Aufschwung Ost

Firma:
Sunflowers
Jahr:
1993
System:
Amiga (OCS)
Genre:
Strategie
Tags:
Historisch / Politik
Sprache:
Deutsch
Mittlere Wertung:
4/5

Meinung damals

Aufschwung Ost ist eine gutgemachte und informative Simulation zum aktuellen Thema. Einige Politiker können hier bestimmt noch ein paar Tricks und Kniffe lernen.

Marcus Höfer, ASM 01/94 

Nicht zuletzt dürfte das gelungene Debutwerk auch den Aufschwung für das Sunflowers-Label im Osten wie im Westen sichern.

Carsten Borgmeier, PC Joker 01/94 

Das Kunststück, eine Simulation rund um ein brisantes Thema zu gestalten, ohne durch die Fülle der Details den Spielspaß abzuwürgen, ist vollauf gelungen.

Thomas Werner, PC Player 01/94 

Ein tadelloser Einstand.

Volker Weitz, Power Play 01/94 

Bericht von Mr Creosote (23.01.2021) – Amiga (OCS)

1993 musste auch dem letzten Zeitzeugen klargeworden sein, dass die Finanzierung der deutschen Einheit doch nicht „aus der Portokasse“ (Helmut K.) zu bestreiten war. Doch ganz so wie jetzt schien das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen. Insofern also der perfekte Zeitpunkt, uns spielerisch beizupulen, worin vielleicht die Schwierigkeiten dieses Prozesses liegen. Damalige Aktualität kann man Aufschwung Ost also schonmal nicht absprechen.

Doch ebenso wie die politischen Akteure kommt das Spiel äußerlich ziemlich dröge daher: eine wohl praktische, aber etwas unansehnliche Landkarte, dazu Zahlenwüsten und Schaubilder direkt wie in den deutschen Wirtschaftssimulationen aus der Hölle. Sexy ist die Thematik nun wirklich nicht. Also ab in die düsteren Niederungen maroder Infrastruktur, durch Wessi-Heuschrecken ausgesaugter Pleitebetriebe und desillusionierter Ossis…

Pflastern wir das Land erstmal mit Baustellen zu…
Pflastern wir das Land erstmal mit Baustellen zu…

Das Spiel beginnt 1989 nach der sogenannten Wende und es gilt, die Kohl’schen blühenden Landschaften Wirklichkeit werden zu lassen. Das Staatskonto ist gut gefüllt, aber dieser Geldberg wirkt relativ zu den sich bereits auftürmenden Problemen gar nicht mehr so hoch. Die alternden Kraftwerke sind nicht mehr die zuverlässigsten, das daran hängende Stromnetz kurz vor dem Kollaps. Die Transportinfrastruktur lässt zu wünschen übrig. Die Industriebetriebe liegen am Boden. Der verseuchte Boden wartet auf Entgiftung. Die offenen Grenzen führen neben wiederholter Inanspruchnahme des „Begrüßungsgelds“ primär zur Abwanderung der Bevölkerung in grünere Gefilde. Wie kann man da bloß effektiv gegensteuern?

Lobenswert liegt der Fokus des Spiels auf langfristiger Entwicklung. Es wird nicht nur bis zur nächsten Bundestags-, Landtags- oder Regionalwahl geschielt, sondern die Dinge sollen wirklich grundlegend verbessert werden. Dass sich diese Verbesserung ausschließlich auf Interessen der Wirtschaftspolitik beschränkt, entspricht exakt dem damaligen Zeitgeist.

Entsprechend langsam mahlen die Mühlen, wirken sich angestoßene Veränderungen aus und schwingen sich neue Zustände ein. Ein vorausschauendes Auge ist von Nöten, ebenso wie die Fähigkeit, die möglichen Auswirkungen der eigenen Entscheidungen auf den aktuellen Zustand schonmal im Kopf durchzuspielen, um dann üblicherweise vor Abschluss der einen Maßnahme auch schon weitere in Auftrag zu geben und die zukünftigen Wechselwirkungen zu bedenken. Denn wer immer schön seriell eine Sache nach der anderen erledigt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Trotz der umfangreichen Gesamtaufgabe wird der Spieler im Kleinen gut gelenkt. Pro Stadt gibt es klare Dinge zu tun und kleine Missionen, die entweder im Jahresabschluss verkündet oder per Bildtelefon (!) reinkommen, geben dem Mikromanagement Struktur. Spielerisch interessant gestaltet sich darüber hinaus die Einteilung in Spielrunden (eine Runde entspricht einem Monat), die jedoch jeweils in beschränkter Zeit ablaufen. Selbst bei bestem Willen ist es unmöglich, alle offenen Punkte in der gleichen Runde abzuarbeiten, so dass eine permanente Priorisierung von Nöten ist.

Ein Klick auf Zacharias und schwupps… da sind wir!
Ein Klick auf Zacharias und schwupps… da sind wir!

Die auf den ersten Blick etwas altbackene Präsentation erweist sich in diesem Sinne spielerisch sogar als recht hilfreich. Die klare grafische Darstellung ermöglicht eine gute Übersicht und sinnvolle Listen zeigen, sobald man sie einmal zu lesen gelernt hat, tatsächlich relevante Kerninformationen. Verblüfft erkennt man schnell, dass man von jenen aus sogar direkt zu den jeweiligen Ortschaften springen kann, ohne jeweils immer wieder manuell suchen zu müssen – komfortabler geht’s kaum.

Jenseits der Ausgangssituation entfernt sich die Spielsimulation jedoch vom historisch-politischen Geschehen. Dem Spieler kommt die Rolle eines Quasi-Diktators zu, der eine Abwahl erstmal nicht zu fürchten braucht und der sich genausowenig mit renitenten Bewohnern oder Regionalvertretern herumschlagen muss. Stattdessen wird einem die direkte Kontrolle über den gesamten Staatshaushalt ebenso wie die Planungshoheit über alle Städte übergeben. Gesellschaftlicher Partizipationsprozess? Fehlanzeige.

Einschränkungen gibt es wenige. Primär zu beachten ist die Trennung der Geldsäckel des Staates und jener Städte. Investitionen auf Landesebene werden aus ersterem, Bauvorhaben in den Stadtgrenzen aus letzteren getätigt. Benötigt Gera also beispielsweise eine neue Polizeiwache, kann der Staat nicht einfach aushelfen – die lokalen Steuereinnahmen müssen erstmal angespart werden.

Ganz ähnlich sieht es mit der Simulation der Wirtschaft an sich aus. Ein Prozess zur Privatisierung findet im Spiel nicht statt. Ganz im Gegenteil, der spielergesteuerte Staat baut fleißig weitere Kohlegruben, LPGs und sogar Restaurants. In seiner Planwirtschaftlichkeit übertrifft Aufschwung Ost damit sogar die echte DDR. Die im Übrigen anscheinend im Spiel ohnehin bestehen bleibt. Westdeutschland bleibt im gesamten Spielverlauf unzugänglich, ebenso wie sonstiges Ausland. Man könnte beinahe meinen, Oskar Lafontaine, der damals als Kanzlerkandidat der SPD eine auf viele Jahre angelegte Sonderbewirtschaftungszone vorschlug, sei unter den Designern gewesen.

Gera bekommt ein neues staateigenes Restaurant
Gera bekommt ein neues staateigenes Restaurant

Auch staatsimmanent fallen einige Schranken der Simulation auf. So tauchen zwar eine Reihe Städte mit ihren jeweils eigenen Problemen auf, doch die dazwischenliegenden Landstriche sind nichts als freier Raum für Straßen, Autobahnen, Schienen und Schwerindustrie. Die strukturellen Probleme der nicht-urbanen Bevölkerung und Landflucht kommen nicht vor. Zwar gibt es Zu- und Abwanderung in den Städten und die Gründe dafür sind auch jeweils nachvollziehbar, aber wo die Leute herkommen oder hingehen, bleibt im Dunkeln. Es liegt nahe, dass die Städte jeweils einzeln simuliert werden, die Komplexität einer ganzheitlichen Simulation gescheut wurde.

Rundherum bleiben die Dinge also leider jeweils für sich eindimensional. Überalterung der Gesellschaft? Gibt es nicht, eine nicht veränderliche Alterspyramide wird laut Handbuch zu Grunde gelegt. Adaptionen bei den überlasteten Sozialsystemen sind also nicht notwendig. Steigende Kriminalität? Die vom Spiel vorgesehene Gegenmaßnahme heißt mehr Polizei. Kriminalitätsprävention durch Verbesserung der Lebensbedingungen ist nicht vorgesehen.

Auf dem sehr soliden und ganz unterhaltsamen Fundament hätte man also noch viel mehr aufbauen können. Insbesondere das sehr gute Interface ist für ein Spiel jener Generation nochmals hervorzuheben, so dass auch für verwöhnte Spieler heutiger Generation eigentlich kaum diesbezügliche Wünsche offenbleiben. Einzig das Kernstück des Spiels, die zugrundeliegende Simulation des Landes, lässt doch schließlich sogar zu viel Bewegungsfreiheit. Das Dilemma der politischen Entscheidungsträger unserer postmodernen Zeit, die in eben dieser historischen Epoche begann, ist doch gerade, dass externe Faktoren, die nicht unter ihrer Kontrolle sind, einen viel stärkeren Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände haben, als das, was man selbst in der Hand hat. Maximal können Rahmenbedingungen geschaffen und das aufs Beste gehofft werden. Man könnte Aufschwung Ost beinahe als subversive Antithese zum Paradigma des alles perfekt einschwingenden Marktes begreifen. Wenn nicht gleichzeitig die Vermutung naheläge, die Entscheidung zugunsten direkterer Spielerkontrolle habe Komplexitätsgründe.

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