Versailles
für PC (DOS)

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Seth:Besucherwertung:
4/6
Firma: Cryo
Jahr: 1997
Genre: Adventure
Thema: Lernspiel / Historisch / Krimi
Sprache: Français, English, Castellano, Other
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 17774
Rezension von Seth (28.05.2012)

Für diejenigen, denen die Realität manchmal zu langweilig wird, können Computerspiele als „Notausstieg“ dienen. Die meisten nehmen Spiele einfach als solche: Für diese Menschen wäre es genauso unterhaltsam, sich ihre Zeit mit einem zufällig bereitliegenden Kreuzworträtsel zu vertreiben. Doch es gibt auch Menschen, die wirklich mal gerne für ein oder zwei Stunden (oder in Extremfällen auch ein oder zwei Monate) das tagtägliche Leben mit all seinen „Problemen“ vergessen möchten: die Rechnungen, die anstehende Arbeit, der noch rauszubringende Müll… All die so fordernden Abenteuer des sogenannten modernen Lebens.

Für diese Menschen sind Spiele die Möglichkeit, in ein anderes Leben einzutauchen: Also wirklich zu glauben, dass sie an den Geschehnissen auf dem Bildschirm teilnehmen. Das nennt man „Immersion“. Für die Spieler, die sich derart in gute Spiele hineinversetzen wollen, ist die Omni-3D-Reihe von Cryo ein Segen. Doch Versailles im Speziellen ist ein besonderer Fall, da man, wenn man mit geschichtlichen Themen nichts anfangen kann, sich gepflegt langweilen wird.

Der Spielort: Das Frankreich Ludwig des XIV. auf der Höhe seiner Macht, circa 1680. Der Plot entfaltet sich im königlichen Palast von Versailles, wo man die Rolle eines aus einer ganzen „Armee“ von Kammerdienern, die sich um die Bedürfnisse der hochwohlgebohrenen Bewohner kümmern, übernimmt. Es beginnt damit, dass Monsieur Bontemps (der persönliche Diener des Königs und damit Vorgesetzter des sonstigen Personals) einen Brief findet, der die Sicherheit des Palasts sowie all seiner Insassen bedroht. Ein Staatsstreich? Ein Anschlag auf das Leben des Königs? Ein misslungener Scherz? Das weiß niemand, und Monsieur Bontemp hat nun wirklich wichtigere Dinge zu tun – wie beispielsweise den König zu wecken und ihn zum Frühstückstisch zu führen – so dass er sich keinesfalls um die Sache kümmern kann (das ist nicht sarkastisch gemeint). Deshalb fällt die Aufgabe herauszufinden, was dahintersteckt, zum Spieler.

Was sollte das mit den „wichtigeren Dingen“ bedeuten? Das bezieht sich auf die Äußerung zum historischen Interesse. Der riesige Hofstaat von Versailles dreht sich ganz um den König, wie Planeten um die Sonne. Protokoll- und Etikettefragen bestimmen den Tagesablauf und jede Lebensäußerung des Königs wird zur Zeremonie, selbst wenn es nur darum geht, einen kleinen Snack einzunehmen. Warum? Weil es eben so ist. So funktioniert nun mal eine absolutistische Monarchie, wie wir ja alle in der Schule gelernt haben: Die Herrscher der frühen Neuzeit ließen sich fast wie Götter behandeln, um die Macht wiederzuerlangen, die ihnen am Ende des Mittelalters verlorengegangen war (übrigens eine wirklich bescheuerte Bezeichnung für eine historische Epoche). Darin liegt die Magie von Cryos Versailles: Es ist historisch sehr exakt und wenn man sich ein bisschen mit der damaligen Gesellschaft auskennt, wird man es lieben.

Bedeutet das, dass man den ganzen Tag dem König beim Essen zusehen muss usw.? Nein. Man läuft stattdessen im Schloss umher, das in schöner 3D-Grafik nachempfunden wurde, und beschäftigt sich mit den üblichen Aktivitäten eines Grafikadventures. Man unterhält sich mit anderen Bewohnern und nimmt am täglichen Leben des Palastes teil, während man sich bemüht, den nächsten Hinweis zur Verhinderung der Katastrophe zu entschlüsseln. Man wird im Spiel mit authentischer Musik der Zeit von barocken Komponisten wie Jean-Baptiste Lully verwöhnt, Werke, die besonders beeindruckend und stimmungsvoll sind. Schade, dass Cryo diese Musikstücke nicht in einer Frequenz von 44100Hz einbauen konnte, aber trotzdem ist es schon wirklich schön.

Dazu kommt Cryos Omni-3D-System, das einem wirklich das Gefühl gibt, sich direkt im Geschehen zu befinden. Im Prinzip handelt es sich um ein System, das einem frei die gesamten 360° der gesamten Umgebung darstellt. Die Umgebung ist dabei zwar größtenteils statisch, doch die Engine wurde später noch verbessert, um sich bewegende Tiere, Menschen und Objekte in den Nachfolger, Versailles II: Testament of the King, einzubauen.

Während man also durch die Gänge streift, lernt man eine Menge über die Zeit, die Menschen, Orte und den Hof allgemein. Man kann sich förmlich in den zahlreichen Kunstwerken (Gemälde, Skulpturen usw.), die die königlichen Gemächer schmücken, verlieren. Ebenfalls sehr positiv ist, dass die Bewegungsfreiheit nicht durch den Fortgang der Geschichte eingeschränkt wird. Bevor man jener anfängt zu folgen, sollte man ohnehin erstmal einen Erkundungsgang machen, um sich mit der Umgebung vertraut zu machen.

Die „Réunion des Musées Nationaux“ Frankreichs war in der Produktion des Spiels involviert und so ist die Qualität der Reproduktionen sowie die Richtigkeit der Informationen garantiert. Versailles hat all die Elemente, die für eine wirklich ergreifende Erfahrung notwendig sind, ob es einem nun ums Spielen oder das Lernen historischer Fakten geht. Um noch mehr aus dem Spiel herauszuholen empfehle ich darüber hinaus als begleitende Lektüre das hervorragende Buch Die höfische Gesellschaft von Norbert Elias, das einem die Logik, die die europäischen Monarchen der Neuzeit ausmachte, nahebringt.

Übersetzt von Mr Creosote

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