Die Enviro-Kids greifen ein
für PC (DOS)

Mr Creosote:
Firma: Art Department / Umweltministerium NRW
Jahr: 1996
Genre: Adventure
Thema: Lernspiel / Werbespiel
Sprache: Deutsch
Lizenz: Freeware
Aufrufe: 9028
Rezension von Mr Creosote (10.09.2016)
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Erinnert ihr euch noch an Dennis, den Quälgeist? Diese völlig unwitzige Kunstfigur, die immer ihren Nachbarn in den Wahnsinn trieb und den Zuschauern/Lesern auf die Nerven ging? Wenn nicht, dann herzlichen Glückwunsch – belasst es am besten so. Alle leider bereits geschädigten Menschen werden beim ersten Anblick der Enviro-Kids allerdings intuitiv Schmerzen verspüren: die gleiche Steinschleuder in der Gesäßtasche, der gleiche Haarschnitt, die gleiche Mütze… das kann doch nicht gutgehen! Oder doch?

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Dieser (äußerliche) Dennis-Verschnitt nennt sich „Maik“ (es wird nicht vielversprechender…) und gemeinsam mit seiner Cousine Eva ist er der Protagonist dieses Spiels. Die beiden bilden gemeinsam mit einigen gleichaltrigen Freunden die „Enviro-Kids“ – eine Gruppe, die sich für Umweltschutz in ihrem kleinen Dorf namens Waldbach einsetzt. Zeitungsverleger Münzer wittert ein Geschäft und spannt die Kinder als unbezahlte Sklavenarbeiter zur Erstellung der Publikation „Müll-Gazette“ ein. Diese soll die Auswirkungen des Streiks der Müllabfuhr sowie die Machenschaften des größten Arbeitgebers des Ortes, der Visalux AG (einem Hersteller von Verpackungsmaterial) beleuchten (und wahrscheinlich nebenbei Münzer ordentlich Profit bringen).

Was auch immer der Anlass, auf jeden Fall deckt das Grüppchen ein paar handfeste Skandale auf, lernt selbst (stellvertretend für den Spieler) eine Menge über Müllvermeidung und Müllentsorgung, schafft strukturelle Verbesserungen für die Zukunft und packt auch handfest bei der Problembeseitigung mit an.

Das Spiel teilt sich in vier Spieltage, die abwechselnd von den beiden Protagonisten bestritten werden. Die beiden haben eine ganz lustige Beziehung zueinander, verhalten sich leider gegenüber Dritten jedoch ziemlich austauschbar. Oder vielleicht ganz gut so, denn so sinkt die Dennis-Gefahr. Jeden Tag gibt es etwas für die Gazette zu recherchieren, es sind Leute zu interviewen, Hintergründe aufzudecken usw. Warum gibt es im Supermarkt beispielsweise nur Waren in Einwegverpackungen? Warum überhaupt verpacktes Obst kaufen? Wie will der Bürgermeister das Problem des sich immer höher stapelnden Mülls lösen? Wieso weigert sich Firmenbesitzer A. B. Fall, mit Visalux andere (ebenfalls profitable) Wege zu beschreiten? Und überhaupt, warum fischt man heutzutage aus dem Weiher nur noch Müll statt Fischen?

Als Nachzieher im Werbeadventure-Genre präsentiert sich das Spiel technisch sehr ansprechend. Gelungene Cartoongrafik, sowohl statisch als auch während Animationen, intuitive Handhabung, ein schönes Multiple-Choice-System für Dialoge – so gefällt das! Inhaltlich setzt man auf idealistisches Gutmenschentum, aber immerhin klingen manchmal auch einigermaßen reflektierte Töne an. So gibt es beispielsweise natürlich eindimensionale Charaktere wie den raffgierigen A. B. Fall oder eben die Protagonisten, aber andererseits werden auch strukturelle Probleme, die Menschen zu anscheinend „schlechtem“ Handeln bringen, angesprochen – wie beispielsweise im Fall des Supermarktbesitzers, der sich nach der Kundennachfrage richten muss oder des Bürgermeisters, der neben dem kitschigen 50er-Jahre-Ideal der heilen Welt im Dorf mit Bächlein auch an Arbeitsplätze für die Bewohner zu denken hat. Nur selten kommt es zu wirklich nervigen Auswüchsen, wie im Fall der „Müllberaterin“ (ein NRW-spezifisches Kuriosum), die besserwisserisch immer gleich für alles eine perfekte Lösung parat hat, aber keinerlei Eigeninitiative entwickelt, sondern erst kleinschrittig gebeten werden will.

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Bliebe noch der spielerische Inhalt neben der Geschichte. Die gebotene Rätselkost ist ganz gelungen – die Aufgaben sind klar und überschaubar. Schade, dass die Spieler manchmal um die Befriedigung gebracht werden, den entscheidenden Schritt eines im Kopf bereits gelösten Rätsels selbst auszuführen – bei Vorhandensein aller notwendigen Objekte im Inventar laufen komplexere Abläufe nach initialem Anstoß halbautomatisch zu Ende (bspw. die Telefonzelle). Obwohl es zahlreiche Dialoge zu bestreiten gibt, bleiben diese jeweils kurz. Der Fluch des endlosen Laberns, der andere ähnlich gelagerte Propagandaspiele leider so häufig trifft, wird erfolgreich abgewendet, indem eine gute Balance gefunden wird.

Einzig beim letzten Spieltag geht die Luft aus: Diesen verbringt man nur noch mit Müllsammeln, also dem Absuchen der bereits bekannten Bildschirme nach mehr oder weniger versteckten Objekten. Doch auch das ist eigentlich gar nicht mal so schlimm. Einerseits zeigt es der jungen Zielgruppe, dass es nicht immer die großen Fische sein müssen, sondern man auch im Kleinen helfen kann. Andererseits sind die Enviro-Kids so umfangreich, dass man ohnehin bereits nach dem zweiten Tag bei der gleichen Spielzeit anderer Werbeadventures liegt. Von daher: zu verschmerzen.

Trotz großer anfänglicher Vorbehalte kann man also mit gutem Gewissen eingestehen: Tatsächlich ist dies ein seltenes Highlight des Werbegenres! Ein sympatisches Lernziel, gerade noch erträglicher Zeigefinger, gut ausgewogenes Spiel – so hätte es gerne weitergehen können. Hauptratschlag an die Entwickler wäre nur gewesen, die Spieler nicht per negativen grafischen Assoziationen, die dann ohnehin (zum Glück!) nicht eingelöst werden, zu vergraulen.

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