Bericht von Mr Creosote (19.12.2002) – Amiga (OCS)
Alone in the Dark, Shadow of the Comet, Prisoner of Ice – Spiele, die auf den Werken H.P. Lovecrafts basieren. Keines dieser Spiele kann allerdings von sich behaupten, das erste oder beste dieser Art zu sein, denn es gibt eines, das sowohl älter, als auch besser ist als all die anderen: The Hound of Shadow!
Zuerst sollte ich die jüngeren Leser vorwarnen: Hierbei handelt es sich um ein Textadventure, das „nur“ durch ein paar Standbilder, die zusätzlich zu den verbalen Beschreibungen erscheinen, aufgelockert wird! Wer gegen diese Art Spiel Vorurteile hegt, sollte lieber nicht weiterlesen. Allerdings verpasst man dann ein geniales Spiel! Ein geniales Spiel einer sehr seltenen Spezies: ein Horrorspiel. Nicht von „moderner“ Art mit spritzenden Blutfontänen, sondern langsam heranschleichendem Grauen. Genau wie ich es mag.
Die Story dreht sich um den/die Protagonisten/in, der/die im London der 20er Jahre lebt. Er/sie nimmt zusammen mit einem Freund an einer Seance teil, wo sich etwas Seltsames ereignet. Plötzlich findet er/sie sich gezwungen, sich in die Welt des Okkulten zu begeben, sich mit magischen bösen Wesen auseinanderzusetzen und mit einem Fluch fertig zu werden.
The Hound of Shadow war das erste Spiel, das ein Rollenspielsystem (keine Angst wegen dem Begriff, es handelt sich trotzdem um ein reinrassiges Adventure) namens „Timeline“ benutzt, dessen Betonung auf der Charaktergenerierung liegt. Am Anfang des Spiels stellt man sich sein Alter Ego ganz nach einenem Gusto zusammen. Timeline benutzt dabei keine typischen Rollenspielattribute, sondern an die Bedürfnisse des Spiels angepasste. Man kann sich also zwischen Berufen wie Privatdetektiv, Adliger oder Professor entscheiden und sich Fähigkeiten wie das Sprechen verschiedener Sprachen, Überzeugungskraft, Wissen über okkulte Praktiken oder Fechten aneignen.
Diese Werte sollen dann später den Spielverlauf beeinflussen. Charaktere, die fließend Altgriechisch und Deutsch sprechen, können später im Spiel konsultierte Quellentexte natürlich selbst verstehen, während andere hier Hilfe brauchen. Okkultisten verstehen dagegen kryptische Zeichen an Wänden und bekommen dadurch wertvolle Hinweise.
Leider stellen sich die meisten Fähigkeiten, über die man sich anfangs den Kopf zerbrochen hat, im eigentlichen Spiel als nutzlos heraus! Die Timeline-Engine war offensichtlich für die Erstellung verschiedenster Szenarien gedacht, weshalb man hier noch so lange darüber grübeln kann, ob man lieber ein guter Pilot oder Fechter sein will – es wird sich nicht auswirken. Um genau zu sein haben viel zu wenige Fähigkeiten überhaupt einen Einfluss, und dieser Effekte sind auch zu klein nach meinem Geschmack! Es hätte vollkommen verschiedene Lösungswege geben können je nach Charakter, aber dem ist nicht so. Eine Menge bleibt hier der Vorstellungskraft des Spielers vorbehalten.
Das Spiel lebt von seinem reichhaltigen und stimmungsvollen Schreibstil. Die Beschreibungen der Geschehnisse und der Aktionen sind sehr detailliert und die „Quellen“ (Bücher), die man im Spielverlauf konsultiert, sind in glaubwürdiger und passender Art und Weise geschrieben. Nur die Raumbeschreibungen fallen manchmal etwas ab, besonders im Bezug auf die Spielmechanik (fehlende Richtungsangaben).
Die gute Erzählweise wird perfekt durch die sehr guten Grafiken unterstützt. Alle wichtigen Orte haben Vollbildbilder, die wirklich die Athmosphäre des Spiels mit ihrer zurückgenommenen Farbgebung und exzellentem Stil einfangen!
Ein weiterer positiver Aspekt ist das offene Spieldesign. Obwohl man meistens schon ein festes Ziel vor Augen hat, hat man auch immer „Freizeit“, in der man einfach London erkunden kann, ob zu Fuß, mit dem Bus oder mit der U-Bahn. Man kann die Oxford Street herunterschlendern, in eine Kneipe einkehren, sich in einem Nachtclub vergnügen, ein Kino besuchen – was einem auch immer einfällt. Oder eher, was den Programmieren eingefallen ist, doch das ist wirklich eine Menge, also wird man sich sicher nicht so schnell langweilen, selbst wenn man der Hauptstory nicht folgt ;)
Insgesamt ist The Hound of Shadow ein Meisterwerk der interaktiven Erzählkunst. Es gibt nicht so viele objektbasierte Rätsel, man ist eher damit beschäftigt, die Storyentwicklung aufzunehmen und sich darin zu verwickeln, dabei aber logisch vorzugehen. Die Details sind meist nicht so wichtig. So wird der natürliche Fluss der Erzählung nicht so sehr unterbrochen, doch trotzdem hat man eine schwierige Aufgabe vor sich.
Die einzige kleine Enttäuschung ist die nur ansatzweise geschehene Einbindung der Charaktergenerierung in das eigentliche Spiel. In dieser Hinsicht hätte ich zu gerne mehr Spiele dieses Systems gesehen, aber dazu war dieses wohl nicht erfolgreich genug. Es gibt nur noch ein einziges weiteres Adventure vom selben Team: Daughter of Serpents. Dort findet man wieder die bekannte Charaktererstellung, aber leider keine direkte Verbindung zu diesem Spiel (wie beispielsweise Import von Charakteren). Und am allerschlimmsten: Trotz langen Ankündigungen über mehrere Jahre wurde die Amigaversion dieses Nachfolgers niemals veröffentlicht :(