Bericht von Herr M. (16.05.2015) – PC (DOS)
Martian Dreams ist der zweite (und leider auch letzte) Teil von Worlds of Adventure, einem Ableger von Spielen der Ultima-Reihe, die in unserem Universum statt in Britannia angesiedelt sind. Wie sein Vorgänger, The Savage Empire, ließen sich die Entwickler dafür von reißerischen Heldengeschichten und Science-Fiction-Romanen inspirieren, insbesondere von jenen Erzählungen, auf deren Titelbild einer jener heldenhaften Typen (gelegentlich auch Typinnen) zu sehen ist, die im Alleingang ganze Welten/Planeten retten, indem sie Unmengen an Gegner an den exotischsten Orten bezwingen. Diesmal führt einen die Reise zum Mars, weshalb sich eine Menge Anspielungen auf Burroughs Mars-Zyklus , Wells Der Krieg der Welten und Jules Verne’s Von der Erde zum Mond wiederfinden.
Die Geschichte des Spiels ist eine faszinierende Mischung dieser Quellen und ihren Klischees: Percival Lowell , einer der größten Verfechter von Kanälen (und damit auch Wasser) auf dem Mars, will eine Gruppe von Forschern per Weltraumkanone zum roten Planeten schießen. Leider geht dabei etwas schief und so wird man als der Avatar, der just per Zeitparadox angereist gekommen ist, auf eine Rettungsmission geschickt, um ihm und seinen Gefährten beizustehen. Hervorragend zum Thema Mars passend findet das ganze im Viktorianischen Zeitalter statt, als der ganze Rummel um Leben am Mars seinen Höhepunkt erreicht hatte. Dies verleiht dem Spiel auch gleich einen netten Hauch von Steampunk , jenen überdrehten Szenarien zur Zeit der Industriellen Revolution, bei denen es nichts gibt was nicht mit der namensgebenden Dampftechnik gelöst werden könnte.
Diese spezielle Interpretation des Mars wandelt den schmalen Grad zwischen dem Altbekannten und dem Neuen. Einerseits scheinen eine Menge Ideen direkt aus dem Sammelsurium an Legenden und Vorstellungen der Populärkultur rund um den vierten Planeten entliehen, was die Welt recht zugänglich macht, weil viele Erwartungshaltungen erfüllt werden. Wie wäre es mit kleinen grüne Männchen? Kein Problem! Science Fiction kommt nicht ohne Strahlenkanonen aus? Natürlich! Andererseits findet sich auch der eine oder andere bewusste Bruch oder gar neuartige Ideen, die dem Spiel eine gewisse Frische verleihen, und den Entdecker-Teil um Vieles interessanter machen. Wer hat zum Beispiel behauptet, dass man das „grün“ nicht wörtlich nehmen sollte? Oder dass man auf eine Expedition nur Forscher und Entdecker mitnehmen sollte?
Was uns auch schon zu einem der größten Stärken des Spiels bringt: den Charakteren. Davon gibt es eine ganze Menge und wie gerade angedeutet stammen sie nicht nur von einer Sorte von Menschen, sondern von einer Vielfalt an Professionen – und Orten obendrein. Die menschlichen haben fast alle eines gemeinsam: Bis auf eine Handvoll an Ultima-Figuren in neuer Verpackung (die üblichen Verdächtigen) handelt es sich bei ihnen um berühmte Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Den Schreibern ist es dabei wirklich gelungen die historischen Vorlagen gekonnt auszuarbeiten, ihnen eine Persönlichkeit zu verleihen, die möglichst nahe an das Original herankommt. Manche von ihnen sind zwar zugegebenermaßen kaum wiederzuerkennen (wie beispielsweise ein sehr fader Mark Twain), aber der Großteil ist genau so, wie man sie sich vorstellen würde. Interessant ist außerdem, dass man, selbst wenn man noch nicht weiß, wer die Person vor einem ist, Einiges über ihre Charakterzüge, den Stand und die Herkunft aussagen kann, einfach indem man mit ihnen redet und darauf achtet, welche Ideen sie äußern oder auch welche Akzente sie haben.
Was die Marsianer anbelangt, werden die Figuren leider ein wenig platter, aber bleiben immer noch abwechslungsreich und vielschichtig genug, um sich voneinander zu unterscheiden. Eine ihrer beeindruckensten Eigenschaften ist ihre Kultur und Denkart, die tatsächlich einen sehr fremden Flair haben. Kombiniert mit dem gewöhnungsbedürftigen Kunstgeschmack kommt das einer glaubhaften Begegnung mit seltsamen neuen Lebensformen schon sehr nahe. Natürlich gibt es bei solchen Erstkontakten immer gewisse Vorbehalte auf beiden Seiten und gelegentlich artet dies dann auch in Rassismus aus. Dieser hätte in diesem Spiel ein interessantes Thema sein können, wäre man nicht ein wenig ungeschickt damit umgegangen.
Es fängt schon bei den ersten Begegnungen mit den Außerirdischen an, denen man sofort anmerkt, wie abgehoben sie sind. Sie vergleichen einem mit Würmern, da dies die einzige Art von tierischem Leben auf ihrem Planeten ist (alles andere hat sich aus Pflanzen entwickelt). Dabei erfinden sie ein paar durchaus kreative Beleidigungen bezüglich der vermeintlichen Vorfahren. Es wirkt einigermaßen natürlich und macht sie zu glaubhaften, wenn auch nicht besonders sympathischen, Charakteren. Die Menschen sind aber genauso misstrauisch, was sich schon durch die Tatsache offenbart, dass man scheinbar die einzige Person ist, die es der Mühe wert findet, mit den Einheimischen Kontakt aufzunehmen, um herauszufinden, was diese eigentlich wollen. Soweit so gut, das wäre eigentlich ein sehr interessantes Szenario, dass Einiges an Potential für großartige Geschichten bieten würde. Insbesondere, da die Entwickler so viel Aufwand betrieben haben, um eine Geschichte des Mars und eine eigene Philosophie seiner Bewohner zu entwerfen (dies war ja immer schon eine der größten Stärken fast aller Ultima-Spiele).
Leider werden diese Spannungen durch eine Wendung, die aus heiterem Himmel fällt, auf die billigste Art und Weise „gelöst“. Dabei bleibt der Eindruck zurück, dass einem das Spiel selbst nahelegen will, dass der menschliche Körper eben einfach überlegen ist, und es kein Problem gibt, dass nicht durch das Erschlagen des großen Bösewichts gelöst werden könnte. Bedenkt man die Inspirationsquellen mag das wenig überraschend, ja vielleicht sogar passend sein. Letztlich straft es aber nicht nur das Avatar-Dasein Lügen, sondern wirkt auch eher aufgesetzt und ist ein viel zu leichter Ausweg, bei dem alle voll und ganz zufrieden sind, so unlogisch der Lauf der Dinge auch sein mag. Kein Gedanke wird dabei auf einen tieferen Sinn verwendet.
Einer der Hauptgründe für die unsaubere Auflösung der Probleme dürfte wohl gewesen sein, dass die Entwickler mehr nach dem Motto „In der Kürze liegt die Würze“ arbeiteten. Der Mars ist fast schon lächerlich klein. Um den Planeten zu Umlaufen, braucht man in Spielzeit weniger als einen Tag. Außerdem gibt es nur vier „größere“ Siedlungen, von denen jede aus ca. 10 Häusern besteht. Auch die Geschichte selbst (der es völlig an Nebenhandlungen mangelt) ist im Vergleich zur Hauptserie eher kurz geraten. Dafür sind die einzelnen Teile unglaublich gut gestaltet. Das Figurendesign wurde ja schon erwähnt, aber auch die Rätsel sind wirklich clever gestaltet und auf sehr natürliche Art und Weise in die Geschichte eingebunden. Und die ganze Handlung rund um das Wiederbeleben des Planeten löst schon mal ein Gefühl des Erfolgs aus. Erst wenn man einen Blick auf das Gesamtbild wirft, erkennt man, dass nicht immer alles nahtlos zusammenpasst bzw. dass es ein paar Unstimmigkeiten gibt.
Wobei es etwas gibt, das wirklich hervorragend gelungen ist, einen Teil des Spiels, der sehr viel von den Schwächen mehr als wett macht: die Träume. Wie der Name des Spiels ja schon andeutet – noch mehr aber die Einleitung, bei der man ein kleines Gespräch mit einem gewissen Herrn Freud führt – spielen sie im Verlauf des Spiels eine große Rolle. Ihre Umsetzung ist eine der Sternstunden der Computerspielgeschichte. Man stößt dabei auf unglaublich seltsame Gestalten und löst die möglicherweise kreativsten Rätsel in einem Rollenspiel. Sie sind aber auch von einer Metaspiel-Perspektive ausgesprochen interessant.
Nehmen wir einmal ein wenig Abstand und betrachten wir es von folgenden Gesichtspunkten: Schon einmal darüber nachgedacht, ein Traumtagebuch zu führen? Wer dies noch nicht getan hat, sollte es wirklich einmal versuchen, da man es nicht für möglich hält, mit was für seltsamen Eindrücken und Gedanken das Gehirn einem im Schlaf überrascht. Je länger man solcherart einen Blick auf seine Träume wirft, desto mehr fällt einem auf, dass es vor allem zwei Dinge gibt, die äußerst markant sind: Alles ist wichtig und hat seinen Grund, jedes noch so kleine Detail ist bedeutungsschwanger, ob es nun starke Gefühle oder besonders intensive Erinnerungen sind. Und alles ist durch eine Traumlogik verknüpft, bei der einen ein Ding an ein anderes erinnert, das wiederum zu einem anderen weiterführt, so dass man sich auf eine Reise durch die eigenen Gedankenwelt begibt, die ja eine Spiegelung der echten in uns selbst ist, ein Teil davon, wie wir unsere Umwelt vereinfachen und interpretieren, damit wir sie zumindest ein wenig durchschauen können.
Vergleichen wir das einmal mit einem Computerspiel: Sind da die Ähnlichkeiten nicht offensichtlich? Die Art und Weise, wie jeder Gegenstand mit einer Funktion verbunden wird und wie diese dadurch miteinander verknüpft werden, um einen durch das Spiel zu führen? Martian Dreams bringt diese Parallelen geschickt zum Einsatz indem es eine Traumwelt einführt, in der all die Rätsel und Geschichten, die sonst oft so gekünstelt und aufgesetzt wirken, völlig natürlich wirken. Plötzlich braucht man für das Lösen von Knobelei keinen übermäßig komplizierten Hintergrund mehr, muss sie nicht mehr in eine vielschichtige Rahmenhandlung verpacken. Ganz im Gegenteil: Je absurder das ganze Drumherum ist, desto mehr fühlt es sich wie ein Traum an. Wie sonst könnte man Lenin dabei helfen, buchstäblich alles Geld der Welt gerecht auf die Massen aufzuteilen… um fünf Minuten später mit einem höchst produktiven amerikanischen Schriftsteller auf einem Floß über einen Mississippi zu fahren, der scheinbar nur aus Sternen besteht.
Das heißt aber nicht, dass Träume keinerlei Kontext brauchen würden. Diejenigen, die einem wirklich ein Leben lang in Erinnerung bleiben, sind ja nicht nur zufälliger Blödsinn, sondern oft genug von wirklichen Erlebnissen inspiriert. Man hat mit ihnen zudem deutlich mehr Spaß, wenn man versucht, sie danach zu deuten, ein wenig Einblick darüber zu erlangen, wie sie mit dem zusammenhängen, was man im Wachzustand erlebt. Dessen dürften sich auch die Spieleentwickler bewusst gewesen sein, weshalb sie nicht nur auf die Neuartigkeit der Träume gesetzt haben, sondern auch ein starkes „normales“ Spiel darum aufgebaut und dann damit verknüpft haben. Die oben erwähnten Beispiele mögen etwa recht lustig sein, aber für sich betrachtet kann man sie kaum ernst nehmen, verkommen sie eher zum Witz und bauen kaum Spannung auf. Doch obwohl einen das Spiel in den Träumen auffordert, einige eher lächerliche Dinge zu tun, so begeht es nie den Fehler, einem keinen Grund dafür zu geben. Die Handlungen dort haben einen Einfluss auf die „echte“ Welt, oder um genauer zu sein, auf das Vorankommen im Spiel. Dies sorgt für eine äußerst spannende Stimmung, da obwohl es nicht real ist (selbst innerhalb der Spielwelt) Einiges auf dem Spiel steht.
Obendrein bringen die Entwickler, obwohl sie das Ende von Martian Dreams im Wachzustand des Mars ein wenig verpfuscht haben, die Episoden in der Traumwelt zu einem sehr befriedigenden Finale, bei dem das Beste im Spiel zum Vorschein kommt. Nämlich Orte jenseits der Vorstellungskraft zu betreten, um dort gegen unvergessliche Gegner anzutreten, mit denen einen auch ein wenig gemeinsame Vergangenheit verbindet, deren Ziele klar sind und die man nicht bezwingen kann, indem man auf ihre Köpfchen einschlägt, sondern das eigene mal einsetzt, um wunderbar kreativ gestaltete Rätsel zu lösen, bei deren Lösung man zwar mal länger nachdenken muss, die dafür aber umso erfüllender sind.
Abschließend bleibt noch zu sagen, dass man bei diesem Spiel sicher auf seine Kosten kommt, wenn man seine Rollenspiele eher wegen der Geschichte und der Charakterinteraktion mag, anstatt einer endlosen Verbesserungsspirale und fröhlichem Leichenfleddern. Zumindest wenn man mit der leicht gewöhnungsbedürftigen (aber dennoch funktionierenden) Steuerung zurecht kommt. Auch Freunde von Adventures sollten vielleicht einen Blick darauf werfen, da Martian Dreams ein viel größeres Gewicht auf Rätsellösen und Plaudern als auf Kämpfen und Steigern legt, wodurch es diesem Genre fast ein wenig näher kommt als jenem, unter dem es gerne eingeordnet wird.