Bericht von Mr Creosote (05.01.2013) – PC (Windows)
Retro City Rampage bezeichnet sich selbst als Parodie. Sieht man mal von den üblichen rechtlichen Gründen für diese Bezeichnung ab, kann man solche in zwei grobe Richtungen einteilen: beißende Satiren und herzlich-warme voller Bewunderung. RCR fällt ganz klar in letztere Kategorie. Es it eine Reise quer durch die Popkultur der 1980er Jahre, sowohl was Stil, als auch Inhalt betrifft.
Der Protagonist, der auf den klangvollen Namen „Der Spieler“ hört, ist ein kleines Licht in der Bande des verrückten Kriminellen, der sich „Der Harlekin“ nennt, und die in der besagten Epoche tätig ist. Nach einem gründlich in die Hose gegangenen Bankraub und einem anschließenden Zusammenstoß mit Bill & Ted wird der Spieler jedoch vorwärts durch die Zeit geschleudert, bis in unsere Gegenwart (praktischerweise als das Jahr „20XX“ bezeichnet). Desorientiert verpflichtet der Spieler einen gewissen „Doc Choc“ zur Hilfe, der eine Zeitmaschine in ein verdächtig nach einem DeLorean aussehenden Sportwagen eingebaut hat. Doch bevor der Spieler wieder in seine Zeit zurückkehren kann, muss er dem Doc, der bezüglich der kriminellen Methoden des Spielers naiv-unwissend bleibt, einige Ersatzteile für die Telefonzelle besorgen. Ganz nebenbei enthüllt der gut-böse Spieler noch einige große Verschwörungen und bekommt es mit noch viel fieseren Gesellen als ihm selbst zu tun, während natürlich auch die böse-guten Gesetzeshüter ihm immer wieder an den Fersen kleben.
Das grundlegende Spielprinzip orientiert sich deutlich an Grand Theft Auto: Man bewegt sich frei durch „Theftropolis City“, wo der Spieler herumliegende Waffen einsackt, sich an versteckten Power-Ups labt, Autos klaut, Missionen erfüllt oder einfach mal aus Spaß unschuldige Passanten überfährt. Begeht er ein Verbrechen unter den wachsamen Augen der Polizei, erhöht sich das Bedrohungslevel und die Polizei greift ihn aggressiver and aggressiver an, bis selbst sie schließlich mit militärischen Einheiten ersetzt wird, wenn der Spieler es wirklich zu weit treibt. Verkriecht er sich vorübergehend unauffällig irgendwo, sinkt die Bedrohung wieder; ebenso, wenn er seinem Auto einen andersfarbigen Anstrich verleiht (wie der Spieler anmerkt: „Das wird ganz sicher klappen!“).
Doch darüber hinaus stecken im Spiel zahlreiche weitere Anlehnungen an diverse klassische Computer- und Videospiele. Eine Mission besteht beispielsweise darin, dass der Spieler sich auf ein Fahrrad schwingt, und Zeitungen austragen soll. Beim Einbruch in das Wohnhaus des örtlichen Superhelden muss er plötzlich „Rätsel lösen“ und stößt auf einen Hamster in der Mikrowelle. An mehreren Stellen schaltet das Spiel in die für Jump’n’Runs typische Seitenperspektive um, manchmal muss man sich sogar unter Wasser vorkämpfen (James Pond?), das Finale besteht aus einer länglichen Verfolgungsjagd, die an Chase HQ erinnert und die Kampftechniken des Spielers bestehen nicht nur aus dem üblichen Ballern, sondern sie erinnern auch an Golden Axe oder Double Dragon – und selbst das Ausschalten anderer Leute durch gezielte Sprünge auf ihre Köpfe ist möglich.
Letzteres illustriert auch den Gesamttonfall des Spiels: Generell sind die Anspielungen auf die Spielewelt liebevoll, jedoch haben sich auch ein paar satirische Spitzen auf die dazugehörige Welt eingeschlichen. Der Spieler liefert diesbezüglich einige staubtrockene Bemerkungen, die auf allseits bekannte Frust- oder Hassthemen anspielen, wie beispielsweise bezüglich der (nicht stattfindenden) gesellschaftlichen „Diskussion“ um Gewalt in Videospielen: Der Spieler findet einen Spielautomaten, in dem seine Figur auf die Köpfe von Monstern springen muss und dadurch fühlt er „plötzlich den Drang, auch in der echten Welt Menschen auf den Kopf zu springen“, was er dann natürlich auch prompt genauso tut. Ähnlich ironisch beginnt das Spiel mit einer „Warnung des gesunden Menschenverstands“, die die typisch verlogenen „Disclaimer“ parodiert.
Man kann also sagen, dass sich das Spiel klar an Spieler richtet, die alt genug sind, sich an die Zeiten vor zwanzig bis dreißig Jahren zu erinnern. Dieser Insiderhumor ist nicht sonderlich zugänglich – entweder man versteht ihn intuitiv oder eben nicht. Das gilt sowohl für diese eher ernsthaften Themen (was auch noch einige Anspielungen auf Microsofts Geschäftspraktiken umfasst), als auch die eher unernsten Details wie die scheinbar unendliche Auswahl verschiedener Haarschnitte, die der Spieler sich zulegen kann. All das trägt eben zu einem nostalgischen Gesamtbild voller Erinnerung an unschuldige Jugendzeiten bei.
Bestärkt wird dies durch den audiovisuellen Stil. Das Spiel wird von einer Vielzahl an Chiptunes begleitet und die Grafik… die Grafik! Effektiv breitet sich das Spiel auf gerade mal 320x240 Pixel aus und auch sonst erinnert es optisch stark an die späten 1980er Jahre. Die Qualität der Pixelbildchen und der Animationen zeigen jedoch, dass es sich um eine bewusste Entscheidung und nicht etwa technisches Unvermögen handelt. Darüber hinaus bietet das Spiel diverse Grafikfilter an, die einerseits die Pixel weichzeichnen oder eben Schärfen und andererseits von diversen klassischen Spielesystemen inspirierte Farbpaletten nachzubilden versuchen. Wer also unbedingt die augenschädliche, grün-bräunliche Kontrastlosigkeit des Game Boys oder die Farbdefekte des Spectrums nochmal erleben möchte… bitte sehr! Meine Lieblingseinstellung: die C64-Palette.
Natürlich stellt sich dann die Frage nach dem Grund. Ist es einfach nostalgische Konnotation, da ich mit diesen Farben einfachere und spaßige Zeiten verbinde? Es ist schon ein seltsamer „Zufall“, dass meine heutige Wahl mit meiner persönlichen Computerhistorie korreliert. Andererseits versuche ich mir einzureden, dass das doch nicht alles sein kann. Schließlich besteht die C64-Farbpalette immerhin aus angenehm gedeckten Farben; die Voreinstellung sowie auch beispielsweise die an das NES erinnernden sind andererseits unangenehm grell und dass Irgendjemand ernsthaft freiwillig eine CGA-Palette über längere Spielzeit wählt, kann ich mir wirklich nicht vorstellen! Doch ist das nun wirklich ein Grund oder nur eine nachgelagerte Rechtfertigung der bereits unterbewusst getroffenen Entscheidung?
Was natürlich auch für das gesamte Spiel gilt. Obwohl die meisten der kurzen „Parodielevels“ spielerisch qualitativ gegenüber dem Hauptteil abfallen und ein paar sogar gefährlich an der Frustgrenze, wie sie Originalspiele der 80er immer wieder überschritten, nagen (wobei man immerhin unbegrenzte Leben hat…), sowie die Freiheit des Spielers mit fortschreitender Geschichte immer weiter eingeschränkt wird, ist RCR eine wahre Freude! Es ist tatsächlich Jahre her, dass mich ein Spiel, das ich vorher nicht kannte, dermaßen gut unterhalten hat! Dabei ist es gar nicht mal die (zugegebenermaßen ebenfalls witzige) Story, sondern einfach das freie Spiel, in dem man all die dunklen Ecken und Geheimnisse der Stadt erkunden kann, bei der mir das Herz aufgeht. Ob das allerdings auf jüngere Spieler ähnlich wirken wird, oder ob es für sie doch nur eine weitere kleine Kuriosität zum schnellen Abhaken und Vergessen ist, dass wage ich mich nicht zu beurteilen.