The Warlock of Firetop Mountain
für Spielbuch
Auch verfügbar für: ZX Spectrum

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Herr M.:Mr Creosote:Gesamt:
2.5/6
Weitere Titel: Der Hexenmeister vom flammenden Berg
Firma: Puffin Books
Jahr: 1982
Genre: Rollenspiel
Thema: Kämpfen / Schwerter & Magie / Textbasiert
Sprache: English, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 11838
Rezension von Mr Creosote, Herr M. (12.09.2015)
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[Mr Creosote] Das wird jetzt etwas ungewöhnlich für unsere Webseite, auf der es sich normalerweise um digital vorliegende Spiele dreht. Es geht heute nämlich um ein „Spielbuch“. Und, wie könnte es anders sein, da haben wir uns natürlich nicht irgendeines, sondern das Spielbuch herausgesucht: Der Hexenmeister vom flammenden Berg. Wobei ich trotzdem kurz relativieren muss: Tatsächlich ist es bereits das zweite Spielbuch auf unserer Seite. Eines versteckt sich seit ca. 14 Jahren bei den Comics.

Spielbuch?

[Herr M.] Höchste Zeit also, da endlich einmal anzuknüpfen und damit gleichzeitig das Repertoire der Seite zu erweitern. Nostalgie beschränkt sich ja nicht nur auf Digitales, nein auch Handfesterem wird gerne nachgeschmachtet. Und das oben erwähnte Buch hat (für die eingeweihten Leser) eine ganz besondere Bedeutung: Es begründete sein eigenes Genre an ungewöhnlichen Büchern.

[Mr Creosote] Wobei es ja schon nichts ganz Neues war: Kinderbücher mit Wahlmöglichkeiten über den Fortgang hatte es schon vorher gegeben und Fantasyspielchen mit Würfelmechanik gab's zu der Zeit sogar zu Hauf. Die Kombination war allerdings echt neu…

[Herr M.] Tatsächlich war der ursprüngliche Plan, ein Bilderbuch mit Fragen und Verweisen zu schaffen. Aus Kostengründen wurde das zum Glück allerdings wieder verworfen, und so enstand das erste Stück interaktiver Literatur für ein etwas erwachseneres, oder zumindest jugendliches Publikum.

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Feine Bilder sorgen für viel Stimmung

[Mr Creosote] Mehr oder weniger erwachsen, aber das hält uns ja hier trotz mittlerweile fortgeschrittenen biologischen Alters nicht ab ;) Ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D&D-ähnlichen Rollenspielen war darüber hinaus, dass man auch allein spielen konnte. Das Buch übernahm sozusagen automatisiert die Rolle des Spielleiters.

[Herr M.] Geschickt kombiniert könnte man also sagen: Die Bücher werden dadurch ein wenig spannender, weil immersiver, und das Rollenspiel benötigt nicht mehr zwingend eine Runde von Leuten, die eben nicht immer verfügbar ist. Das ganze noch mit dem damals recht beliebten Fantasy-Genre abgewürzt und es verwundert nur wenig, warum dieses Buch damals ein solcher Erfolg war.

[Mr Creosote] Oder kurz zusammengefasst: der richtige Scheiß zur richtigen Zeit ;)

[Herr M.] Ja, Steve Jackson und Ian Livingstone haben damals wirklich voll den Nerv der Zeit getroffen. ;) Das Buch ging weg wie warme Semmeln und es folgte eine ganze Reihe von weiteren. Von den unzähligen Kopien anderer Verlage und Autoren ganze zu schweigen.

[Mr Creosote] In den deutschsprachigen Raum schafften die Dinger es auch. Zwar flachte die Welle etwas schneller wieder ab, so dass bereits nach einem guten Dutzend Schluss war (statt knapp 60 in Großbritannien), aber immerhin reichte es selbst Anfang der 90er (also zehn Jahre nach Ersterscheinen) nochmal für eine Wiederauflage durch einen zweiten Verlag. Ich persönlich bin durch unsere örtliche Leihbibliothek zuerst mit ein paar der Bücher in Berührung gekommen.

[Herr M.] Mir hatte sie ein Freund empfohlen, der sie mir dann netterweise auch alle ausborgte. Die „gruseligen“ Titelbilder, die abenteuerlichen Geschichten und der originelle Spielmechanismus, der das ganze zusammengehalten hat, hatten mich unheimlich fasziniert.

[Mr Creosote] Heute kaum mehr nachvollziehbar, aber damals habe ich tatsächlich die gleichen drei Bücher wieder und wieder gespielt, obwohl sie mangels technischer Finesse natürlich fast komplett deterministisch ablaufen. Das Ursprungsbuch, den Hexenmeister habe ich übrigens erst im Erwachsenenalter gespielt. Zwar gab es ihn ebenfalls in der Bücherei, aber aus mir unbekannter Quelle meinten meine Eltern zu wissen, dass eben dieses Buch etwas komplexer im Regelwerk und deshalb weniger gut geeignet sei. Unklar, wie sie zu dieser Information gekommen waren.

[Herr M.] Interessant, da gerade dieses Spielbuch zu den eher simpleren zählt. Spätere Vertreter boten ein wenig mehr mit eigenen Zusatzregeln, die aber auch selten über die vergleichsweise geringe Regelkomplexität hinausgehen. So oder so kommt man aber mit ein wenig einfachem Kopfrechnen klar.

[Mr Creosote] Eventuell bezog es sich auf das letzte Drittel des Buches. Wahrscheinlicher war es jedoch einfach eine Fehlinformation der Bibliothekarin ;)

[Herr M.] Nun, ich muss allerdings zugeben, dass ich bei meinen ersten paar Runden den Kampfmechanismus nicht ganz durchschaut hatte und beim Austragen derselben ein paar Fehler gemacht habe. :) Da der Spielablauf aber ohnehin eine recht starke Glückskomponente aufweist, war das aber halb so schlimm. Außerhalb der Kämpfe ist man ohnehin recht oft aufs Raten angewiesen und sobald es ab ins Gefecht geht entscheiden die Würfel, wie alles abläuft.

[Mr Creosote] Viele der Bücher konnte man ohne viel Glück beim initialen Auswürfeln des eigenen Charakters ohnehin nicht schaffen. Aber damit wären wir wohl an dem Punkt angekommen, wo wir – trotz der großen Bekanntheit der Bücher – nochmal kurz die Spielmechanik erklären sollten.

Wie funktioniert das?

[Herr M.] Anders als in herkömmlichen Büchern muss man sich, um das Buch lesen/spielen zu können, zuvor einen Charakter erstellen, dessen Werte einen gewissen Einfluss auf den Verlauf der Handlung haben. Dem Zeitgeist der 80er entsprechend geschieht das mehr oder weniger zufällig: Für jeden der drei Werte wirft man ein oder zwei Würfel zu denen noch ein Fixwert kommt, Ausrüstung (und für phantasievollere Gesellen auch einen Namen) ausgesucht und schon kann es losgehen.

[Mr Creosote] Das Schöne dabei: Das alles funktioniert mit stinknormalen Würfeln. Keine Spezialausrüstung aus düsteren Kellergeschäften, die man sich kaum zu betreten wagt, notwendig.

[Herr M.] Und wer selbst die nicht hat, kann auf ein nettes Extra zurückgreifen: Statt Seitenzahlen findet man Würfelaugen über das Buch verstreut. Einfach einmal durchgeblättert und auf einer wllkürlichen Seiten aufgeschlagen und schon hat man sein Würfelergebnis.

[Mr Creosote] Was dann nicht mehr ganz gleichverteilt ausfallen dürfte ;) Auf jeden Fall bekommt man dann vom Buch ein Ausgangsszenario beschrieben und auch gleich die Anfangsszene, an deren Ende es dann mehrere Handlungsmöglichkeiten zur Auswahl gibt. Die möglichen Folgeabschnitte befinden sich dann aber natürlich nicht direkt auf der nächsten Seite, damit man nicht vorher spickt, sondern wild übers Buch verteilt.

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Typische Abenteureraktivitäten – Kämpfen und Plündern

[Herr M.] Für diejenigen, die soetwas noch nie gesehen haben: Im Grunde hat man bei jeden Abschnitt einen Text, der grob beschreibt, was geschieht. Darauf wird man gefragt wie man nun handeln möchte und bekommt eine Reihe von Optionen angeboten, bei denen man jeweils eine Nummer findet. Man wählt eine davon aus und liest dann bei dem Abschnitt weiter, dessen Nummer dort steht.

[Mr Creosote] Man ist in seinen Handlungsmöglichkeiten also einerseits eingeschränkt darauf, was der Autor des Buches sich vorher überlegt hat. Andererseits kann jenes, was zur Auswahl gestellt wird, sehr vielfältig sein, da ja nur von dem Einfallsreichtum jenes Autoren beschränkt.

[Herr M.] Was punkto Handlungsmöglichkeiten am deutlichsten auffällt, ist, dass es schwer möglich ist, sich völlig frei durch die Räume zu bewegen. Oft wird man vor die Wahl gestellt, entweder links oder rechts abzubiegen, ohne die Möglichkeit zu haben umzukehren. Bedenkt man, welchen Aufwand es allerdings bedeutet, auf alle mögliche Kombinationen einzugehen, ist das allerdings verständlich.

[Mr Creosote] Das ist richtig, nur ist dieses links-rechts eben auch sehr einfallslos. Wäre dies ein Computerspiel, könnte man fest davon ausgehen, dass es auch niemals andere Optionen geben wird, weil das halt so in der Engine verankert sein wird. Im Buch kann stattdessen schon im nächsten Absatz eine völlig unvorhergesehene, originelle Option warten.

Soweit aber ja noch nichts Besonderes. Wie gesagt, das gab's schon vorher. Was dazu kommt, ist eben die Charakter- und Würfelmechanik. Es wird auf simple Weise ein Inventar verwaltet, Glück oder Pech wird an bestimmten Stellen ausgewürfelt und ganz ähnlich auch Monster verprügelt.

[Herr M.] Die Gegenstände eröffnen dabei zusätzliche Optionen (die teils echt fies wirken, wenn man das entsprechende Dinge nicht gefunden hat) oder helfen angeschlagene Werte wiederherzustellen. Das Glück übernimmt die Rolle der allgemeinen Würfelproben: Wann immer nicht ganz klar ist, ob man eine Aktion schaffen kann oder nicht, wird auf Glück gewürfelt. Beispielsweise beim Vorbeischleichen an einer Wache: Wer Glück hat, geht unbehelligt weiter, wer Pech hat, darf sich kampfbereit machen. Gekämpft wird wie gesagt auch per Würfel: Man würfelt jeweils für sich und den/die Gegner, addiert dazu seinen Kampfwert und wer auf eine höhere Zahl kommt fügt dem anderen Schaden zu. So einfach kann das Abenteurerleben sein. :)

[Mr Creosote] Einige der Wege führen dann üblicherweise in Sackgassen oder sogar direkt in den Tod. D.h. man braucht nicht nur (aber auch!) Würfelglück, sondern muss auch noch den richtigen Weg durch die Geschichte finden, um den magischen Abschnitt 400 zu erreichen.

Auf zum flammenden Berg!

[Herr M.] Soviel zur Theorie, schauen wir uns das einmal an einem praktischen Beispiel an, nämlich den erwähnten Hexenmeister vom flammenden Berg. Wie gestaltet sich also der Weg zu besagtem finalen Abschnitt? Nach einem netten Einleitungstext, in dem man allerlei Gerüchte und Spekulationen präsentiert bekommt, steht man am Eingang des namensgebenden Berges, um dem namensgebenden Hexenmeister den Gar auszumachen. Auch bei der Geschichte gilt: Simpel aber effektiv gestrickt, bei der sich sicher jeder was darunter vorstellen kann.

[Mr Creosote] Wir befinden uns in der typischen D&D-Welt, in der wir einen Dungeon ausräumen sollen. Einfach, weil wir schatzgeil sind. Soviel zu Ethik, Moral und Motivation ;)

[Herr M.] Geld regiert eben auch die Fantasy-Welt. :) Interessanterweise wird der Hexenmeister bei genauerer Betrachtung nicht einmal als besonders bösartig dargestellt. Die übliche Rechtfertigung von wegen Witwen und Waisen fehlt also. Was lockt sind tatsächlich bloß die Herausforderung und die Belohnung. Das funktioniert meines Erachtens aber nicht einmal so schlecht, weil es eben ein wenig ehrlicher ist.

[Mr Creosote] Durchaus. Immerhin wird dadurch das übliche Problem der meisten Fantasyschinken vermieden, dass man selbst bei oberflächlicher Betrachtung nicht erkennen kann, inwiefern sich die „Guten“ moralischer als die „Bösen“ verhalten.

Links oder rechts?

[Mr Creosote] Nun spricht der Name des Buchs zwar von einem Berg, aber tatsächlich geht es sofort in den Berg hinein und damit landen wir wie gesagt in einem Dungeon-Crawl – der dann auch gleich standesgemäß beginnt: „Nach einer Zeit kommst du an eine Gabelung. Willst du nach Westen oder Osten weitergehen?“.

[Herr M.] Und standesgemäß ist eine der beiden Wahlmöglichkeiten nicht besonders gesund, ohne dass man eine Möglichkeit hätte das vorauszuahnen. Das heißt, wenn es sich um den ersten Durchlauf handelt, der eben oft am spannensten ist. Gerade diese Ungewissheit, die damit verbundene Unsicherheit, macht einen recht großen Reiz aus: Was kommt da nur auf einen zu?

[Mr Creosote] Man muss sich nochmal explizit vor Augen führen, dass diese völlig willkürliche Spielerentscheidung zwischen zwei unbekannten Pfaden damals noch nicht so das Cliché war, das heute alle mit dem Genre verbinden. Es geht weiter mit mehreren verschlossenen Türen, die man jeweils öffnen oder unverrichteter Dinge links liegen lassen kann. Da frage ich mich allerdings: Was soll das? Wer macht die Türen denn bitte nicht auf? Das sind dann doch wohl eher Pseudoentscheidungen.

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Triff auf klassische Orks!

[Herr M.] Bei schlechten Kampfwerten und entsprechend unheilvoller Beschreibung mag man da vielleicht ins Grübeln kommen. Aber auch da gilt wohl: Der Novitätsfaktor überhaupt zu entscheiden, wohin es geht, wog wohl einiges aus. Und dass die Entscheidungen eigentlich auf der Hand liegen oder sich nicht viel unterscheiden weiß man in dem Moment ja nicht. Es könnte ja hinter der Türe was anderes stecken.

[Mr Creosote] Alles richtig, aber hätten es gleich sechs praktisch identische Türszenen hintereinander sein müssen? Mir kommt gerade der Anfang des Buchs reichlich faul geschrieben vor.

[Herr M.] Bei mir hat das den Eindruck eines Tutorials hinterlassen: Man lernt hier eben mit den Spielemechanismen umzugehen. Zudem erlebt man in Computerspielen teils Schlimmeres: Da sind die Räume manchmal tatsächlich identisch. Hier wird wenigstens der Versuch gemacht, sie durch die Beschreibungen ein wenig mit Leben zu füllen.

[Mr Creosote] OK, was die Räume hinter den Türen angeht, stimmt das. Nur das Fortkommen auf dem eindimensionalen Gang ist halt reichlich einfallslos. Das hätte man schon etwas besser kaschieren können: einmal eine Tür, einmal vielleicht eine Treppe, einmal ein Geheimgang usw. Wäre gleich viel abenteuerlicher gewesen.

[Herr M.] Nun, zum Glück ist ja nicht das ganze Buch so. Dem Eingangbereich folgt ja ein Abschnitt, in dem es einige Verzweigungen gibt, die sich abermals verzweigen. Das macht dann zugegebenermaßen auch gleich mehr Spaß, auch wenn man ständig das Gefühl hat, dass man etwas Wichtiges übersieht.

[Mr Creosote] Ja, im Mittelteil zieht die Motivation deutlich an. Wobei sich dann eben das von dir bereits erwähnte Problem zeigt: Man kann niemals zurückgehen (unbegründet), so dass man, wenn man sich einmal auf dem „falschen“ Pfad befindet, halt Pech gehabt hat. Was man aber natürlich erst ganz am Ende erkennen wird.

[Herr M.] Ich denke einer der Grundgedanken dahinter war, die Leute bewusst dazu zu motivieren, das Buch mehrmals durchzuspielen bzw. die Lebensdauer des Buchs dadurch zu erhöhen. Es ist ja beinahe unmöglich, gleich beim ersten Mal zum Schatz vorzudringen, man muss es also um es zu lösen mehrmals spielen. So fies das auch sein mag, finde ich trotzdem, dass sich der Frust in Grenzen hält. Immerhin wäre es nicht so viel anders, wenn man zurück laufen könnte: Man müsste ja erst wieder den ganzen Dungeon ablaufen, mit der Ausnahme, dass er dann eben teils leer, und damit langweilig wäre.

[Mr Creosote] Ja, dieses Feature ist Fluch und Segen. Irgendwann erreicht man dann, je nach Pfad, den einen oder anderen Flussübergang und wieder ändert sich der Stil des Abenteuers – diesmal noch fundamentaler.

Jenseits des Flusses

[Herr M.] Der Bruch ist in der Tat recht eklatant: Auf einmal kann man sich frei in alle Richtungen bewegen. Allerdings nur auf gleich aussehenden Gängen, die eine handvoll interessanter Räume verbinden. Ein wahrer Irrgarten, der einem ein wenig zur Weißglut bringen kann.

[Mr Creosote] Mit anderen Worten: Genau das, worüber man sich vielleicht gerade geärgert hat – dass man nicht umdrehen und den Gang einfach zurückgehen kann – wird nun doch ermöglicht in diesem Teil des Dungeons.

Dazu gesellen sich weitere D&D-Aktivitäten, wie das Absuchen der Wände nach Geheimtüren und zufällige Monsterbegegnungen.

[Herr M.] Generell wirkt dieser Abschnitt sehr nach dem typischen Dungeon Crawl. Wobei ich ehrlich sagen muss: So sehr ich das verirrt sein hasste und so mühsam es auch sein mag, immer die gleichen Abschnitte abzuklappern, so erfüllt er seinen Zweck in meinen Augen fast besser als der erste Teil. Immerhin fühlt man sich hier richtig verloren, was ja sicher die Absicht dahinter war.

[Mr Creosote] Was mir an diesem Abschnitt nicht gefiel war auch weniger die Spielmechanik an sich, sondern die wenig lebendige Sprache. Die Kreuzungen und Abzweigungen lassen sich überhaupt nicht anhand irgendwelcher beschriebener Merkmale auseinanderhalten. Farben, Materialien, Spuren – nichts wird beschrieben. Nur „Du stehst an einer Kreuzung, die nach Norden, Süden, Westen und Osten führt.“ Aha. Wenn man dieses Labyrinth kartographieren möchte (und das ist mit Zettel und Stift auch tatsächlich notwendig), dann geht das nur über die Abschnittsnummern. Also aus Sicht des Protagonisten über extrinsische Informationen.

[Herr M.] Die Informationen sind aber wohl gerade deshalb so knapp, damit man die Orientierung verliert. Würde zu offensichtliche Hinweise auf den Aufenthalstort auftauchen, würde es sich meiner Ansicht nach nicht viel anders als die erste Hälfte spielen. Die Karten, die ich angefertigt habe, waren alle ohne Abschnittsnummern und ich muss sagen, dass es schon ziemlich herausfordernd war, mir zusammenzureimen, wo ich denn nun gerade herumlaufe.

Endkampf!

[Mr Creosote] Irgendwann lässt man sich aber nicht mehr narren und steht dann endlich erst dem Cliché-Drachen gegenüber und anschließend dem Hexenmeister persönlich. Was waren deine Eindrücke dieser beiden Begegnungen?

[Herr M.] Sehr positiv! So klischeehaft die Figuren an sich sein mögen, so bieten die Konfrontationen doch einige Möglichkeiten, die über das schlichte Auswürfeln bei den weniger wichtigen Monsten hinausgehen. Wer wirklich geschickt ist (oder Glück hat), kann sie sogar ohne viel Würfeln bezwingen. So lobe ich mir meine Endgegner!

[Mr Creosote] Stimmt, bei beiden gibt es schöne Alternativwege, sie zu überwinden. Beim Drachen noch etwas eindimensional – entweder hat man vorher bestimmtes Wissen angeeignet oder nicht. Beim Hexenmeister ist es aber dann tatsächlich sehr schön variantenreich. Wobei man im Umkehrschluss sagen muss: Ohne andere Wege, im reinen Kampf mit dem Schwert, wären die beiden auch kaum besiegbar.

[Herr M.] Mit der wichtigen Betonung auf kaum: Immerhin kann man versuchen sie auch so zu erschlagen, was ja doch auch Einiges wert ist. Manche Spiele (und Spielleiter) versteigen sich da auf unbezwingbare Bestien, die gar nicht notwendig wären. Was den Drachen betrifft: Gerade dessen Rätsel fand ich eigentlich ganz lustig und auch stimmig. Das fühlte sich tatsächlich ein wenig magisch an. ;)

[Mr Creosote] Gut, es mag daran liegen, dass ich gleich bei meinem ersten Durchlauf zufällig auf den Anti-Drachen-Zauberspruch gestoßen war und die Begegnung dadurch „leicht“ antiklimaktisch wurde. Von daher fand ich den Hexenmeister noch mysteriöser.

Unendliche Reichtümer!

[Mr Creosote] Doch selbst mit seiner Bezwingung ist das Buch noch nicht zu Ende! Wir erinnern uns: Es geht darum, sich seine Schätze anzueignen.

[Herr M.] Ohja! Man steht vor der Truhe, weiß bereits, dass man drei Schlüssel für das Schloss braucht; wenn man geschickt vorgegangen ist, hat man einige davon in der Tasche, gebannt wählt man welche aus… und darf ein wenig rechnen.

[Mr Creosote] Das ist wirklich eine lustige Sache. Wo man vorher nach Belieben gepflegt Schummeln konnte, da die Optionen immer explizit mit Abschnittsnummern belegt waren, heißt es hier einfach: Rechne die Summe der Zahlen, mit denen deine Schlüssel beschriftet sind, aus, und gehe zu dem Abschnitt. Öhm… ja, da muss man dann wohl ehrlich mitspielen. Und natürlich gibt es mehr Schlüssel als notwendig und nur eine einzige Kombination ist korrekt, öffnet also die Truhe.

[Herr M.] Gut durchdacht ist hierbei, dass man, so man sich irrt, einen Hinweis darauf bekommt, wie viele der Schlüssel passen, man also nicht nur auf reines Raten angewiesen ist, sondern sich die richtige Kombination herleiten kann. Ein Hinweis am Rande: Anders als in so manchem Nachfolgeband ist das Ergebnis nicht einfach die letzte Abschnittsnummer… auch wenn die schließlich den Schatz eröffnet.

[Mr Creosote] Bei allem Verständnis, den ich in vorigen Teilen des Buches für gewisse Einschränkungen der Spielerfreiheit aufbringen konnte, muss ich aber doch sagen, dass es hier am Ende wirklich frustrierend ist. Hat man nicht die richtigen Schlüssel und stirbt man nicht bei dem Versuch, die Truhe zu öffnen, hat man verloren… ja, und jetzt? Wenn man wieder raus möchte aus dem Dungeon, muss man die Gänge eh nochmal durchstreifen. Jetzt kennt man sie ja schließlich schon. Wieso also nicht nochmal nach weiteren Schlüsseln suchen? Ich stelle mir gerade vor, wie der erfolglose Abenteurer sich stattdessen auf die Truhe setzt und so lange schmollt, bis er vor Hunger und Durst stirbt. Oder wie ist das gemeint?

[Herr M.] Nun, er ist halt wirklich frustiert. ;) In der Spielwelt ergibt es zugegenermaßen nur bedingt Sinn. Auf der spielerischen Metaebene haftet dem ein typischer Fluch des Rollenspielens an: Man kann sich noch so viele Varianten des Verlaufes der Handlung ausdenken, die Spieler werden immer auf Mittel und Wege stoßen, sie zu sprengen (oder es zumindest versuchen zu wollen). Umzukehren würde voraussetzen, sich zu merken, wo der Spieler schon überall war. Inzwischen gab es da zwar schon einige (oft weniger überzeugende) Versuche bei anderen Spielebüchern, aber das hier war eben das erste seiner Art, da gab es noch Grenzen.

[Mr Creosote] Wie gesagt, für all die spielmechanischen Gründe habe ich vollstes Verständnis. Was ich kritisiere ist, dass hier noch nicht einmal versucht wurde, sie zu kaschieren. Da wär's mir noch lieber gewesen, sowas zu schreiben wie: „Schließlich vollkommen frustriert, dass du keine weiteren Schlüssel hast, setzt du dein Schwert an, um die Truhe mit Gewalt aufzubrechen. Das hättest du besser nicht gemacht, denn ihr Besitzer war schließlich ein mächtiger Magier. Der Schutzmechanismus macht Hackfleisch aus dir.“

[Herr M.] Oder die Kiste löst sich einfach in Luft auf (um nicht immer den armen Abenteurer für sein Scheitern umzubringen). An und für sich gebe ich dir da recht, aber damit verhinderst du, dass man weitere Schlüsselkombinationen probiert. Was aber wiederum durch einen Extraabsatz lösbar gewesen wäre, zu dem man eben geht, wenn man aufgeben muss.

Große Literatur?

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Nobelpreisverdächtig?

[Mr Creosote] Wie fandest du generell abseits von der spielerischen Qualität die Texte?

[Herr M.] Ich würde es mal als äußerst stimmigen Fantasy-Kitsch bezeichenen. Schön archaische Worte, die sich zu knappen, aber effektiven Beschreibungen zusammenfügen und eine passend schmutzig-gefährliche Atmosphäre schildern.

[Mr Creosote] Das trifft's wohl. Letztlich darf man hier keine wirkliche literarische Meisterleistung erwarten, wie ja wohl schon aus unserer Beschreibung des Ausgangsszenarios klar sein sollte. Es handelt sich um Fantasytrash, aber ganz effizienten.

[Herr M.] Ja, die Absätze haben oft genau die richtige Länge: Kein Dahinplappern, aber (mit Ausnahme des Labyrinths) auch keine Einzeiler. Und es kommen auch so gut wie keine Abschnitte vor, in denen man keine Auswahlmöglichkeiten geboten werden. Schön ist auch der Humor, der sich durch das Ganze zieht, das sorgt für die notwendige Auflockerung.

[Mr Creosote] Die Auswahl der Wesen, denen man begegnet, hätte ich mir jedoch noch etwas lebendiger gewünscht. Das ist doch auch wieder nur das D&D-Standardrepertoire.

[Herr M.] Ja, Tolkieneske Monster eben mit ein paar Einsprengseln aus der griechischen Mythologie. Wobei das beim Erscheinen des Buchs eben noch nicht so verbraucht war. Kommt eigentlich überhaupt ein Monster vor, dass man so davor nicht gesehen hat?

[Mr Creosote] Leider kann ich mich an keines Erinnern. Das bleibt mir als sehr austauschbar im Gedächtnis.

Ebenso ist das Auftreiben essentieller Objekte und Informationen ziemliche Glückssache, weil der Dungeon keinen erkennbaren Regeln folgt. Es gibt spieltechnisch verschiedene Zonen (wie beschrieben), aber keine erkennbaren Unterschiede, was deren reguläre Nutzung angeht. Also keine Schlafgemächer, in einer anderen Ecke vielleicht Küche und Speisekammer oder ähnliches. Aus soetwas hätte man eventuell erschließen können, wo sich bestimmte Objekte befinden könnten für den nächsten Durchlauf. Doch es ist alles wild durcheinandergewürfelt ohne innere Logik.

[Herr M.] Nun, es herrscht eben die übliche Dungeon-Logik, bei der die Begegnungen im Vordergrund stehen, nicht wie diese zustande kommen. Da es bis auf die drei Schlüssel allerdings keine wirklich überlebenswichtigen Informationen gibt, und man deren Aufenthaltsort sowieso nur durch direktes Stöbern ermitteln kann, finde ich es halb so schlimm. Verbesserungspotential ist aber sicher vorhanden.

Klassiker für die Ewigkeit?

[Mr Creosote] Nun stellt sich die Frage, und meine Antwort ist sicher schon ein paar Mal durchgeschienen, ob man dieses Buch empfehlen kann. Unbestritten sind seine historischen Verdienste als Ausgangspunkt eines ganzen Genres. Aber ist es auch das Buch, das du empfehlen würdest, wenn Jemand neu in das Genre einsteigen möchte?

[Herr M.] Nein, für Neueinsteiger gibt es inzwischen deutlich bessere Spielbücher. Wobei ich dennoch empfehlen würde, sich früher oder später daran zu versuchen, denn auch wenn ein wenig der Zahn der Zeit daran genagt haben mag, so hat es meiner Ansicht nach Qualitäten, die über eine rein historisches Interesse hinausgehen.

[Mr Creosote] Man sollte es, wenn man sich wirklich näher mit dem Genre beschäftigen möchte, schon mal gesehen haben, ja. Damit endet es bei mir aber auch. Für mich wirkt das Buch heute wie eine Art Demonstrationsobjekt des Konzepts, um möglichen Verlagen zu zeigen, was das System so alles leisten könnte, in welche Richtungen man gehen könnte. Viel anders sind die grundlegend unterschiedlichen Stile der drei Abschnitte kaum zu erklären. Noch dazu sind die großen Abschnitte jeweils sehr stark fokussiert auf ihre jeweilige Hauptmechanik. Eben alles so eher entwurfsmäßig. Nostalgie hin und her – schon die direkt folgenden Bücher waren meines Erachtens um Klassen besser, obwohl sie sogar aus den gleichen Versatzstücken aufgebaut waren.

[Herr M.] Nun, zumindest ist das Konzept aber aufegegangen, hat die Demonstration geklappt. Außer Detailverbesserungen haben die Folgewerke nicht so viel anders gemacht. Am ehesten wurde da noch an den Geschichten und den Umfang gefeilt. Und gerade der experimentelle Charakter kann ja dann auch wiederum interessant sein, weil er für eine gewisse Varianz sorgt. In manch späteren Werken weicht das ja einer gewissen Routine.

[Mr Creosote] Zumindest sind dann die meisten in sich stringent in der einen oder anderen Richtung. Und der Hexenmeister ist halt dadurch schlechter gealtert als mancher seiner Nachfolger, dass all seine Facetten später tausendfach imitiert wurden und damit zum absoluten Clichés verkamen. Wofür das Buch selbst nichts kann, aber die Wirkung auf den Leser ist da.

[Herr M.] Da ist vermutlich was dran, es tritt eben ein gewisser Abnutzungseffekt ein, und gerade die Erstlingswerke sind noch zu sehr mit dem Bestimmen der Grundlagen beschäftigt. Trotzdem finde ich es ein recht kurzweiliges Buch, und so lange man (mangels Kenntnis des genauen Pfades) noch einen gewissen Illusionismus hat, haut es trotz der Mängel hin. Vieles von dem was du erwähnst wäre mir zumindest direkt während dem Spielen nicht so stark aufgefallen wie jetzt wo wir genauer darüber nachdenken.

[Mr Creosote] Klar, Manchem sollte man für sich nicht zu viel Gewicht beimessen. Es ist ja auch nichts wirklich schlecht im Hexenmeister. Nur eben auch nicht (mehr) herausragend gut. Womit das Buch ziemlich überflüssig geworden ist – oder es sich selbst dazu gemacht hat.

[Herr M.] Ja, mittlerweile ist es ein recht durchschnittlicher Vertreter des Genres geworden, der ohne seinen Status als Initiator wohl nicht unbedingt eine solche Beachtung genießen würde. Eines gibt es aber, was ich doch relativ herausragend gefunden habe: Wenn man die Truhe dann letzten Endes aufbekommt, erwartet einen ein Epilog, den ich dann doch vergleichsweise originell fand und der auch recht nett gestaltet war. Der ließ mich mit einem Schmunzeln und einer gewissen Zufriedenheit auf das Abenteuer zurückblicken. Wie ist es dir da auf der letzten Seite ergangen?

[Mr Creosote] Ja, die Wendung ist tatsächlich nicht schlecht. Ohne es jetzt völlig verderben zu wollen kommt die Geschichte am Ende nochmal bezüglich der „Witwen und Waisen“ zu einem wirklich runden Abschluss. Sogar mit einer Art letzter Entscheidung (auch wenn die dann nur im Kopf des Spielers stattfindet).

[Herr M.] Nun, wie bereits erwähnt: Früher oder später sprengt jeder Spieler die Pläne des Spielleiters und verlässt den vorgesehenen Pfad. Schön, dass das die Autoren das eingesehen haben und einen das selbst in die Hand nehmen lassen. :)

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