Colonization reiht sich in eine lange Reihe von Kolonien-Sims ein. Ob man so etwas nun lieber irgendwo im Weltraum betreibt oder auf dem Heimatplaneten, es gibt bereits reichlich Material in dieser Richtung. Den erwarteten Meierschen Innovationsschub sucht man vergebens, daher trotz prima Spiel kein Hitstern.
Wenn man Colonization etwas vorwerfen kann, dann das Fehlen einer wirklich neuen, zündenden Grundidee. Es ist eine solide, hochmotivierende Fortführung des Civilization-Spielprinzips ohne umwälzende Innovationen. Durch das ausgeklügelte Design sowie die schier unendliche Fülle an Szenarien wird man hier monatelang blendend unterhalten.
Bericht von Mr Creosote (11.12.2016) – Amiga (OCS)
Am Ende seines kommerziellen Lebens gab es für den Amiga einige merkwürdige Spiele. Umsetzungen lohnten sich langsam weniger, waren aber noch nicht völlig absurd, und so war häufig das Ziel, dabei Kosten einzusparen. Manche Umsetzungen kamen, wenn überhaupt, stark verspätet und hatten keine ausreichende Qualitätskontrolle durchlaufen. Colonization kam dank Microproses englischer Außenstelle zwei Jahre nach dem Original. Eine Katastrophe ist es nicht, hat jedoch auch die typischen Merkmale.
Das Vorgehen bestand anscheinend daraus, einen Wrapper zur Darstellung fertiger Bildschirme im Betriebssystemkontext zu schreiben, d.h. das Standard-Fenstersystem zu nutzen. Womit Colonization sich tief in der Kontroverse um Immersion in eine Spielwelt, wenn diese aussieht wie eine Workbench-Anwendung, befindet. Dass man einzelne Komponenten, die als Fenster verwaltet werden, frei platzieren kann, ist auf jeden Fall wenig sinnvoll, da es nur wenige sinnvolle Arrangements gibt (lies: eines). Völlig konsequent durchgezogen wurde das dadurch entstehende neue Bedienungskonzept nicht; beispielsweise schließt man Fenster manchmal durch das Icon oben links, aber manchmal gibt es auch Buttons/Optionen irgendwo anders. Abgesehen vom Immersionsaspekt gibt es zumindest keine großen Nachteile dieses Vorgehens.
Das Spiel wird jedoch darüber hinaus von den gleichen Schwächen, die schon die Amiga-Version von Civilization plagten, heimgesucht: Mausklicks werden nicht zuverlässig registriert; alles geht recht träge von der Hand, vom Zeichnen des Bildschirms zu genereller Reaktionsgeschwindigkeit – interessanterweise unabhängig von der Hardwareausstattung. Ein paar Bugs des Originals sind behoben (wie beispielsweise das berüchtigte „u“), andere nicht (Transportrouten funktionieren einfach nicht zuverlässig) und von Zeit zu Zeit bemerkt man neue (die Auswahl der Überfahrten von Europa). Die reduzierte Farbtiefe erschwert das intuitive Erkennen. Beispielsweise sind ausgebildete Soldaten nicht sofort von unausgebildeten zu unterscheiden. Fehlende Animationen und Zwischensequenzen (der clownhafte König fehlt) stören kaum, aber die die Stadt umgebenden Kartenfelder in der Stadtansicht nicht anzuzeigen hat handfeste spielerische Konsequenzen für die Ressourcenplanung.
Es sollte also klar sein, dass wenn man Colonization spielen möchte, andere Versionen zu bevorzugen sind. Diese ist eher eine Kuriosität der Geschichte: Auf einem System, auf dem praktisch alle Spiele ihre eigenen Booterformate benutzten, um das Betriebssystem so weit wie möglich zu umgehen, kam am Ende plötzlich dieses, das genau das Gegenteil tat.
Stellt man die Technik mal beiseite, ist Colonization aber natürlich weiterhin ein faszinierendes Spiel. Sein Fokus auf wirtschaftlicher Entwicklung und Logistik hebt es von der Masse der kriegsintensiven Strategiespiele ab. Wodurch allerdings in der Konsequenz eine Weltsicht transportiert wird, die extremst amerikanisch ist: das absolute Primat der kapitalistischen Ökonomie über Allem.
Angesichts des (theoretischen) zugrundeliegenden Themas der Emanzipation und dem Erlangen von Freiheit könnten die Siedlungen Zentren der Menschlichkeit sein; es könnte Aufgabe des Spielers sein, eine sozial-friedliche Utopie aufzubauen. Stattdessen sind Städte nichts anderes als Produktionszentren. Ob es Raum zum Leben, geschweige denn zur Selbstentfaltung, gibt, spielt keine Rolle – oder aber den Designern fällt bei solchen Stichworten nichts anderes als protestantische Arbeitsethik ein. Oder, allgemeiner gefasst: Das Spiel folgt einer sehr engen Weltsicht und bietet seinem Spieler keine Alternativen an. Der einzige Weg von Anfang zum Ende führt deterministisch über den Aufbau einer starken Wirtschaft, der Rebellion gegen das Mutterland und der „Lösung“ dieses Konflikts mit militärischen Mitteln.
Auf diesem Pfad tun sich immerhin einige interessante Facetten auf; insbesondere die drei Gegner.
Erstens sind die sogenannten Eingeborenen zu nennen. Es ist in solchen Spielen völlig untypisch, auf Gegner zu treffen, die nicht mit den gleichen Anfangsvoraussetzungen starten. Die Eingeborenen befinden sich am Anfang auf dem Höhepunkt ihrer relativen Macht und mit dem Erstarken der Europäer schwindet diese. Sie nehmen gleich drei Rollen ein: potentieller Handelspartner, Ausbilder und militärischer Feind – oft alles zur gleichen Zeit, denn der Zustand von Krieg und Frieden ist nicht binär, sondern fließend.
Zweitens gibt es die anderen Europäer. Sie sind generell schon eher mit den Gegnern in Spielen wie Civilization zu vergleichen. Besonders ist, dass man sie zum Gewinnen gar nicht schlagen muss. Man muss ihnen sogar in keiner Weise überlegen sein. Tatsächlich ist es sogar möglich (und wahrscheinlich), dass drei der vier Protagonisten gewinnen! Entsprechend verhalten sich die Europäer aggressiv gegenüber dem Spieler, aber nicht notwendigerweise kriegerisch.
Denn: Einzige Siegbedingung ist das Erlangen der Unabhängigkeit vom europäischen Mutterland. Das der dritte und mysteriöseste Gegenspieler ist. Anfangs kann man ohne seine Unterstützung nicht überleben. Doch von Anfang an werden die europäischen Herrscher als aufgeblasene Fieslinge charakterisiert. Sie erhöhen Steuern nach Gutdünken. Sie verlangen zusätzliche Bezahlung für überlebenswichtige Güter. Sie bringen ihre Kriege in die neue Welt.
Und doch bleibt ihre wahre Macht bis zum Schluss unsichtbar. Ihren willkürlichen Entschlüssen kann man sich nicht wirkungsvoll widersetzen. Immer mal wieder erreicht einen eine Nachricht, das Expeditionsheer sei verstärkt worden. Selbst unter der Prämisse, dass ein Krieg unausweichlich ist, kann man diesen nicht etwa nach Europa tragen. Es handelt sich um eine extrinsische, geradezu göttliche Macht; ein Damoklesschwert, das über dem Kopf des Spielers baumelt – trotz aller königlichen Idiotie.
Ob diese Unterscheidung der Gegnertypen nun wirklich genau so gemeint waren oder nicht, ist nicht klar. Es gibt zumindest Hinweise darauf, dass die zugrundeliegenden Ideen nicht bis zum Ende verfolgt und zu ihrem vollen Potential entwickelt wurden.
Man denke beispielsweise an die anderen Europäer in der neuen Welt, die vielleicht bereits unabhängigen neuen Nationen sowie die Eingeborenen und ihre möglichen Rollen im Unabhängigkeitskrieg. Sie haben nämlich keine. Oder zumindest keine relevante. Militärische Einheiten der anderen (Ex-) Europäer werden einfach vom Spielbrett entfernt. Eingeborene Stämme können sich theoretisch als Verbündete des bösen Königs gegen den Spieler erheben, aber praktisch stellen sie zu diesem Zeitpunkt des Spiels keine Gefahr mehr dar.
Andersherum ist es sogar noch schwächer. Einen Unabhängigkeitskrieg müssen die computergesteuerten europäischen Siedler nicht durchmachen. Sie werden einfach scheinbar zufällig gesteuert und je nach Schwierigkeitsgrad früher oder später „in die Unabhängigkeit entlassen“.
Beispielhaft sollten diese beiden spielerischen Einschränkungen das große ungenutzte Potential zeigen, Bereiche, in denen das Spiel seine konzeptuellen Stärken der grundlegend verschiedenen Kräfte in einer gemeinsamen Spielwelt noch viel weiter hätte ausspielen können. Soviel Spaß es zugegeben macht – dies ist eines der Spiele, denen eine Neuauflage wirklich gut tun könnte.
Archivierte Berichte
Bericht von Mr Creosote (12.12.2000) – PC (DOS)
Es gab einmal eine Zeit, in der Sid Meier zusammen mit ein paar anderen Leuten wirklich frische und innovative Spiele produziert hat. Aber dann kam Civilization. Obwohl es ein geniales Spiel war (ist!), hatte es doch einen negative Effekt auf die Spieleindustrie: Es brachte Sid Meier & Co dazu, die Grundidee immer und immer wieder zu benutzen.
Colonization ist der erste Schritt in dieser Entwicklung. Es ist immer noch ein sehr gutes Spiel, aber viele Ideen aus Civilization wurden einfach recycled. Doch im Gegensatz zu später veröffentlichten Spielen wie Alpha Centauri ist immer noch etwas Neues enthalten.
Der Fokus unterscheidet sich von Civilization. Es geht mehr um den Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft als um Technologieerforschung. Man baut Städte, die aber erstmal nicht wachsen (zumindest nicht am Anfang). Um sie zu vergrößern, muss man dort mehr Arbeiter ansiedeln. Jedem Einwohner gibt man eine Arbeit. Es gibt Holzfäller, Bauern und Zigarrenfabrikanten, aber auch Politiker und Priester. Ausgebildete Spezialisten sind natürlich viel effektiver als normale Siedler oder sogar Kriminelle. Um die Stadt dann noch mehr blühen zu lassen, kann man die Qualität der Gebäude verbessern.
Auf diese Weise baut man eine produzierende Industrie auf. Man kann die Waren in Europa oder an die Indiander verkaufen. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Dabei steht Folgendes fest: Der eigene König nimmt Steuern auf alle Verkäufe in Europa und diese erhöht er konstant. Auf der anderen Seite geben die Indianer einem aber kein Geld, sondern praktizieren nur Tauschhandel…
Natürlich gibt es auch Kolonien anderer Europäer, mit denen man entweder Frieden halten, oder Krieg führen kann. Landschlachten sind dabei nicht allzu aufregend, weil es nur zwei verschiedene Einheitentypen gibt (und der Computer viele davon baut). Seekriegsführung ist viel interessanter. Es gibt nicht nur normale Schiffe wie Fregatten, sondern auch Kaperschiffe, die die Fähigkeit haben, transportierte Waren zu stehlen. Und außerdem zählt das nicht als direkter Angriff, also kann man es auch in Friedenszeiten anwenden – hehe!
Das letztendliche Ziel ist es, unabhängig vom Heimatland zu werden. Sobald eine Mehrheit der Bürger das unterstützt, kann man die entsprechende Erklärung unterschreiben. Aber man sollte nicht glauben, dass der König das lächelnd hinnimmt. Seine Armee wird sofort rüberkommen, um einem eine Lektion zu erteilen. Dieser Krieg setzt dann auch den Schlusspunkt des Spiels. Man sollte besser darauf vorbereitet sein…
Während das Ende nicht so spektakulär ist, wie es sich anhören mag, ist das vorher erlebte wirklich sehr spaßig. Ich liebe es einfach, friedlich eine Industrie aufzubauen, ohne von irgendwelchen albernen Vendettas belästigt zu werden.
Aber es gibt ein Problem: Der Wiederspielwert ist nicht allzu hoch. Es gibt an sich nur ein paar verschiedene Spielarten: friedliche Koexistenz, Krieg gegen die Indianer oder Krieg gegen die Europäer. Das war’s. Colonization kann einen durchaus mehrere Stunden täglich fesseln, aber wenn man es ein paar mal durchgespielt hat, wird man es erstmal für einige Zeit nicht anrühren wollen…