganz perfekt, herangegangen ist. Valiant Hearts, das im 1. Weltkrieg angesiedelt ist, setzt sich nämlich mit genau den Themen auseinander, die wir oben angesprochen haben, und die sonst immer ausgespart werden. Also den Grabenkampf mit all seiner Grässlichkeit, aber auch mit den normalen Leuten jenseits der Front. Dabei gibt es ein paar Szenen, die sehr zum Nachdenken anregen und teils auch berühren, ohne allzu billig daher zu kommen. Immerhin steckt da auch ein größerer Publisher dahinter, es dürfte also tatsächlich langsam ein Markt für solche Spiele vorhanden sein.
[Mr Creosote] Liegt es also daran, dass die Zielgruppe sich diversifiziert hat? In den 80ern und ich denke auch noch in den 90ern war es ja völlig klar, dass die Computerspielerschaft sich aus männlichen Kindern und Jugendlichen rekrutierte. Diese Generation ist nun erwachsen geworden. Und überhaupt sind doch auch von der Seite her neue Gruppen erschlossen worden.
[Herr M.] Ich denke, dass wird sich erst zeigen müssen. Sicher haben Computerspiele eine deutlich größere Verbreitung und Akzeptanz gefunden, gleichzeitig sind sie aber bei Weitem nicht mehr so experimentierfreudig wie zu ihren Pionierzeiten, weil sich gewisse Standards, die scheinbar nur schwer zu brechen sind, etabliert haben. Gerade Kriegsspiele sind da, wie man sieht, sehr stark von betroffen und werden immer mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Die Frage ist ja auch, wie viele Leute tatsächlich daran denken, dass Kriegsspiele auch anders aussehen könnten.
[Mr Creosote] Gut, aber wie wir festgestellt haben, wäre es ja auch bereits ein entscheidender Fortschritt, wenn die Homogenität der Glorifizierung des Krieges zumindest in einigen Ausnahmefällen überhaupt mal gebrochen würde – auch wenn sie vielleicht noch lange in der Masse der Spiele bestehen bleiben wird.
[Herr M.] Das wird auf kurz oder lang sicher kommen, erste Anzeichen sind ja, wie gesagt, zu bemerken, und mit einem zunehmend breiteren Publikum wird sicher der Bedarf nach einem anderen Umgang mit dem Thema Krieg in Computerspielen vorhanden sein.