Mindwheel

Firmen:
Synapse Software / Brøderbund
Jahr:
1984
System:
Atari 400/800
Genre:
Adventure
Tags:
Apokalypse / Humor / Mythen und Sagen / Textbasiert
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
5/5

Meinung damals

Mindwheel ist nur für Adventure-Profis geeignet, die außerdem extrem gute Englisch-Kenntnisse mitbringen. Die sind aber auf Monate mit dem Interessantesten beschäftigt, das es je auf dem Adventure-Sektor gegeben hat. Weitere Adventures in diesem Stil sind in Planung.

Boris Schneider, 64er 2/86

Mindwheel erfüllt alle gestellten Erwartungen, obwohl es etwas schwierig ist, in das Spiel einzusteigen. Es ist ein reines Textadventure und besitzt starke Ähnlichkeit mit den Infocom-Programmen. Der noch nicht mit Textadventures vertraute Spieler ist mit dem Spiel vielleicht etwas überfordert, doch Infocom-Fans, die neuen elektronischen Lesestoff suchen, sei das Programm wärmstens empfohlen.

Franz Mathy, Happy Computer 1/86 

Bericht von Mr Creosote (18.08.2024) – Atari 400/800

Wie andere Medien auch sind Computerspiele oszillierenden Trends unterworfen. Aktuell (zur Zeit des Verfassens) behauptet eine Studie, ein abflauendes Interesse am Strategiegenre  festzustellen. Vor vierzig Jahren war man in den USA dagegen überzeugt, die Zeit der Actionspiele sei zu Ende. Firmen, die sich vorher genau in diesem Genre engagiert hatten, taten nun ihr bestes, schnell auf Werke für eine ältere Zielgruppe als die Atari-VCS-Kids umzustellen.

Synapse Software, die ihre Actionspiele immerhin bereits auf der Heimcomputerplattform von Atari herausgebracht hatten, sprangen mit ihrer eigenen Textadventurereihe auf den Zug auf. In der Absicht, Marktführer Infocom, der den Marketingbegriff „Interactive Fiction“ zur Abgrenzung von der Konkurrenz verwendete, zu übertreffen, nannte man die Spiele „Electronic Novels“. Intern ging man sogar noch weiter und nannte sein Entwicklungssystem BTZ, also Better Than Zork. Was natürlich von vorn bis hinten seltsam ist – man existiert also nur dank Vergleich? So oder so machte Synapse seine Zielrichtung aber klar: Man wollte sich am oberen Ende des Genres platzieren. Sich von der Masse der Schatzsuchen im Stil von Scott Adams abheben.

Der Anfang sollte gleich ein Zeichen setzen. Üblich war, dass Programmierer ihre Rätsel selbst mit einem minimalen Plotgerüst motivierten. Synapse wollte dagegen einen werbewirksamen Namen und einigten sich mit Robert Pinsky . In dessen eigenen Worten :

The vision that Ihor [founder of Synapse Software] had, that made him look up some high-brow poet who was teaching at Berkeley, was an impulse to put art, more intellectual content, something more like literature into the interactive computer electronic theatre. I was interested in the kind of hybrid way art moves along. [Ihors Vision, die ihn zu einem intellektuellen Poeten, der in Berkeley lehrte, treffen ließ, war das Verlangen, Kunst, mehr intellektuelle Inhalte, etwas in der Art von Literatur in das interaktive Computertheater zu bringen. Ich interessierte mich für die hybride Natur der Entwicklung von Kunst.]

Klingt erstmal gut, auch wenn Synapse wahrscheinlich einen etwas weniger intellektuellen Kandidaten mit dafür etwas mehr Massentauglichkeit auch nicht von der Bettkante gestoßen hätte. Michael Crichton  war allerdings bereits vergeben und Stephen King  hatte seine Rechte anderweitig abgetreten. Trotzdem erwies sich Pinsky als Glücksgriff, da sein Ruhm über die Jahre weiter stieg und der Mythos des Spiels, das er mal gemacht hatte, mit ihm wuchs. Darüber hinaus war er ohnehin bereit, sich aktiv in die Spielentwicklung einzubringen, anstatt nur seinen Namen beizusteuern. Was Fluch und Segen wurde:

I was interested in something new. I wanted to get away from the literary genre. I wanted to write a really exciting, artistic game, and the marketers, the people not in the pit [the developers], but in the nice offices at Synapse certainly wanted it to be a book. [Ich wollte etwas Neues. Ich wollte von der Literatur weg. Ich wollte ein richtig aufregendes, künstlerisches Spiel schreiben und die Vermarkter und die Entwickler in ihren schönen Büros bei Synapse wollten, dass es eigentlich ein Buch wird.]

Pinsky lieferte eine Handvoll Vorschläge und schließlich einigte man sich auf die surrealistische Reise durch die Köpfe diverser historischer (aber anders benannter) Persönlichkeiten wie John Lennon, Adolf Hitler, Marie Curie und… Robert Pinsky selbst. Wobei zahlreiche strukturelle und sonstige Verweise auf Dantes Inferno  das Fundament darstellen.

Bedenken muss man hierbei natürlich, dass Pinsky keine Romane schreibt, sondern sein Schaffen weitgehend aus Gedichtbänden besteht. Längere erzählende Texte sind nicht sein Kerngebiet, sondern das Spiel mit Worten. Was sich in dem Spiel auch zeigt.

Eine Rahmenhandlung gibt es, doch sie ist kaum relevant. Der Anfang bietet einen spielerisch leichten Einstieg für Neulinge, erzählt aber praktisch überhaupt nicht. Die gedruckte Begleitdokumentation gibt da schon mehr Hintergrund zur Spielwelt, aber die dortigen Informationen sind letztlich als optional anzusehen. Und wenn das, was klassisch das große Finale sein müsste, naht, dann zeigt Pinsky praktisch überhaupt kein Interesse, sich derlei Konventionen zu unterwerfen, die Fäden irgendwie zusammenzuführen. Stattdessen formulierte er seine Designphilosophie rückblickend folgendermaßen:

I wanted it to be as nutty and crazy and strange as possible. [Es sollte alles so bekloppt und verrückt und seltsam wie nur möglich sein.]

Was ihm zweifellos gelungen ist. Von Anfang bis Ende ist die Welt voller seltsamer Strudel, singenden Geistern, mythologischen Kreaturen, Dämonen und sprechenden Fröschen. Haushaltsgegenstände fliegen herum als wäre es das Normalste der Welt. Insekten vergnügen sich klar sexuell. Zusammen hängt das alles nicht. Bedeutungslos ist es dadurch noch lange nicht notwendigerweise. Doch die Bedeutung wird einem niemals explizit auf die Nase gebunden. In manchen Szenen ist es darüber hinaus deutlich, dass Pinsky einfach Spaß hat. Er ist also wahrscheinlich sozusagen der erste Troll-Autor der Adventuregeschichte.

Oder eben auch nicht, da er sehr wohl verstand, wie das darbringende Medium die Erzählung selbst und deren Inhalt formt:

They kept saying: „We should have one playing through of the game that you can publish as a book, Robert!“ And I would say: „Oh, no, a book is very different from just a print-out of one experience of the plot.“ [Sie sagten immer wieder: „Wir sollten einen Spieldurchlauf nehmen, den du dann als Buch veröffentlichen kannst, Robert!“ Und ich entgegnete: „Oh, nein, ein Buch ist vollkommen anders als der Ausdruck eines Erlebens der Geschichte.“]

Die Spielerfahrung von Mindwheel leidet vielmehr an den Interaktionen im klassischen Sinne des Genres – also den Rätseln:

[…] the dialectic was between I wanted to think of some goofy thing and they wanted to be sure it would be hard to figure out, that there would be a strong puzzle aspect to it. [Die Dialektik bestand dazwischen, dass ich mir immer wieder alberne Dinge ausdenken, sie aber alles schwierig machen wollte; es sollte einen starken Rätselanteil geben.]

Schließlich einigten sie sich auf Worträtsel. Statt Schätzen findet man versteckte Worte, mit denen man Gedichte vervollständigen muss. Was einen gewissen Sinn ergibt, solange man sich im Kopf des Poeten befindet, vielleicht auch noch bei Musiker, aber wie passt das bitte mit dem Diktator zusammen? Die Motive, die Bilder verändern sich mit dem Schauplatz; die Aufgaben… nicht so sehr.

Dieses Desinteresse an physischen Interaktionen mit der Spielwelt, wie sie sonst üblich ist, passt immerhin ganz gut zur technischen Seite des Spiels. Die BTZ-Engine, immerhin beworben als die nächste Generation des Textparsings, erlaubt tatsächlich eine breite Ausdrucksfähigkeit. Statt der rigiden grammatikalischen Analyse im Stile Infocoms ist sie dem ähnlicher, was heute als „künstliche Intelligenz“ durchgeht. Die lexikalische Analyse lässt Teile der Eingabe einfach fallen, wenn wiederum andere Teile sinnvoll interpretiert werden können. So gelingen manchmal überraschend gute Resultate. Ebenso gibt es jedoch das Gegenteil, wenn es zu offensichtlichen Missverständnissen der Spielerintention kommt.

Doch was ist eigentlich schlimmer: Ein Parser, der eine Eingabe komplett zurückweist (wie Infocom) oder einer, der sie falsch interpretiert (wie Synapse)? BTZ riskiert ein höheres Schadenspotential. Doch in einem Spiel wie diesem, in dem die detaillierte Perfektion des physischen Weltmodells nicht so sehr im Vordergrund steht (zumindest nicht zum direkten Scheitern führt), ist dies an sich akzeptabel.

Mindwheel errang einige mediale Aufmerksamkeit und schafft dies bis heute. Doch Synapse konnte es nicht retten. Der C64 tötete den Atari-Computermarkt und nahm das Entwicklungsstudio mit. Was bleibt, ist ein glänzendes Beispiel früher Computerunterhaltung, das seinen Wert aus der Interaktion an sich zieht, seinen Szenen, seinen Charakteren. Ausgearbeitet jenseits des Lösungspfads, wie man es gerade seinerzeit kaum kannte; d.h. zahlreiche Aktionen, die Spieler ausprobieren könnten, sind tatsächlich vom Spiel vorgesehen und werden mit passenden, individuellen Antworten bedacht.

Auf diesem Pfad befindet man sich dagegen nicht in der Oberklasse. Hängt man wieder mal an einem dieser Worträtsel, die allesamt nur halbgar in die Spielwelt und die Erzählung integriert sind, kann es sogar regelrecht öde werden. Sogar Spielerwissen von außerhalb des Spiels selbst wird abgefragt und zwar keines, das man als Allgemeinbildung voraussetzen kann; beispielsweise wird ernsthaft erwartet, die vollständigen Namen eines obskuren Baseballteams im Kopf zu haben. Dagegen ist das verpönte Baseballrätsel aus Zork II gar nichts. Welch ein Segen doch das Internet ist! Dies ist kein Spiel, das unbedingt gelöst werden will. Es sollte erfahren werden.

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