Weil zudem die Rätsel schön knackig sind und auch der (manchmal etwas schwarze) Humor nicht zu kurz kommt, ist der Hit perfekt. Da kann selbst die entsetzlich ungenaue Codewheel-Abfrage nichts mehr kaputt machen – Cruise for a Corpse ist Spitze!
Das Gameplay selbst ist Geschmackssache […] Detektivische Kleinarbeit auf engstem Raum ist angesagt, die sicher nicht jedem liegt, an der aber Freunde des Genres ihren Spaß haben werden.
An innovativen Ideen haben die französischen Adventure-Erfinder von Delphine nicht gespart. […] Das Hauptmanko sind die einfallslosen Pseudo-Puzzles und das frustige Suchen nach pixelgroßen Gegenständen […] Diese Leiche hätte man vielleicht doch lieber im Keller gelassen.
Bericht von Mr Creosote (02.08.2002) – Amiga (OCS)
Eines der spannendsten Konzepte eines alten Genres kombiniert mit den modernen Attributen aktueller Computer. Damit ist Cruise for a Corpse perfekt beschrieben. Die Schlussfolgerung am Anfang des Tests? Manchmal will man einfach aus dem üblichen Trott ausbrechen, und etwas rebellisch-außergewöhnliches tun.
Cruise for a Corpse ist ein direkter Abkömmling der klassischen Detektivnische der Textadventures: Der Spieler (Inspektor Raoul Dusentier) wird von dem Millionär Niklos Karaboud (offensichtlich ein sehr französisches Spiel…) auf titelgebende Kreuzfahrt auf seiner Segeljacht eingeladen. Natürlich bleibt keine Zeit zum Entspannen, denn schon am zweiten Tag der Reise wird Niklos' Schädel zertrümmert…
In der Tradition von Klassikern wie Deadline, Suspect und The Witness ist der Schauplatz klar umrissen und beschränkt (auf das Schiff) und der Kreis der Verdächtigen ist somit beschränkt. Also kann es wohl nicht allzu kompliziert sein, den Mörder zu finden, was? Falsch! Da die Kreuzfahrt nur für die Familie und enge Freunde des Opfers gedacht war, hat praktisch jeder ein Motiv! Einige davon treten offen zu Tage, andere dunkle Verbindungen muss man erst mühsam aufdecken.
Wie würde Hercule Poirot an die Sache herangehen? Klar, erstmal den Schauplatz des Verbrechens untersuchen. Aber was dann? Richtig, die Verdächtigen befragen! Und das am besten, bevor sie ihre Versionen der „Wahrheit“ untereinander abstimmen können.
Dies nimmt den Hauptteil des Spiels ein: Die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt das richtige fragen. Selbst letzteres spiel eine Rolle, da das Spiel in einer Art Pseudoechtzeit spielt. Das stellt sich so dar, dass die Zeit begrenzt ist, aber die Uhr dreht sich nur (in Intervallen von 10 Minuten) weiter, wenn man etwas Wichtiges getan hat. Nun könnte man daraus schließen, dass man nicht in Sackgassen geraten kann, jedoch stellt sich diese Vermutung als falsch heraus. Man kann nicht steckenbleiben, indem man nur herumsteht und nichts tut (da die Zeit dann ebenfalls stehenbleibt), aber man kann steckenbleiben, indem man die richtigen Aktionen in der falschen Reihenfolge durchführt (denn dann verpasst man andere wichtige Geschehnisse). Dies ist für viele sicher abschreckend, gehört aber nun mal zum Genre – mit allen guten und schlechten Seiten…
Anders als die erwähnten Vorgänger ist Cruise for a Corpse ein reinrassig-grafisches Point-&-Click-Adventure. Der Cursor reagiert auf Berührung wichtiger Objekte, ein Klick öffnet ein Kontextmenü mit dem Gegenstand angepassten Verben (nicht so statisch wie bei den Konkurrenten von Lucasfilm oder Sierra). Ein Rechtsklick öffnet das Inventar und gewährt Zugriff auf weitere, nicht objektspezifische Kommandos.
Dieses gelungene System erspart einem das permanent eingeblendete Menü und ermöglicht vollsten Panoramablick auf die atemberaubende Grafik. Das Spiel kombiniert schön handgezeichnete Hintergründe mit computergenerierten Charakteren aus Vektoren. Dadurch bekommt man saubere Animationen zu sehen und gleichzeitig wird Speicher gegenüber konventionellen Pixelsprites eingespart. Natürlich war diese Technik zum Veröffentlichungszeitpunkt noch nicht perfekt ausgereift. Besonders die Hauptfigur sieht nicht übermäßig gut aus. Doch zumindest zerfällt sie nicht in einen undefinierbaren Haufen riesiger Pixel, wenn man der „Kamera“ zu nahe kommt.
Schon die Grafik allein könnte süchtig machen, doch selbst solch ästhetische Schönheit nutzt sich mit der Zeit ab. Was einen bei der Stange hält, ist eine gute Handlung. Die hat Cruise for a Corpse. Die clichéhafte Atmosphäre der 1920er Jahre wird gut eingefangen, sowohl optisch als auch von den Charakteren her. Die Unterhaltungen (die wirklich die meiste Zeit beanspruchen – ihr seid gewarnt!) sind stilistisch in Ordnung, wenn auch der eine oder andere Kommentar etwas sehr kurz geraten ist. Einzig problematisch ist hierbei, dass bereits abgehandelte Themen nicht von der Themenliste verschwindet, aber dauernd neue hinzukommen. Je nach persönlicher Gedächtnisleistung wird man spätestens nach der Hälfte des Spiels den Überblick verloren haben, was man schon bei wem angesprochen hat – und somit ist man gezwungen, bekannte Dialogstränge immer und immer wieder über sich ergehen zu lassen.
Die eigentliche Stärke des Plots liegt jedoch woanders. Er ist nicht völlig eindimensional (d.h. alles diene nur der einen richtigen Lösung des Mordfalls), sondern es gibt Nebenhandlungen. Einige haben mit dem Fall zu tun, andere nicht – welche, das gilt es herauszufinden. Sehr gut umgesetzt und glaubhaft – obwohl das Morden im weiteren Verlauf doch etwas außer Kontrolle gerät.
Ist der Mörder wirklich immer der Butler? Die Antwort auf diese Frage kulturhistorischen Ausmaßes ist nur ein Spiel entfernt…