Harvester
für PC (DOS)

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Johann67:Mr Creosote:Gesamt:
2.5/6
Besucherwertung:
6/6
Firma: DigiFX Interactive
Jahr: 1996
Genre: Adventure, Action
Thema: Kämpfen / Horror / Humor / Krimi
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 28606
Rezension von Mr Creosote, Johann67 (14.07.2010)
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[Mr Creosote] OK, heute werden wir über Harvester sprechen. Ich habe dieses Spiel vor Jahren auf einem Flohmarkt erstanden und seitdem stand es einfach im Regal herum. Dieser Test war nun endlich der Anlass, es mal auszuprobieren.

[Johann67] Das Spiel ist „ab 18“ aufgrund seiner Brutalität, spritzenden Blutes usw. Für mich war der Hauptgrund es auszuprobieren, dass es sehr unterschiedliche Meinungen zu dem Spiel gibt.

[Mr Creosote] In Deutschland ist das Spiel indiziert, so dass es noch nicht mal beworben werden durfte. Meine Version stammt aus Großbritannien, dort hat es ebenfalls eine „18er“-Einstufung bekommen.

[Johann67] Anmerken muss man noch, dass das Spiel eigentlich vor anderen Gewaltorgien wie Carmageddon und Phantasmagoria hätte herauskommen sollen, aber die Veröffentlichung verzögerte sich um zwei Jahre, so dass der Schock nicht mehr ganz so groß war.

[Mr Creosote] Die Spielezeitschrift, die ich 1996 gelesen habe, hat dem Spiel immerhin 80 von 100 Punkten gegeben. Andere haben es dagegen als praktisch unspielbar verflucht.

[Johann67] Mit sind auf Seiten wie Mobygames Tests mit Wertungen von 0/100 bis 100/100 untergekommen.

[Mr Creosote] Es könnte für unsere Leser also spannend werden. Johann67 und ich haben über die Qualität des Spiels vorher nicht gesprochen, also ist alles von absoluter Übereinstimmung bis zu völlig unterschiedlichen Meinungen möglich.

Story

[Johann67] Dann kommen wir mal zum eigentlichen Spiel. Es geht um einen Mann namens Steve, der eines Morgens in einer 50er-Jahre-Stadt aufwacht - ohne jegliche Erinnerung.

[Mr Creosote] „Stadt“ ist dabei noch freundlich ausgedrückt. Die Bevölkerungsanzahl in „Harvest“ beträgt 51. Und Steve als „Mann“ zu bezeichnen, ist ebenfalls nett: Er ist 18 und lebt zusammen mit seinem kleinen Bruder und seiner neugeborenen Schwester bei seinen Eltern.

[Johann67] Das ist zumindest das, was ihm die anderen Bewohner der Stadt erzählen.

[Mr Creosote] Niemand will ihm so recht glauben bezüglich seines Gedächtnisschwunds. Alle denken, er habe nur kalte Füße bekommen wegen seiner anstehenden Hochzeit mit einem Mädchen namens Stephanie.

[Johann67] Stephanie, so stellt sich bald heraus, hat ebenfalls ihr Gedächtnis verloren. Sie hat von ihren seltsamen Eltern Hausarrest bekommen. Wenn man es genau nimmt, verhalten sich die meisten Einwohner ziemlich seltsam.

[Mr Creosote] Vorsichtig ausgedrückt. Ein Nachbar hat nichts Besseres zu tun, als Steve seine Fantasien, wie er selbst an der Hochzeitsnacht teilnehmen könnte, zu erzählen. Stephanies Vater ist besessen von Fleisch. Und die Hausfrauen sind permanent damit beschäftigt, Kekse zu backen.

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[Johann67] Nicht zu vergessen die komplett schwule Feuerwehr, die den ganzen Tag nichts anderes macht, als nackte Männer zu malen.

[Mr Creosote] Oder der Soldat, der seine untere Körperhälfte im Krieg verloren hat und nun für ein großes Arsenal Nuklearraketen zuständig ist.

[Johann67] Der seltsamste Ort befindet sich aber im Zentrum des Ortes: die Loge. Alle sagen dem Spieler, er solle beitreten, aber man hat keine Ahnung, wer oder was sich eigentlich dahinter verbirgt.

[Mr Creosote] Alle außer Stephanie, die die Loge (mit einem gewissen Recht) unheimlich findet. Trotzdem sieht auch sie in ihr eine Möglichkeit, vielleicht aus der Stadt zu entkommen.

[Johann67] Also entschließt man sich mangels anderer Alternativen, das Gedächtnis zu stimulieren, dieser Loge beizutreten.

[Mr Creosote] Dazu muss man jedoch einige seltsame Aufgaben erfüllen und Tests bestehen... diesen Teil müsst ihr aber selbst herausfinden.

[Johann67] Gedächtnisschwund ist natürlich nicht das neueste Handlungsmotiv. In diesem Fall ist es allerdings integraler Bestandteil, ohne den der letzte Teil der Handlung nicht „funktionieren“ würde.

[Mr Creosote] Ich sehe den Sinn der Amnesie nicht. Meiner Meinung nach hätte man all das auch einfach so machen können. Steve wäre dann eben ein normaler Einwohner, der eben der Loge beitreten will, weil das in dem Ort einfach normal ist.

[Johann67] Ja, aber es ist offensichtlich, dass Steve nicht aus dieser Stadt kommt, auch wenn ihm alle das Gegenteil versichern. Er wundert sich über Dinge wie Schwarzweißfernseher und es ist relativ klar, dass er aus einer späteren Zeit als den 50er Jahren stammt. Auch ist Steve nicht so verrückt wie der Rest der Bewohner. Er wirkt wie eine relativ „normale“ Person, während die anderen eher Karikaturen zu sein scheinen. Abgesehen von Stephanie.

[Mr Creosote] Das stimmt, und das ist auch der Höhepunkt des Spiels: Unterschwellig spielt immer das Gefühl mit, dass etwas nicht stimmt. Doch was, das kann man noch nicht explizit benennen. Es sind nur so viele kleine Details, die einfach nicht richtig sind.

[Johann67] Ja, das gefiel mir auch sehr. Nicht gut dagegen ist die Linearität der Geschichte. Man kann zwar gleich von Anfang des Spiels an (fast) überall hingehen und alles mögliche versuchen, aber die Geschichte geht nur auf eine Art weiter: Wenn man der Loge beitritt.

[Mr Creosote] Die Designer des Spiels waren wohl große David-Lynch-Fans. Harvest ist prinzipiell eine kleinere Version von Twin Peaks (oder, in kleinerem Maße, der Stadt aus Blue Velvet), komplett mit einer „Log Lady“ und einer „Black Lodge“.

[Johann67] Es gibt durchaus auch andere Anspielungen: Der Armeeveteran könnte beispielsweise auch gut aus Dr. Seltsam kommen.

[Mr Creosote] Problematisch in diesem „Mystery“-Genre sind prinzipiell die Erklärungsversuche am Ende. Diese können meistens nicht mit mit dem vorher aufgebauten mithalten. Doch dazu kommen wir ja sicher noch im weiteren Verlauf dieser Diskussion. Also erstmal bis hierher: Die Geschichte ist eine hervorstechende Qualität des Spiels, sehr witzig, zynisch und unheimlich.

Gameplay

[Johann67] Ja. Qualitativ nicht so toll ist dagegen der spielerische Inhalt. Fangen wir mal mit der Bedienung an.

[Mr Creosote] In Ordnung: Alles funktioniert übers bekannte Point & Click - Prinzip. Verben (wie anschauen oder nehmen) werden je nach Kontext automatisch gewählt.

[Johann67] Dafür verschwinden manche (eigentlich die meisten) Themen in Unterhaltungen von Zeit zu Zeit. Wenn man also mit Jemandem redet, kann man sich niemals sicher sein, nicht ein Thema übersprungen zu haben. Man kann alte Themen zwar manuell in einem Textfeld eingeben, aber dazu braucht man dann schon ein gutes Gedächtnis.

[Mr Creosote] Ja, das ist allerdings sehr nervig. Darüber hinaus ist es auch ein falsches Versprechen: Das Spiel gibt vor, man könne über alles sprechen, wenn man es nur selbst eingibt, aber praktisch alles wird natürlich mit einem generischen „darüber weiß ich nichts“ beantwortet.

[Johann67] Stimmt. Auch bescheuert an den Unterhaltungen ist, dass die Checks, ob bestimmte Ereignisse bereits passiert sind, nicht immer funktionieren. Beispielsweise gibt es zwei Beweise, die man am ersten Tag finden kann. Jeder für sich beendet den ersten Tag, aber wenn man dann am zweiten Tag den zweiten Hinweis zum passenden Charakter bringt, reagiert er so, als wäre es immer noch der erste Tag und als ob noch nichts passiert wäre.

[Mr Creosote] Ich bin auch manchmal in „Endlosschleifen“ in den Unterhaltungen geraten, so dass ich mir immer wieder und wieder das gleiche anhören musste. Es gibt nie einen zuverlässigen Hinweis, ob es sich überhaupt lohnt, mit Jemandem nochmal zu sprechen oder nicht.

[Johann67] Interessant ist jedoch, dass das Spielprinzip sich von einem Tag zum nächsten plötzlich grundlegend ändert. Erst ist es ein Adventure, dann plötzlich eher Hack'n'Slash.

[Mr Creosote] Stimmt. Tatsächlich kann man gleich von Anfang an jeden Character, den man trifft, umzubringen versuchen. Als ich die Bedienung ausprobiert und gemerkt habe, das man wild um sich schlagen kann, habe ich das natürlich sofort an dem Jungen vor meiner Haustür ausprobiert. Der kleine Teufel hat mich niedergeschossen! Von da an wusste ich, dass dieses Spiel... ungewöhnlich werden würde. Relevant wird das Kämpfen jedoch erst in der zweiten Hälfte des Spiels.

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[Johann67] Der zweite Teil unterscheidet sich auch noch insofern, dass man sehr in seiner anfangs freien Bewegung beschränkt wird.

[Mr Creosote] Zuerst sollten wir jedoch über die erste Spielhälfte sprechen: Es ist zwar richtig, dass man schon fast überall direkt hingehen kann, aber trotzdem ist das Spiel bereits sehr linear. Man muss die notwendigen Aktionen in genau der Reihenfolge ausführen, wie das Spiel sie vorsieht - ob das nun Sinn ergibt oder nicht.

[Johann67] Leider hast du, was den Sinn angeht, Recht. Für einen an sich sehr kurzen Tag habe ich mehrere Stunden gebraucht. Ich hatte einfach keine Ahnung, was ich überhaupt tun sollte. Letztlich stellte sich heraus, dass ich etwas Klebeband kaufen musste, jedoch gab es vorher keinerlei Hinweis darauf, dass man sowas überhaupt brauchen wird. Warum sollte ich es also kaufen?

[Mr Creosote] Nur, weil man es kann - sonst gibt es keinen Grund.

[Johann67] In dieser Phase verkam das Spiel prinzipiell dazu, tagsüber Dinge zu organisieren, um dann nachts die Aufgaben der Loge erledigen zu können.

[Mr Creosote] Die Auslöser von Ereignissen haben auch häufig überhaupt keinen erklärbaren Zusammenhang damit, was sie eigentlichen auslösen. So klappert man in dieser Phase jeden Tag alle Bildschirme ab und guckt, ob irgendwo etwas Neues zu sehen oder zu tun ist.

[Johann67] Einige Orte (sogar sehr viele) sind zwar sehr szenisch, aber storytechnisch irrelevant. Es passiert dort überhaupt nichts. So muss man leider jeweils eine Menge Bildschirme nach Änderungen durchsuchen.

[Mr Creosote] Gleichzeitig kann man auch fast nichts tun, was nicht direkt für die Lösung nötig wäre. Ausgerechnet ein Pornomagazin kann man einem kleinen Mädchen unter die Nase halten (was nicht notwendig ist) und dafür kommt man ins Gefängnis. In der Zelle kann man die sanitären Anlagen auseinandernehmen, was auch nicht notwendig ist. Doch mehr habe ich nicht entdeckt. Im Spielverlauf bekommt man eine Leiter in die Finger. Auf dem Dach liegt eine Frisbeescheibe. Doch kann man die Leiter gegen die Wand lehnen und die Scheibe holen? Nein, natürlich nicht.

[Johann67] Wie schätzt du die insgesamt den Schwierigkeitsgrad der Rätsel ein?

[Mr Creosote] Die meisten waren sehr einfach. Da musste man Schrauben mit Schraubenziehern herausdrehen, Hunde mit Fleisch füttern... Die jeweils aktuell wichtigen Orte zu finden war schwieriger, als die dortigen Rätsel zu lösen. Dadurch wurde die zweite Hälfte des Spiels besonders einfach, da man da nicht mal mehr die Auswahl hatte, wo man hingehen wollte.

[Johann67] Bisher haben wir viel Negatives über die Bedienung gesagt, aber sie hat auch durchaus gute Seiten. Beispielsweise kann man auf Ausgänge doppelklicken, um direkt dort hinzuspringen. Das gefiel mir, da Steve sich sonst eher gemütlich fortbewegt.

[Mr Creosote] Wenn wir dann bei positiven Aspekten sind: Im zweiten Teil des Spiels (der, wie erwähnt, sehr blutig und brutal ist) können viele Kämpfe vermieden werden, wenn man stattdessen kleine Rätsel löst. Das fand ich gut, selbst wenn diese Rätsel für sich selbst betrachtet meist nicht so toll waren.

[Johann67] Das passt auch dazu, dass man am Ende einen von zwei verschiedenen Pfaden einschlagen kann - aber dazu später mehr.

[Mr Creosote] Wenn ich meine Meinung zum Spielinhalt kurz zusammenfassen kann: Nicht toll, aber ich habe schon deutlich Schlimmeres erlebt. Sehr mittelmäßig würde ich es nennen. Ich bin kein Fan von Actionszenen in Adventures, aber die Kämpfe waren immerhin meist recht einfach und, wie gesagt, auch häufig umgehbar.

[Johann67] Leider kann ich mich dem nicht anschließen. Das Gameplay ist vielleicht nicht das schlechteste aller Zeiten, aber definitiv unterdurchschnittlich. Ganz einfache Komfortfunktionen wie ein Unterhaltungsprotokoll hätten schon Einiges geholfen, aber sie fehlen völlig.

Präsentation

[Johann67] Die Präsentation gefiel mir dagegen.

[Mr Creosote] Um diese erst kurz zu beschreiben: Harvester benutzt gefilmte Figuren vor gerenderten Hintergründen. Das sieht manchmal etwas steif aus, aber im Allgemeinen ist es in Ordnung.

[Johann67] Vergleichbar ist es etwa mit Mortal Kombat.

[Mr Creosote] Ja, aber wir sprechen hier nur vom grafischen Stil, nicht vom Gameplay :) Die Zwischensequenzen sind kleine Filmclips. Was mich interessieren würde: Wie bewertest du die schauspielerischen Leistungen?

[Johann67] Mir gefielen die Zwischensequenzen sehr gut (außer der mit dem Baby, die war wirklich eklig). Die Schauspieler waren nicht immer hervorragend, aber die Filmqualität war deutlich besser als erwartet.

[Mr Creosote] Du meinst die technische Qualität?

[Johann67] Ja.

[Mr Creosote] Die war in Ordnung, ja. Ich selbst frage mich immer, was eigentlich der richtige Maßstab ist, die „Schauspieler“, die in solchen Spielen auftreten, zu bewerten. Würdest du sie als Profis ansehen?

[Johann67] Sie sind schon Schauspieler... aber in Hollywoodproduktionen mit ernsthaftem Budget werden sie es nicht schaffen. Man muss sich allerdings fragen, ob diese Arbeit vor der Kamera ihre einzige Rolle in der Produktion des Spiels war oder sie auch noch in anderer Form zum Team gehören.

[Mr Creosote] Einer der Charaktere (der Totengräber) war der Designer des Spiels, habe ich gelesen, aber darüber hinaus weiß ich das auch nicht. Na ja, im Vergleich zum üblichen schauspielerischen Standard von Computerspielen der Mitte der 90er Jahre gehen die darstellerischen Leistungen durchaus in Ordnung. Es gibt zwar die ein oder andere grenzwertige Szene, aber insgesamt sind die Rollen auch nicht so anspruchsvoll.

[Johann67] Zumindest vermitteln die zahlreichen gefilmten Szenen den Eindruck eines überdurchschnittlichen Budgets. Immerhin etwas. Die Tendenz des Spiels, sehr, sehr blutig zu werden zieht sich natürlich auch durch diese Zwischensequenzen. Zum Glück gibt es eine Funktion, die schlimmsten Auswüchse auszuschalten.

[Mr Creosote] Das ist zumindest die Theorie. Tatsächlich bewirkt das „Ausstellen“ nur, dass die wirklich allerschlimmsten Bilder mit einem albernen Text, der einen dazu auffordert, die Brutalitäten wieder anzustellen, überlagert. Fandest du wirklich, dass diese Einstellung irgendeinen ernstzunehmenden Effekt hatte? Es war doch in den entsprechenden Szenen immer noch völlig klar, was da eigentlich zu sehen wäre.

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[Johann67] Ich bin prinzipiell kein Freund solcher Einstellungen. Wenn man ein Spiel mit entsprechender Alterseinstufung kauft, dann sollte man wissen, was einen erwartet. Wenn man damit nicht zurecht kommt, sollte man solche Spiele einfach nicht spielen. Wenn es aber schon eine solche Einstellung gibt, dann sollte sie auch richtig funktionieren.

[Mr Creosote] Richtig, nur finde ich es in Harvester eben nicht richtig umgesetzt. Wie man es besser machen könnte, kann ich allerdings auch nicht sagen. Ohne die ganze Gewalt kann man das Spiel nicht machen. Im späteren Verlauf des Spiels ist sie integraler Bestandteil des Spiels. Die Option ist nur Augenwischerei.

[Johann67] Gerade, da es das Designziel des Spiels ist, den Spieler zu schockieren, ist die Gewalt natürlich einer der Hauptfaktoren, das zu erreichen.

[Mr Creosote] Wir müssen unsere Leser hier allerdings nochmal ganz explizit warnen: Dieses Spiel enthält extremst ekelhafte Szenen. Bitte überlegt es euch gut, ob ihr das sehen wollt. Es ist ganz bestimmt nichts fürs Kinder und auch nicht für Teenager! Ich möchte das „nicht für Teenager“ hier extra betonen, denn diese werden ja häufig gerade als Zielgruppe des „Gore-Genres“ gesehen. Dieses Spiel ist nicht für Teenager geeignet!

[Johann67] Ja, absolut nicht. Doch das ist gerade eine der Eigenarten des Spiels.

Enden

[Mr Creosote] Größte Zweifel habe ich vor Allem darüber, ob die meisten Teenager auch nur ansatzweise eine Chance haben, die ganze Ironie, insbesondere am Ende des Spiels, zu verstehen. Hier jetzt die explizite Warnung: Wir werden jetzt über das Ende des Spiels sprechen. Wer das nicht verraten haben möchte, springe bitte sofort zum nächsten Abschnitt der Diskussion!

[Johann67] Genau, das Ende... JETZT FOLGEN MASSIVE „SPOILER“!!!

[Mr Creosote] Nachdem Steve all die Aufgaben der Loge erfüllt hat, wird ihm eröffnet, dass...

[Johann67] ...die ganze Stadt Harvest tatsächlich eine komplexe virtuelle Realität ist, in der Steve und Stephanie die einzigen echten Menschen sind. Sinn dieser Simulation ist es, einen gegenüber Gewalt abzustumpfen und einen so in einem Serienkiller zu verwandeln. Die letzte Aufgabe ist es, die wehrlose Stephanie umzubringen. Tut man dies, wird man aus der Simulation freigelassen und ist ein Mörder. Wenn nicht, werden die lebenserhaltenden Kabel von euch beiden herausgezogen und ihr sterbt.

[Mr Creosote] Wählt man letzteres, bekommt man jedoch immerhin ein virtuelles komplettes Leben in der virtuellen Stadt Harvester in virtueller Ehe mit Stephanie ins Gehirn eingespeist, bevor man stirbt.

[Johann67] Um ehrlich zu sein ergibt keines der Enden viel Sinn für mich. Es gibt keine Möglichkeit, Stephanie zu retten - sie stirbt in beiden Fällen. Man kann nur sein eigenes Leben retten - oder eben nicht. Doch macht einen das direkt zum überzeugten Serienmörder? Das Spiel bejaht das. Es zwingt einen allerdings auch, Stephanie auf besonders brutale Art und Weise zu töten - wenn man denn diesen Weg wählt.

[Mr Creosote] Der „moralische“ Unterschied ist, das wenn man sich entschließt, sie selbst zu töten, sie in extremer Angst und unter schrecklichen Schmerzen stirbt. Die andere Option ist dagegen, dass ihr beide friedlich dahinscheidet, nach einem langen und glücklichen (eingebildeten) Leben. Es stimmt natürlich, dass trotzdem keines der Enden „gut“ ist. Stephanie kann nicht gerettet werden und man kann die virtuelle Welt nicht verlassen, ohne automatisch zum Mörder zu werden.

[Johann67] Wenn man ein Leben zwischen den Karikaturen, die Harvest bewohnen, wissend, dass man stirbt, „glücklich“ nennen kann.

[Mr Creosote] Ich glaube nicht, dass es Steve und Stephanie bewusst sein soll, dass alles nur eine Simulation ist und dass sie sterben. Ich habe es so aufgefasst, dass ihre Erinnerung an all die Enthüllungen über die Wahrheit einfach gelöscht würde, wenn sie das Leben in Harvest wählen. Auf jeden Fall ist das natürlich kein richtig zufriedenstellendes Ende. Interessanter ist natürlich die allegorische Ebene des Endes... das einem in einem sogar noch explizit vor Augen geführt wird.

[Johann67] Den Abschluss des „Mörder“-Endes bildet ein Video, das Computerspiele in Verbindung mit echter Gewalt bringt. Also sozusagen eine Warnung.

[Mr Creosote] Das ist genau die Frage. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie man das interpretieren soll. Soll das eine ernstgemeinte Warnung sein, dass Gewalt in Computerspielen auch Gewalt im echten Leben auslöst oder ist es eine Satire über die aufgeregte „Diskussion“ zu diesem Thema in den Medien?

[Johann67] Ich hoffe, dass es satirisch gemeint ist. Als ich das sag, fragte ich mich: „Wenn die Designer glauben, dass Gewalt in Computerspielen echte Gewalt auslöst, sollten sie kein ultra-brutales Spiel machen.“

[Mr Creosote] Es könnte natürlich auch die Satire einer Satire sein ;)

[Johann67] Das würde durchaus zu dem Spiel passen :)

[Mr Creosote] Ganz ernst: Ja, das würde wirklich passen. Und genau das ist eben wahrscheinlich unverständlich für alle, die nicht erwachsen sind (und auch viele Erwachsene). Es spielen da einfach zu viele gedankliche Ebenen mit.

Bugs

[Johann67] Das zweite Ende konnte ich jedoch überhaupt nicht sehen, da ich leider überhaupt nicht so weit gekommen bin. Mir sind immer wieder Bugs im Spielverlauf begegnet, aber einer verhinderte das Weiterkommen schließlich völlig.

[Mr Creosote] Ja, das Spiel ist ziemlich „buggy“. Ich konnte das „gute“ Ende ebenfalls nicht ansehen, das Video (von dessen Existenz ich mal ausgehe) wurde immer automatisch sofort abgebrochen. Auswählen konnte ich das Ende, aber mehr nicht.

[Johann67] Für mich war das Spiel in der Loge vorbei. Als ein bestimmter Gegner auftauchte, stürzte das Spiel einfach ab.

[Mr Creosote] Um kurz zu erklären, warum wir trotzdem das Ende diskutieren konnten: Ich habe ihm ein Video geschickt.

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[Johann67] Darüber hinaus gibt es zahlreiche logische Fehler, wie die Beweisprobleme, die ich anfangs erwähnt habe.

[Mr Creosote] Das Spiel ist bei mir nie komplett abgestürzt, aber manchmal schien es sich tatsächlich in inkonsistenten internen Zuständen zu befinden.

[Johann67] Bei mir gab es noch drei andere Abstürze, aber diese passierten nicht immer, so dass ich da jeweils noch gerade vorbeikommen konnte. Vielleicht liegt es natürlich nur an Dosbox auf Windows Vista 32-Bit.

[Mr Creosote] Vielleicht technisch gesehen kein Bug, aber auf jeden Fall sehr seltsam: Charaktere tauchten manchmal an mehreren Orten gleichzeitig auf.

[Johann67] Aah, wie der Sheriff in seinen Kaffeepausen!

[Mr Creosote] Ganz genau! Das lag also nicht an mir!

[Johann67] Seltsam war auch, dass er manchmal Dialoge des einen Ortes am jeweils anderen hatte.

[Mr Creosote] Sein Mitarbeiter sagte sogar einmal im Restaurant etwas, obwohl er gar nicht dort war.

[Johann67] Ja, und noch etwas, was vielleicht gar kein direkter Bug ist, aber manchmal verhielten sich die Charaktere doch wirklich komisch, selbst für Harvest.

[Mr Creosote] Zum Beispiel?

[Johann67] Wie das kleine Mädchen: <Spoilerwarnung> „Ich wurde gerade vergewaltigt und danach lebendig begraben. Vielen Dank, dass du mich gerettet hast. Jetzt werde ich mal zurück nach Hause zu Mamma gehen.“

[Mr Creosote] Hä? Das war bei mir anders - sie wollte, dass ich sie nach Hause bringe. Als sie dann allerdings wieder bei ihrer Mutter war, schien sie das ganze schon wieder ziemlich locker zu nehmen.

[Johann67] Bei mir ist sie nach nur einer Dialogzeile einfach verschwunden.<Ende der Spoiler>

[Mr Creosote] Das war dann definitiv ein weiterer Bug, denn das ist sicher nicht das, was inhaltlich passieren sollte. Es gibt noch viele Kleinigkeiten dieser Art, doch ist es wenig sinnvoll, wenn wir jetzt alle aufzählen. Wer das Spiel startet, dem sollte immer die Gefahr bewusst sein, dass man das Spiel vielleicht unfreiwillig nicht beenden können wird.

Fazit

[Johann67] Das Spiel hat also sehr viele Bugs. Trotzdem ist es eine besondere Erfahrung.

[Mr Creosote] „Besonders“ trifft es schon. Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits sehe ich die gelungenen Storyelemente, andererseits sind die dumme Brutalität und das mittelmäßige Spiel deutlich abträglich.

[Johann67] Das ist wohl auch der Grund dafür, dass die Bewertungen so unterschiedlich ausfallen. Dass sich das Spielprinzip grundlegend ändert und dass erst ganz am Ende überhaupt etwas erklärt wird, machen das Einordnen schwierig.

[Mr Creosote] Ich würde nicht sagen, dass sich das „Spielprinzip“ wirklich ändert. Wie gesagt sind viele Kämpfe durch Rätsel umgehbar. Es stimmt jedoch, dass man das Spiel nicht besprechen kann, ohne das Ende gesehen zu haben.

[Johann67] Das könnte schon viele potentielle Spieler abschrecken: Dass man nicht weiß, was überhaupt vor sich geht. Wie einige Charaktere handeln, ergibt es im Rückblick mit Kenntnis des Endes Sinn.

[Mr Creosote] Insgesamt hat mir die erste Hälfte gefallen, d.h. die Erkundung der Stadt und die ersten paar Aufgaben der Loge. Dann wurden jene Aufgaben langsam etwas eintönig. Und als man dann endlich die Loge betreten konnte, wurde die seltsame, unheimliche Stimmung mit Splattermomenten ersetzt. Das gefiel mir dann nicht mehr. Und bezüglich des Endes bin ich unentschlossen.

[Johann67] Das Spiel hat sehr gute, aber auch sehr schlechte Seiten und wenig dazwischen. Der Humor hat mir sehr gut gefallen (die alternative „Bienchen und Blümchen“-Geschichte von Steves Vater war wirklich gut), ebenso die Präsentation des Spiels mit den zahlreichen Zwischensequenzen und dem „erwachsenen“ Stil (inklusive der Brutalität). Nicht gefallen haben mir das schreckliche Gameplay und die große Anzahl von Bugs. Einige Dinge sind wirklich gut gemacht, andere sehr schlecht. Was angesichts der zwei zusätzlichen Jahre Entwicklungszeit schon seltsam ist.

[Mr Creosote] Also wieder mein Standardspruch, der bei diesem Spiel jedoch besonders treffend ist: Die Qualität des Spiels in einer einzigen Zahl zusammenzufassen, ist praktisch unmöglich. Nur, wer diese Diskussion gelesen hat, versteht, was wir wirklich meinen. Wer stattdessen nur auf eine Zahl guckt, verdient es nicht anders.

[Johann67] Fast schon schade, dass The Good Old Days nur Gesamtwertungen vergibt ;)

Übersetzt von Mr Creosote

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