Wing Commander III: Heart of the Tiger
für PC (DOS)
Auch verfügbar für: 3DO

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Mr Creosote:
Firma: Origin / Electronic Arts
Jahr: 1994
Genre: Action
Thema: Fliegen / Science Fiction / Krieg
Sprache: English, Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 1291
Rezension von Mr Creosote (10.12.2022)
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Die Zukunft war 1994 urplötzlich da. Gerade noch hatten wir alle vor unseren Amigas gesessen und 2D-Scroller gespielt. Die erste Generation der CD-Spielekonsolen hatten gerade mal verwaschene Videoclips im Briefmarkenformat geboten, zu allem Überfluss innerhalb von „Spielen“, die der Bezeichnung kaum gerecht wurden. Und dann kam Wing Commander III. Nein, nicht aus dem Nichts, sondern nach monatelangem Medienhype. Und wie bei Origin üblich, ganz nach ihrer etablierten Firmenstrategie, hatte eigentlich niemand den notwendigen Computer, dieses Spiel in all seiner Pracht überhaupt zu spielen. Doch wer konnte ihnen das vorwerfen, da die Verkaufszahlen ihnen doch recht gaben?

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Willkommen an Bord!

Im Kern ist es eigentlich das gleiche Spiel wie sein Vorgänger. Soll heißen: eine schmalzige Seifenoper auf einem Raumkreuzer im Krieg gegen katzenhafte Aliens. Mit Ballermissionen dazwischen, um mal ein bisschen Dampf abzulassen. Nur dass Origin diesmal dafür ein paar namentlich bekannte Schauspieler auf den Bildschirm brachte. Na ja, ehrlich gesagt handelte es wohl um günstig verfügbares Personal. Der Typ aus Krieg der Sterne, der danach nie mehr eine ernstzunehmende Rolle bekommen hatte, und hiermit endgültig seine Versuche, dem Typecasting zu entkommen, aufgab. Der witzige Gegenspieler aus Zurück in die Zukunft. Beide hatten ihre 15 Minuten des Ruhms Jahre zuvor gehabt. Eine Pornodarstellerin, die in den Mainstream wechseln wollte. Zwei wirklich gute Charakterdarsteller, die aber jeweils natürlich nur wenige Szenen haben. Und dann hatten sie noch Glück mit der Auswahl von zwei weiteren Typen, denen Jahre später tatsächlich noch ganz gute TV-Karrieren bevorstanden. So oder so war das für ein Computerspiel allerdings wirklich bemerkenswert.

Gleiches galt für die Produktionsqualität. Die Darsteller bewegen sich ausschließlich vor Blue- oder Greenscreens, d.h. vor ansonsten komplett virtuellen Szenen. Physisch gebaut wurde überhaupt nichts. Mit heutigem Blick muss man sich an diesen sichtbaren Kontrast erstmal wieder gewöhnen. Zu der Zeit war es beeindruckend jenseits allen Gekannten. Die Muppet-Kilrathis sehen sogar recht niedlich aus mit ihren riesigen Köpfen, die sich übertrieben hin und her bewegen. Der Stil funktioniert, zumindest wenn zu der Entstehungszeit sozialisiert wurde.

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Endlich polygoniale Schiffsmodelle

Diese Darsteller führen ein Schmierendrama auf. Konsistente Dramaturgie findet nicht statt, ein Gesamtspannungsbogen existiert nicht. Der Plot bleibt höchst episodisch. Bis beinahe das halbe Spiel rum ist, geschieht effektiv herzlich wenig. Der Protagonist wird seinem neuen Schiff zugeteilt. Er trifft den Rest der Besatzung (nur zwei alte Bekannte sind dabei, die Fanlieblinge Maniac und Hobbes). Er muss seinen Platz finden. Ein hitzköpfiger, junger Testpilot stößt mit einem neuen, experimentellen Kampfschiff hinzu. Führt allerdings nirgendwo hin. Bis plötzlich Malcolm McDowell hereinschneit, der seinem eindimensional geschriebenen Charakter eine wundervolle moralische Gräue verleiht. Er hat einen Todesstern dabei, den Luke Skywalker beschützen soll. Was in einer unschaffbaren Mission schließlich misslingt. Woraufhin Malcolm sang- und klanglos wieder verschwindet, nur um von John Rhys-Davies ersetzt zu werden. Dieser gibt eine unglaublich unmotivierte Vorstellung. Seine Figur plant ebenfalls Völkermord. Was der Protagonist dann ausführt. Moralische Bedenken? „Worauf warten wir noch?“ ist die Reaktion der Hauptfigur. Der Spieler wird nicht gefragt.

Die übrigen Charaktere kann man bestenfalls als eindimensional bezeichnen. Da ist „der Typ mit den Spielkarten“, „der Mann mit der Gitarre“, „die Frau mit dem Messer“… Und gegen Ende darf der Spieler sich sogar zwischen zwei potentiellen Liebschaften entscheiden, die beide gleichsam oberflächlig bleiben. Diese Wahl hat sogar theoretisch einen Einfluss aufs weitere Spielgeschehen, aber sie geschieht derart spät im Spiel, dass sie effektiv nichts mehr ändert.

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Tolle Erzählung

Die Szene, in der man sich nachher für eine der beiden jungen Damen entscheiden soll, ist geradezu repräsentativ für das zutiefst mechanische Geschehen und den Mangel an Talent unter den Autoren. Beide Frauen sitzen an der Bar des Raumkreuzers. Der Spieler soll wählen. Darauf folgt dann eine Szene, in der sich der Protagonist direkt mit der Erwählten in intensives Petting begibt. Direkt im Blick der anderen. Also genau so, wie es im echten Leben geschehen würde.

Ähnlich übel gestaltet sich die große Enthüllung von Hobbes' Verrat im zweiten Akt. Dieser Kilrathi wurde im Missionspack des ersten Teils als Überläufer vorgestellt und kämpfte dort, den gesamten zweiten Teil hindurch sowie in diesem Spiel bis zu dem Punkt treu an der Seite des Spielers. Seine Charakterisierung hätte seine erneute Wandlung ohne weiteres begründen können: Sobald er von dem Plan der Menschen, seinen Heimatplaneten und all dessen Bewohner zu zerstören, hätten ihn sein moralischer Kompass, der ihn vorher gegen seine militarische Kultur hatte kämpfen lassen, wieder die Seite wechseln lassen können. Aber nein, er war die ganze Zeit ein Schläfer. Wie in Telefon. Die einfallsloseste Erklärung.

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Schauspielkunst erster Sahne

All dies bewegt sich natürlich vollkommen im Rahmen des Erwarteten. Der Vorgänger erzählte schließlich ziemlich genauso. Womit beide Spiele diesbezüglich weit über den üblichen Sphären der Computerspiele der Zeit schwebten. Vielleicht immer noch über dem, was Spielern heute üblicherweise als Geschichte vorgesetzt wird. Es ist schon unterhaltsam, wenn man es nicht allzu ernst nimmt. Das Chargieren der Akteure passt zu dem Niveau des Stoffes. Egal, wie die Karrieren verlaufen sind.

Und dann, ob man's glaubt oder nicht, gibt es wirklich auch ein Spiel nebenbei. Nicht einmal versteckt. Klar, die Entscheidungen, die man während des Herumstromerns auf den Decks trifft, haben keine nennenswerten Auswirkungen. Trotzdem nett, dass dies eingebaut wurde. Dann gibt es aber eben die Weltraummissionen. Für die der Spieler nun endlich auch seine Flügelmänner und -frauen selbst auswählen kann.

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Moment, wer hat diese romantische Szene fotografiert?

Diese Missionen bewegen sich im Rahmen dessen, was Veteranen der Vorgänger bereits kennen. Man patroulliert Navigationspunkte und schießt auf Gegner, die praktisch immer zahlenmäßig sowie technologisch überlegen auftauchen. Netterweise darf man den Schwierigkeitsgrad wählen und die Flügelmänner zeigen ihre leicht unterschiedlichen Qualitäten in verschiedenen Missionstypen. Selbst auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad trifft man jedoch zwangsweise auf einige Missionen, die kaum schaffbar sind. Wo die Spielbalance völlig aus dem Gleichgewicht gerät. Die Mission nach Verlust des Todessterns ist dabei das beste Beispiel – mehr als 40 Gegner, das muss doch ein Scherz sein!

Der Wechsel von den 1990 als revolutionär angesehenen Schiffssprites hin zu polygonialen Modellen macht die Grafik auch heute noch ganz ansehbar. Damit nicht genug, die dreidimensionalen Schiffsmodelle werden auch spielerisch ausgeschlachtet. Die Missionen beginnen jeweils stolz in einem voll modellierten Hangar, aus dem man per Hand fliegen soll. Trifft man auf entsprechend große Schlachtschiffe, kann man sogar in sie hineinstoßen und innen Schaden anrichten. Klar, mehr Gag als echt sinnvoll, aber es ist schon ziemlich befriedigend, in einen feindlichen Hangar einzudringen und die Jäger zu zerstören, bevor sie überhaupt abheben können.

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Komm' nur rein

Zuguterletzt gesellen sich Missionen auf Planetenoberflächen hinzu. Vielleicht weil die Konkurrenz auch welche bot? Nur waren sie dort die relativen Höhepunkte des Spiels gewesen. In Wing Commander III sehen leider nicht nur die Bodentexturen wirklich übel aus, sondern die Handhabung des Schiffs, überhaupt eine sinnvolle Ausrichtung zu finden, gestaltet sich als höchst frustrierend. Ausgerechnet die letzte Mission in einer dieser Bodenaufträge. Der Spieler fliegt endlos durch einen öden Canyon, ohne dass irgendetwas passiert.

Davon abgesehen bieten die Missionen aber ausreichend Abwechslung, die Motivation aufrechtzuerhalten. Das Niveau eines X-Wing oder Tie Fighter wird niemals erreicht. Ebenso sieht es bezüglich der Schiffssimulation an sich aus, trotz einiger Versuche, sie auszubauen. Beispielsweise durch manuelle Einstellmöglichkeiten für die Energieverteilung zwischen Waffen, Schilden usw. Etwas frustrierend in diesem Kontext, dass die bereits erwähnte Excalibur schon so früh eingeführt und dem Spieler vor die Nase gehalten wird, man sie dann aber erst sehr, sehr spät wirklich fliegen darf.

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Bodenmission mit Tarnkappe – gute Idee in der Theorie

Was man auch immer heutzutage über all das Gesagte denken mag, so kann man doch keinesfalls bestreiten, dass Wing Commander III ein Meilenstein der Spielgeschichte war, der Standards setzte, die auf Jahre Bestand halten sollten. Der Ruf „interaktiver Filme“ verschlechterte sich in den folgenden Jahren schnell, aber dieses Spiel wurde als eines der wenigen leuchtenden Beispiele hochgehalten. Und das lag nicht an den Darstellern, sondern an dem darin vorhandenen echten Spiel, das im Vergleich zum Vorgänger sogar leicht verbessert war. Bezüglich letzterem war es keine Revolution, aber immerhin hatte man es nicht völlig aus dem Blick verloren. Abgesehen von der Technik hat sich nicht so viel getan seit Vengeance of the Kilrathi. Aber das war ja auch schon ein gutes Spiel, oder?

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