Die Akte Paul Bennet
für Interpreter (Z-Code)

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Mr Creosote:
Firma: Michael Baltes
Jahr: 2015
Genre: Adventure
Thema: Krimi / Textbasiert
Sprache: Deutsch
Lizenz: Freeware
Aufrufe: 12050
Rezension von Mr Creosote (11.08.2016)
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Nicht mehr viele Menschen schreiben klassische Textadventures. Und noch viel weniger Menschen schreiben klassische Textadventures auf Deutsch. Diese wenigen sind immerhin miteinander in Kontakt und es kommt auch von Zeit zu Zeit mal zu Treffen in der echten Welt, was immer sehr viel Spaß macht. Bei der Entwicklung unterstützt man sich selbstverständlich gegenseitig mit Rat und Tat. Nicht so schön ist, dass die Menge der Autoren beinahe identisch ist mit der Menge potentieller Spieler. Insofern besteht das realistische Risiko, dass man die gesamte Zielgruppe bereits in der Entwicklungsphase zu Testzwecken einspannt und danach keine Spieler mehr mit der fertigen Version erreicht! Michael Baltes ist wahrscheinlich der (relativ gesehen) bekannteste Autor deutscher Textadventures der letzten Jahre. Zumindest die Frequenz seiner Veröffentlichungen stellt alle anderen locker in den Schatten. Aus genannten Gründen werde ich die meisten seiner Spiele niemals fair an dieser Stelle besprechen können. Die Akte Paul Bennet ist eines der wenigen seiner Spiele, die ich nicht im Vorfeld getestet habe, die ich also rein aus der Spielerperspektive kenne. Also nutzen wir diese Gelegenheit!

Das Spiel mit dem Schauplatz New York der 1950er Jahre nennt Alfred Hitchcock, insbesondere Der unsichtbare Dritte als Inspiration. Dieser Film, in dem ein „Jedermann“ aus reinem Zufall in ein verrücktes Spionageabenteuer gezogen wird, wird häufig als der „definitive“ Hitchcockfilm angesehen und ist insofern ein hochgestecktes Ziel.

Hitchcock selbst beschrieb sein Suspense-Modell beispielhaft mit der Szene zweier Menschen, die beim Smalltalk an einem Cafétisch sitzen. Die Zuschauer wüssten, dass eine Bombe darunter angebracht ist, die bald hochgehen wird. Laut Hitchcock würden die Zuschauer also nun förmlich die Leinwand anschreien, die unwissenden Charaktere warnen wollen. Es sei dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das einen an den Nägeln kauen lasse.

Dies auf ein interaktives Medium zu übertragen, ist ziemlich schwierig, denn der Spieler ist dabei ja kein passiver Zuschauer. Er kann mit dem Protagonisten kommunizieren; dies ist ja sogar überhaupt der Sinn des Spiels. Die zweite Voraussetzung Hitchcock'schen Suspenses, die Wissenskluft zwischen Zuschauern und Charakteren, ist ebenfalls schwierig zu übersetzen. Häufig wird es sogar als frustrierend angesehen, wenn der Spieler etwas weiß, was er dem Protagonisten nicht klarmachen kann. Und um die Unterschiede noch größer zu machen stellt sich der Protagonist des Spiels auch nicht als zufälliges Opfer vertauschter Identitäten heraus, sondern er ist vielmehr das Opfer eines gezielt gegen ihn gerichteten Plans heraus.

Ein Hitchcock'sches Spiel ist Paul Bennet also keinesfalls – was auch immer das bedeuten würde. Doch neben einer solch extrinsischen Einschätzung gibt es auch immer die intrinsische Interpretation. D.h. lassen wir Hitchcock mal Hitchcock sein und spielen wir das Spiel als das, was es ist – ein Krimi im Chandler'schen Stil. Als solcher funktioniert das Spiel recht gut.

Untypisch für ihn verzichtet Michael Baltes auf den Einbau mechanischer Rätsel aus Selbstzweck. Stattdessen kann sich der Spieler ganz darauf konzentrieren, das Mysterium zu lösen, was hier eigentlich vor sich geht: warum er überfallen wurde, wer dieser Bennet ist, warum ihn jeder für diesen hält, wer überhaupt dahinter steckt und was die Beweggründe sind. Der Spielfortschritt wird dabei rein durch Information getacktet, wie es im Krimigenre sein sollte. Auf recht clevere Weise, so dass es überhaupt nicht künstlich beschränkend wirkt, wird dem Spieler der Zutritt zu Orten verwehrt, solange er nichts über diese erfährt. Durch die gleiche Mechanik bleibt es immer vage, ob nicht vielleicht doch noch grundlegend andere Pfade durchs Spiel existieren, da zentrale Entscheidungspunkte und -möglichkeiten nicht explizit gemacht werden. Eine hervorragende Verwendung der Stärke dieses Mediums, das auf freien Spielereingaben basiert.

Was Bennet also hervorragend gelingt, ist das interaktive Erzählen. Es fällt niemals auf längliche nicht-interaktive Texte zur Erklärung zurück. Stattdessen lässt es seinen Spieler immer mehr kleine Puzzlestücke entdecken (ohne ihm zu sagen, wie wichtig sie sind) und lässt sie ihn über mehrere Spielsessions zusammensetzen. Die sehr gute technische Implementierung, wie von diesem Autoren zu erwarten, fördert dieses Erkenntnismuster, da sie Experimentieren und Erkunden unterhaltsam gestaltet. Und selbst wenn nicht alle Enden aus Sicht des Protagonisten wirklich Sinn ergeben mögen (warum sollte er ein neues Leben beginnen wollen?), ist es das nicht, was wirklich zählt – es war der Weg dorthin, der trickreich, mysteriös und einfach unterhaltsam war.

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