Bericht von Mr Creosote (09.01.2003) – Amiga (OCS)
Der Anfang und die Mitte der 90er Jahre brachten den Computerspielern die CD-Rom als Spielemedium. Da die Spiele selbst damals noch nicht so umfangreich waren, als dass sie diese Speichermenge gebraucht hätten, wurden die Megabytes mit „Interaktiven Filmen“ gefüllt. Diese waren nur selten mehr als eine Ansammlung von Filmschnipseln, und der Spieler war darauf beschränkt, von Zeit zu Zeit zwischen den Szenen kleine (oft sinnlose) Entscheidungen zu treffen. Viele sehen 7th Guest als den Anfang dieser Entwicklung.
King of Chicago kam allerdings schon sieben oder acht Jahre vorher heraus. Ohne CD-Rom, nur zwei (DD) Disketten. „Multimedia“ schon lange, bevor dieser Begriff so sehr in Mode kam. Wie meistens war Cinemaware seiner Zeit voraus!
Abgesehen vom unbestreitbaren historischen Wert hat King of Chicago allerdings nur wenig zu bieten. Schon das Hauptmenü („Projektor“ genannt) lässt einen nur den „Film starten“. Und „Film“ ist sicherlich auch ein passendere Begriff als „Spiel“.
Al Capone ist wegen Steuerhinterziehung hinter Gittern, Chicagos Gangster sehen ihre Chance gekommen, den „Thron“ selbst einzunehmen. Man spielt Pinky Callahan, Mitglied der „Northside Gang“. Der eigene Pate ist alt, sicherlich kann man selbst doch besser die Führung übernehmen. Also wird man ihn auf die eine oder andere Art los, nimmt seinen Platz ein, baut die Bande weiter auf und verbreitet seinen Einfluss über die gesamte Stadt.
Meistens schaut man seinem Alter Ego zu, wie er sich mit verschiedenen Leuten unterhält. Schlüsselfiguren der eigenen „Organisation“ überzeugen, korrupte Politiker bestechen (oder unter Druck setzen), die Familie (und Freundin) zufrieden halten. Der überwiegende Teil dieser Unterhaltungen läuft vollautomatisch ab. Selten kann man mal wählen, wen man überhaupt als nächstes treffen will. Und auch nur selten bekommt man ein paar Alternativen, was man sagen oder tun will.
Wenn mal gerade „nichts Besonderes“ ist, setzt man sich an seinen Schreibtisch und plant da die Finanzen oder grübelt über dem Stadtplan, wo man seine Leute als nächstes hinschicken sollte.
Ein paar Szenen erfordern dann aber doch noch „persönliches“ Eingreifen. Da wären beispielsweise Duelle mit anderen Personen (z.B. ein von der Konkurrenz angeheuerter Killer), ein bleihaltiges Treffen ganzer Gangs und das Ausbomben von Gebäuden. Keine dieser Actionsequenzen ist allzu schwierig oder spannend.
Die Grafiken sind seltsam „gemischt“. Alle Köpfe und Gesichter sind wirklich bestens gemacht, die Körper können andererseite keineswegs mithalten. Zu ähnlich, zu flach und zu billig sind sie.
Vom Spiel her tötet die mangelnde Interaktivität King of Chicago schnell. Ein ambitioniertes Projekt ist es sicherlich, die Charaktere sind „glaubwürdige Clichés“, die Atmosphäre wird gut vermittelt. Fordernd ist das Spiel allerdings nicht, weder ist es schwierig durchzuspielen, noch braucht man dafür viel Zeit. Im Gegenteil. Und obwohl es einige verschiedene Handlungselemente und -wendungen gibt, hat man schnell alles gesehen – so man denn überhaupt mehr als einmal spielt. Als Ersatz für den abendlichen Spielfilm mag das ja noch angehen, aber für Spieler ist es eher weniger wahrscheinlich.