Colonization
für Amiga (OCS/ECS)
Auch verfügbar für: PC (DOS)

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Mr Creosote:
Firma: Microprose
Jahr: 1995
Genre: Strategie
Thema: Geschäftswelt / Historisch / Piraten / Politik / Krieg / Logistik
Sprache: English, Deutsch, Français
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 11938
Rezension von Mr Creosote (11.12.2016)
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Am Ende seines kommerziellen Lebens gab es für den Amiga einige merkwürdige Spiele. Umsetzungen lohnten sich langsam weniger, waren aber noch nicht völlig absurd, und so war häufig das Ziel, dabei Kosten einzusparen. Manche Umsetzungen kamen, wenn überhaupt, stark verspätet und haten keine ausreichende Qualitätskontrolle durchlaufen. Colonization kam dank Microproses englischer Außenstelle zwei Jahre nach dem Original. Eine Katastrophe ist es nicht, hat jedoch auch die typischen Merkmale.

Das Vorgehen bestand anscheinend daraus, einen Wrapper zur Darstellung fertiger Bildschirme im Betriebssystemkontext zu schreiben, d.h. das Standard-Fenstersystem zu nutzen. Womit Colonization sich tief in der Kontroverse um Immersion in eine Spielwelt, wenn diese aussieht wie eine Workbench-Anwendung, befindet. Dass man einzelne Komponenten, die als Fenster verwaltet werden, frei platzieren kann, ist auf jeden Fall wenig sinnvoll, da es nur wenige sinnvolle Arrangements gibt (lies: eines). Völlig konsequent durchgezogen wurde das dadurch entstehende neue Bedienungskonzept nicht; beispielsweise schließt man Fenster manchmal durch das Icon oben links, aber manchmal gibt es auch Buttons/Optionen irgendwo anders. Abgesehen vom Immersionsaspekt gibt es zumindest keine großen Nachteile dieses Vorgehens.

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Das Spiel wird jedoch darüber hinaus von den gleichen Schwächen, die schon die Amiga-Version von Civilization plagten, heimgesucht: Mausklicks werden nicht zuverlässig registriert; alles geht recht träge von der Hand, vom Zeichnen des Bildschirms zu genereller Reaktionsgeschwindigkeit – interessanterweise unabhängig von der Hardwareausstattung. Ein paar Bugs des Originals sind behoben (wie beispielsweise das berüchtigte „u“), andere nicht (Transportrouten funktionieren einfach nicht zuverlässig) und von Zeit zu Zeit bemerkt man neue (die Auswahl der Überfahrten von Europa). Die reduzierte Farbtiefe erschwert das intuitive Erkennen. Beispielsweise sind ausgebildete Soldaten nicht sofort von unausgebildeten zu unterscheiden. Fehlende Animationen und Zwischensequenzen (der clownhafte König fehlt) stören kaum, aber die die Stadt umgebenden Kartenfelder in der Stadtansicht nicht anzuzeigen hat handfeste spielerische Konsequenzen für die Ressourcenplanung.

Es sollte also klar sein, dass wenn man Colonization spielen möchte, andere Versionen zu bevorzugen sind. Diese ist eher eine Kuriosität der Geschichte: Auf einem System, auf dem praktisch alle Spiele ihre eigenen Booterformate benutzten, um das Betriebssystem so weit wie möglich zu umgehen, kam am Ende plötzlich dieses, das genau das Gegenteil tat.

Stellt man die Technik mal beiseite, ist Colonization aber natürlich weiterhin ein faszinierendes Spiel. Sein Fokus auf wirtschaftlicher Entwicklung und Logistik hebt es von der Masse der kriegsintensiven Strategiespiele ab. Wodurch allerdings in der Konsequenz eine Weltsicht transportiert wird, die extremst amerikanisch ist: das absolute Primat der kapitalistischen Ökonomie über Allem.

Angesichts des (theoretischen) zugrundeliegenden Themas der Emanzipation und dem Erlingen von Freiheit könnten die Siedlungen Zentren der Menschlichkeit sein; es könnte Aufgabe des Spielers sein, eine sozial-friedliche Utopie aufzubauen. Stattdessen sind Städte nichts anderes als Produktionszentren. Ob es Raum zum Leben, geschweige denn zur Selbstentfaltung, gibt, spielt keine Rolle – oder aber den Designern fällt bei solchen Stichworten nichts anderes als protestantische Arbeitsethik ein. Oder, allgemeiner gefasst: Das Spiel folgt einer sehr engen Weltsicht und bietet seinem Spieler keine Alternativen an. Der einzige Weg von Anfang zum Ende führt deterministisch über den Aufbau einer starken Wirtschaft, der Rebellion gegen das Mutterland und der „Lösung“ dieses Konflikts mit militärischen Mitteln.

Auf diesem Pfad tun sich immerhin einige interessante Facetten auf; insbesondere die drei Gegner.

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Erstens sind die sogenannten Eingeborenen zu nennen. Es ist in solchen Spielen völlig untypisch, auf Gegner zu treffen, die nicht mit den gleichen Anfangsvoraussetzungen starten. Die Eingeborenen befinden sich am Anfang auf dem Höhepunkt ihrer relativen Macht und mit dem Erstarken der Europäer schwindet diese. Sie nehmen gleich drei Rollen ein: potentieller Handelspartner, Ausbilder und militärischer Feind – oft alles zur gleichen Zeit, denn der Zustand von Krieg und Frieden ist nicht binär, sondern fließend.

Zweitens gibt es die anderen Europäer. Sie sind generell schon eher mit den Gegnern in Spielen wie Civilization zu vergleichen. Besonders ist, dass man sie zum Gewinnen gar nicht schlagen muss. Man muss ihnen sogar in keiner Weise überlegen sein. Tatsächlich ist es sogar möglich (und wahrscheinlich), dass drei der vier Protagonisten gewinnen! Entsprechend verhalten sich die Europäer aggressiv gegenüber dem Spieler, aber nicht notwendigerweise kriegerisch.

Denn: Einzige Siegbedingung ist das Erlangen der Unabhängigkeit vom europäischen Mutterland. Das der dritte und mysteriöseste Gegenspieler ist. Anfangs kann man ohne seine Unterstützung nicht überleben. Doch von Anfang an werden die europäischen Herrscher als aufgeblasene Fieslinge charakterisiert. Sie erhöhen Steuern nach Gutdünken. Sie verlangen zusätzliche Bezahlung für überlebenswichtige Güter. Sie bringen ihre Kriege in die neue Welt.

Und doch bleibt ihre wahre Macht bis zum Schluss unsichtbar. Ihren willkürlichen Entschlüssen kann man sich nicht wirkungsvoll widersetzen. Immer mal wieder erreicht einen eine Nachricht, das Expeditionsheer sei verstärkt worden. Selbst unter der Prämisse, dass ein Krieg unausweichlich ist, kann man diesen nicht etwa nach Europa tragen. Es handelt sich um eine extrinsische, geradezu göttliche Macht; ein Damoklesschwert, das über dem Kopf des Spielers baumelt – trotz aller königlichen Idiotie.

Ob diese Unterscheidung der Gegnertypen nun wirklich genau so gemeint waren oder nicht, ist nicht klar. Es gibt zumindest Hinweise darauf, dass die zugrundeliegenden Ideen nicht bis zum Ende verfolgt und zu ihrem vollen Potential entwickelt wurden.

Man denke beispielsweise an die anderen Europäer in der neuen Welt, die vielleicht bereits unabhängigen neuen Nationen sowie die Eingeborenen und ihre möglichen Rollen im Unabhängigkeitskrieg. Sie haben nämlich keine. Oder zumindest keine relevante. Militärische Einheiten der anderen (Ex-) Europäer werden einfach vom Spielbrett entfernt. Eingeborene Stämme können sich theoretisch als Verbündete des bösen Königs gegen den Spieler erheben, aber praktisch stellen sie zu diesem Zeitpunkt des Spiels keine Gefahr mehr dar.

Andersherum ist es sogar noch schwächer. Einen Unabhängigkeitskrieg müssen die computergesteuerten europäischen Siedler nicht durchmachen. Sie werden einfach scheinbar zufällig gesteuert und je nach Schwierigkeitsgrad früher oder später „in die Unabhängigkeit entlassen“.

Beispielhaft sollten diese beiden spielerischen Einschränkungen das große ungenutzte Potential zeigen, Bereiche, in denen das Spiel seine konzeptuellen Stärken der grundlegend verschiedenen Kräfte in einer gemeinsamen Spielwelt noch viel weiter hätte ausspielen können. Soviel Spaß es zugegeben macht – dies ist eines der Spiele, denen eine Neuauflage wirklich gut tun könnte.

Kommentare (7) [Kommentar schreiben]

Sven:
Einfach geil das spil
Gregor:

Dieses Spiel ist meiner Meinung nach eines der besten rundenstrategiespiele.Durch seinen intressanten geschichtlichen Hintergrund motiviert es den Spieler enorm und bietet so guten langzeitspielspass.
Was mich an dem spiel stört ist die schlechte Gegner KI sowie der öde Kampf gegen die europäeischen Kolonialmächte.
Da diese sich immer gleich verhalten und einfach ihre Truppen wahlos an der Küste absetzen und so leicht zu besiegen sind. (genügend eigene Truppen vorausgesetzt) Weiterhin finde ich das Kampfsystem irreführend da es den anschein hat das die Kämpfe ausgewürfelt werden. Ansonten aber absolut spielenswert!

Stefan:
Mein erstes Spiel auf einem PC ! Einfach cool !
PhantomXXL:
Colonization ist eines der Spiele die ich trotz meines Pentium auch heute noch gerne Spiele, obwohl bis auf das Spielprinzip alles überaltet ist, aber das ist der springende Punkt, kaum ein Spiel schafft es mich heute noch so zu fasznieren. Hinzu kommt noch die Möglichkeit das Spiel, bis auf ein gewisses Grundgerüst, "neu" zu gestalten indem man einfach alles ändern kann. Und ich bin froh das dieses Spiel noch keinen Nachfolger erhalten, den wer weis wa die Entwickler da alles verpfuscht hätten.
Mr Creosote:

Kleine Ergaenzung zur fehlenden Originalitaet. Wollen wir doch mal sehen, was Sid Meier für Spiele bis Civilization designed und produziert hat:
Civilization (1991)
Railroad Tycoon (1990)
Covert Action (1990)
F-15 Strike Eagle II (1989)
M1 Tank Platoon (1989)
Red Storm Rising (1989)
Sword of the Samurai (1989)
F-19 Stealth Fighter (1988)
Pirates! (1987)
Gunship (1986)
Crusade in Europe (1985)
Decision in the Desert (1985)
F-15 Strike Eagle (1985)
Silent Service (1985)
Solo Flight (1985)
Spitfire Ace (1984)

Kaum zwei vom selben Genre dabei, geschweige denn irgendwelche Nachfolger.

Und jetzt NACH Civilization:
SimGolf (2002)
Civilization III (2001)
Alpha Centauri Planetary Pack (2000)
Alien Crossfire (1999)
Alpha Centauri (1999)
Antietam (1998)
Gettysburg (1997)
Civilization II (1996)
Vikings: The Strategy of Ultimate Conquest (1996)
CivNet (1995)
Colonization (1994)
F-15 Strike Eagle III (1993)
Pirates! Gold (1993)

Davon basieren schonmal 7 auf dem Civilization-Konzept. Dann noch zwei reine Nachfolger. Bleiben vier andere, die ganz allgemein in der Fachpresse beinahe verrissen wurden - und das teilweise aus gutem Grund.

Krusty:

Was für eine Fehleinschätzung bezüglich der Spielidee!
Colonization war eines der besten Aufbauspiele der damaligen Zeit. Im Vergleich zu Civilization war die Grafik besser und das gesamte Spielprinzip ausgereifter. Durch 5 verschiedene Schwierigkeitsgrade konnte man wochenlangen Spielspass haben, es gab Cheats und sogar die Möglichkeit, wenn man clever genug war, die texte seinen eigenen Vorstellungen nach umzumodeln. Das war keineswegs langweilig oder geklaut, vielmehr zielte Colonization darauf ab, die Entwicklung der Unabhängigkeitsbewegung in den Kolonien der Neuen Welt nachzuspielen als die Erschaffung eines weltbeherschenden Imperiums wie in Civilization. Dieses Spiel kriegt 20 von 20 Punkten.

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