Tenth Plague
für Interpreter (Z-Code)

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Mr Creosote:
Firma: Lynnea Dally
Jahr: 2011
Genre: Adventure
Thema: Umsetzung eines anderen Mediums / Horror / Mythen und Sagen / Textbasiert
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 14501
Rezension von Mr Creosote (11.10.2011)
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Eigentlich dachte ich immer, in einem aufgeklärten Land zu leben. Doch dann kam ein gewisser Papst hierher und alle drehten durch; man konnte keine Nachrichten mehr anschauen oder auch nur eine Zeitung lesen – alles aufgrund eines alten Manns in einer albernen Kutte. So schnell der Wahnsinn die Menschen befiel, so schnell verschwand er zum Glück auch wieder. Doch er schwelt weiter unter der Oberfläche bis zur nächsten Gelegenheit. Doch im Vergleich zum Großteil der restlichen Welt darf man sich wohl immer noch glücklich schätzen; zumindest spielt Religion hier im täglichen Leben überhaupt keine Rolle. Sie taucht weder im privaten Bereich, noch in den Medien in entscheidend exponierter Stelle auf; woran man glaubt oder nicht glaubt, interessiert niemanden.

Wie anders das anscheinend auf der anderen Seite des Atlantiks ist, bekommt man jedes Jahr in der IF Comp vor Augen geführt: Jahr für Jahr kämpft man sich dort durch religiös motivierte Spiele. Einige davon erträglich, teilweise sogar gut, aber manche Spiele sind einfach jenseits der Erträglichkeitsschwelle, so schlimme Propaganda oder Sybolik enthalten sie. Tenth Plague hebt sich insofern von den typischen religiösen Spielen ab, dass es mit der Geschichte des sogenannten alten Testaments, die es sich zur Quelle nimmt, kritisch umgeht.

Das leitet jedoch direkt zu einem anderen Effekt über: Wie geht man am besten gegen Elemente der Gesellschaft vor, die einem nicht gefallen? Nicht durch aktives „Kämpfen“, sondern durch Ignorieren. Nehmen wir mal als offensichtliches Beispiel die „Bild“-Zeitung: Dass dort immer wieder Halbwahrheiten oder sogar offensichtliche Lügen gedruckt werden, ist wohlbekannt. Nun gibt es dieses „Bildblog“, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, all das im Detail aufzudecken. Zugegebenermaßen ist das teilweise wirklich unterhaltsam zu lesen. Doch was ist eigentlich das Ziel? Leute, die „Bildblog“ lesen, wissen ohnehin, was für ein Schrott jene Zeitung ist. „Bild“-Leser dagegen schauen nicht bei „Bildblog“ rein. „Konvertiert“ wird dort also niemand. Der einzige Effekt ist, dass „Bild“ zusätzliche Aufmerksamkeit geschenkt wird, die es gar nicht verdient. Und Aufmerksamkeit ist im Medienbereich die Währung.

Nach diesem Ausflug in allgemeinere Themen kommen wir mal zu Tenth Plague, jenes Spiel, dass es bei mir thematisch entsprechend schwierig haben wird. Man spielt einen biblischen Rachegeist, der die „zehnte Plage“ über die Bewohner des alten Ägypten bringen soll. Kurze Rekapitulation für diejenigen, denen das in der Schule erspart geblieben ist: Das Volk der Juden wurde laut Bibel in Ägypten als Sklaven gehalten. Der Pharao verweigerte ihnen die Ausreise. Also brachte der jüdische Gott zehn Plagen über das Establishment herein; die zehnte war der „Tod des Erstgeborenen“. Also ist es die Aufgabe des Spielers, den jeweils erstgeborenen Sohn jeder „ungläubigen“ Familie zu ermorden. Von vornherein keine besonders nette Aufgabe und das Spiel verlegt sich darauf, weitere Details bezüglich der recht willkürlichen Grausamkeit dieser Geschichte herauszustellen.

Der Tonfall des Spiels ist der einer düsteren Horrorstory. Während einen die Menschen anflehen, ihre Kinder zu verschohnen, zeigt man natürlich keine Gnade (es sei denn, man möchte das Spiel bewusst verlieren) und ermordet ein Kind nach dem anderen, wenn vom Spieler gewünscht und vom Spiel vorgesehen auf besonders grausame Weise. Der Schreibstil ist bewusst nüchtern, was für die Entwicklung wirklich effektiven Horrors natürlich die richtige Wahl ist. Die optional einblendbaren Autorenkommentare (sehr gute Funktion!) erzählen davon, dass im ersten Entwurf der Erzähler eher einem typischen Comicbösewicht glich – etwa im Stil von DCs Spectre in den 70er Jahren. Ich persönlich hätte das durchaus bevorzugt, da das Spiel sich damit einen Schritt weiter von ernsthafter Behandlung religiöser Themen entfernt hätte, aber die Argumentation in die andere, im finalen Produkt vorzufindende Richtung ist natürlich nachvollziehbar.

Spielerisch gibt es leider nicht so viel Futter zur detaillierten Diskussion. Tenth Plague schreitet vollständig linear voran. Jedes Haus beinhaltet genau ein geplantes Mordopfer, das man „abarbeiten“ muss, bevor man weiterziehen darf. Jede dieser Aufgaben ist spielerisch in sich abgeschlossen. Es beschränkt sich also allgemein darauf, immer wieder einen Weg ins Haus zu finden und dort den Widerstand der Verwandten der Zielperson zu überwinden. Es ist das inhärente Problem des Superheldengenres: Vor welche Probleme könnte man ein beinahe unendlich mächtiges Wesen überhaupt stellen?

Das Spiel ist in seiner Gesamtheit schwierig zu bewerten. Versuchen wir es mal so objektiv wie möglich: Das Spiel ist in seiner moralischen Zielrichtung sympathisch, auch wenn ich persönlich die Methode wie ausgeführt hinterfrage. Seine Kürze und spielerisch flache Umsetzung sind keine erwähnenswerten Stärken. Die relativ gründliche technische Umsetzung kann dagegen punkten. Einen Bonus gibt es darüber hinaus für den Mut, den Spieler in die Rolle eines vollkommen kaltherzigen und absolut gnadenlosen Bösewichts zu stecken. Alles in Allem nennen wir es also einfach mal durchschnittlich. Der nächste, der mir ein Spiel auf der Basis einer Bibelgeschichte unterjubeln möchte, insbesondere wenn es um biblische Plagen geht, sollte es verdammt nochmal lieber so unterhaltsam wie die Dr.-Phibes-Filme sein – sonst gnade ihm sein Gott!

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