Earth Command: Die Zukunft unserer Welt liegt in Ihrer Hand
Andere Titel:
Earth Command: The Future of Our World is in Your Hands / Earth Command: Save the World from Environmental Disaster / Earth Command: De Toekomst van de Wereld Ligt in jouw Handen [nl] / Earth Command: L'Avenir de la Planète Est Entre vos Mains [fr]
Der moralische Wert des Spieles ist fragwürdig: Nach pauschalen Entscheidungen werden per Knopfdruck Millionen Menschen in Armut und Verderben gestürzt. Auch die fehlende Speichermöglichkeit und ein langweiliger Spielablauf frustrieren: Mehr als die gelegentliche Parameterveränderung und Nachrichten im Standbild-Format bietet Earth Command nicht. Wegen fehlender Digital-Video-Unterstützung mach sich die Weltherrschaft auch optisch recht trostlos.
Unser Klima kollabiert. Nahrungsproduktion ist entsprechend beeinträchtigt. Überbevölkerung zehrt die letzten Ressourcen auf und führt uns an den Rand hygienischer Katastrophen. Faschismus ist wieder im Kommen. Doch keine Sorge, mit unserer Realität hat das selbstverständlich nichts zu tun. Es handelt sich um eine rein fiktive Zukunft des fernen Jahres 2003. In der sich die Regierungen der Welt immerhin soweit zusammengerauft haben, die finale Regierungsgewalt an die neugegründete UN-Organisation namens ECOM zu übertragen. Deren Hauptquartier sich auf einer Weltraumstation befindet, um wirklich die gesamte Welt im Blick zu behalten.
Alte Männer in Anzügen beherrschen die Welt
Der vom Spiel präsentierte Ausweg ist also eine weltweite Zentraldiktatur. Eine mit positiven Zielen immerhin, anders als die echten Faschisten unserer Tage. Trotzdem ist es, was es ist. Eine Machtfantasie, wie sie in Computerspielen nicht unüblich ist, aber dadurch verschärft, wie nah das Spiel an der Realität klebt.
Die Idee dahinter ist natürlich verlockend. Genau deshalb gelingt es „Führern“ unserer Welt, überhaupt erst in ihre Machtpositionen zu gelangen. Dieses Versprechen, dass ein Heilsbringer mittels seines starken Willens und seiner Entscheidungskraft alles Schlechte einfach wegwischen wird. Oder aber nur unter den Teppich fegt? Was macht das Spiel daraus? Es zeigt seinen Spielern, dass die Welt eventuell gar nicht so simpel ist.
Es gibt den Spielern schon ziemlich freie Bahn. Die Aktivitäten teilen sich in proaktive und reaktive Entscheidungen. Politik kann auf globaler, kontinentaler oder lokaler Ebene gemacht werden. Die Steuern aus einem Land können das Leben in einem anderen unterstützen, oder auch in Infrastruktur investiert werden. Welcher Lebensstil soll vorangebracht werden? Vielleicht ist es ja mal beispielsweise an der Zeit, den Fleischkonsum etwas einzudämmen? Den Regenwald zu schützen?
Interessant in diesem Kontext, dass das Spiel überhaupt Aspekte des gesellschaftlichen Lebens simuliert. Wie eben beispielsweise die genannte Möglichkeit, ein fleischloses Leben zu fördern. Während andererseits der Kern des politischen Systems (also wie die Gesellschaft überhaupt regiert wird) sowie der Wirtschaft (Kapitalismus herrscht unangefochten, nur das Maß geringer Regulierung kann bestimmt werden) gesetzt und im Wesentlichen unantastbar sind.
Kein Problem, denkt man sich, doch dann beginnt der niemals versiegende Strom von Nachrichten aus der ganzen Welt. Denn für diese gesamte Welt ist man ja schließlich zuständig. In Echtzeit bleibt kaum Zeit, überhaupt alle Überschriften zu erfassen. Definitiv kann man sich nicht um alles persönlich kümmern.
Dürre
Was natürlich ein künstlich erzeugter Schwierigkeitsfaktor ist, ausschließlich darauf begründet, dass es wirklich nur eine Person ist, die für alles zuständig ist. Spielerisch ist dies aber eine gute Entscheidung, denn diese strukturelle und konzeptionelle Überlast zwingt einen, Entscheidungen im Sekundentakt zu treffen, ohne Gelegenheit, wirklich abzuwägen. Was wiederum für proaktives Handeln praktisch überhaupt keine Zeit lässt. Was dann zwangsläufig zum Scheitern führt.
Ereignisse können dabei auch die Reaktion auf die Anstrengungen des Spielers sein. Menschen fürchten den Verlust ihrer Privilegien, möchten ihr Leben exakt so weiterführen, wie sie es gewohnt sind. Zu plötzliche, zu radikalere Änderungen lösen Unzufriedenheit aus. Selbst, wenn diese „objektiv gesehen“ nötig sein mögen. Kulturelle Besonderheiten in verschiedenen Regionen müssen bedacht werden. Kurzsichtige Profitgier nimmt schnell Überhand im Denken der Menschen gegenüber langfristigem Wohlstand. Was schwierig auszubalancieren ist.
Ist dies also die ultimative, detaillierte Simulation der weltweiten menschlichen Gesellschaft, Wirtschaft und Ökologie? Selbstverständlich nicht. In vielerlei Hinsicht ist sie sogar ziemlich oberflächlich. Beispielsweise kennt das Spiel augenscheinlich keinerlei internationalen Austausch, also die Kommunikation zwischen der Bevölkerung eines Landes mit der eines anderen. Derlei Wissen könnte sonst zu Neid und Missgunst führen. Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Politikbereichen, wie beispielsweise Ökologie und Ökonomie, sind zwar abgebildet, aber eindimensional. All diese Vereinfachungen ergeben im spielerischen Sinne und mit Hinblick auf die bereits vorhandene Überforderungsstrategie allerdings Sinn.
Es ist ein Spiel mit klarer politischer Position, das seine Botschaften bezüglich der Entwicklung der Menschheit deutlichst vermittelt. Seine Sicht auf die unumkehrlichen Notwendigkeiten zwecks Überlebens. Im Vergleich zu dieser klaren Position ist es seltsam, wie blind die Designer anscheinend auf dem anderen Auge waren. Also der Entscheidung, all diese gesellschaftlichen Änderungen durch Abschaffung jeglicher politischer Partizipation der gesamten Weltbevölkerung zu propagieren. Sehr deutlich ist, dass diese Metaebene der Vor- und Nachteile verschiedener politischer Systeme nicht Inhalt des Spiels ist oder sein sollte.
Doch selbst wenn nicht gewollt, köchelt genau diese implizite Ebene doch hoch, sobald man die Einstiegshürde überwunden hat. Während des Spielens erwischte ich mich dabei, die „Idioten“ zu verfluchen, die „keine Ahnung haben“. In tiefer Immersion, begraben unter der Flut eingehender Nachrichten aus aller Welt, der Versuch, langfristige Veränderungen anzustoßen, fast schon vergessen. Aber immer noch im vollen Vertrauen auf meine Fähigkeiten als allwissender Weltretter. Nachdem ich mich schließlich losgerissen und das Spiel beendet hatte, stellte der Kopf langsam wieder auf Normalmodus um. Und die Bedenken kehrten zurück. Die Erkenntnis, mit welcher Arroganz ich mir da eigentlich angemaßt hatte, über Milliarden von Menschen zu entscheiden, ohne sie jemals auch nur ansatzweise anzuhören. Selbst wenn es sich nur um virtuelle Menschen handelte.
Letztendlich ist mir die Rettung dieser Welt nicht gelungen. Wahrscheinlich wird es dabei auch bleiben, denn weitere Versuche sind aktuell eher zweifelhaft. Im Rückblick handelt es sich bei Earth Command um eine intellektuell höchst stimulierende Erfahrung, über die man gepflegt in den folgenden Tagen weiter reflektieren kann. Was dann allerdings spannender ist, als es überhaupt nochmal tatsächlich zu spielen. Die ersten Gehversuche sind wie beschrieben hochmotivierend, das hektische Spielprinzip lässt einem keinen Moment zum Atmen und noch weniger, eine Pause zu machen. Doch auf dieser Ebene bietet es einfach zu wenig, seine Spielstrategie effektiv zu verbessern, zu optimieren. Es ist vielmehr eine Spielerfahrung als eine Mechanik, die man durchschauen und strukturiert schlagen kann. Doch diese Erfahrung ist nach den ersten Malen und den Erkenntnissen auf der Metaebene wohl nur schwierig wiederholbar.