Ollie Ollie Oxen Free
für Interpreter (Glulx)

Herr M.:Mr Creosote:Gesamt:
5/6
Firma: Carolyn VanEseltine
Jahr: 2013
Genre: Adventure
Thema: Sonstige Fantasy / Krieg / Textbasiert
Sprache: English
Lizenz: Freeware
Aufrufe: 26182
Rezension von Mr Creosote, Herr M. (31.10.2013)
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[Herr M.] Ollie Ollie Oxen Free, hinter diesem (für alle die ohne englische Kinderreime aufgewachsen sind) leicht kryptischen Titel, verbirgt sich ein Versteckspiel der besonderen, leicht makaberen, Art: Die Schule, in der man als Lehrer angestellt ist, wird aus heiterem Himmel, von unbekannten Agressoren angegriffen. Kurz darauf findet man sich in der misslichen Lage wieder, in stark geschwächter Verfassung unter den Trümmern nach seinen Schülern zu suchen.

[Mr Creosote] Ich habe erstmal ordentlich aufgeatmet, als mir klar wurde, dass es im Spiel keinerlei Rolle spielen würde, wer da wen warum angreift. Peinliche politische Propaganda bleibt uns also erspart. Stattdessen geht es einfach um Menschen in Gefahr – das ist weltanschaulich universell.

[Herr M.] Dieser Verzicht, zusammen mit dem Fokus auf das tatsächliche menschliche Elend in einer solchen Notlage ermöglicht einen leichten Einstieg und hat auch gleichzeitig etwas ungemein fesselndes an sich. So ärgert man sich weniger darüber, dass man angegriffen wurde, sondern macht sich eher Sorgen darum, was denn mit den Kindern geschehen ist.

[Mr Creosote] Wir sollten wohl noch erwähnen, dass es sich um eine Grundschule handelt. Die Kinder sind also wirklich noch sehr kindlich und entsprechend hilflos. Erstmal muss man sie ja überhaupt aufspüren und einige der Hindernisse, die einem dabei im Weg stehen, mögen erstmal etwas konstruiert erscheinen. Ein Mädchen will beispielsweise nicht mitkommen, weil ihr Kuscheltier unter einem Tisch eingeklemmt ist. Doch für das Alter dieser Kinder ist sowas gar nicht mal so absurd. In diesem Alter fehlt den meisten Kindern noch die Fähigkeit, sich abstrakt den Horror einer solchen Situation auszumalen. Entsprechend haben sie es schwer, Wichtiges und Unwichtiges abzuwägen.

[Herr M.] Die Hindernisse an sich wirken (anfangs) vielleicht weniger absurd, als wie man damit umgehen kann. Wann immer man irgendetwas zu tun gedenkt, kommt in mehr oder weniger direkter Form die Antwort, dass man dafür zu schwach ist. Was bei einer am Boden liegenden Tafel noch halbwegs plausibel erscheint, wirkt bei Büroklammern dann doch ein wenig merkwürdig. Sobald man dies aber akzeptiert hat, erkennt man wie der Hase läuft: Die Hindernisse sind nicht aus purem Sadismus für den eigenen Charakter so unbeweglich, sondern weil mehr Wert auf eine besondere Form der Interaktion mit seiner Umwelt gelegt wurde.

Auftritt der Protagonisten

[Mr Creosote] Die Spielidee ist nämlich, dass man, statt selbst Hand anzulegen, sein Team aus Kindern herumkommandiert. Wobei viele Aktionen von beliebigen durchgeführt werden können, einige aber besondere Fähigkeiten benötigen.

[Herr M.] Und manche der Aufgaben können sogar nur im Team gelöst werden. Gerade dieses hohe Maß an Zusammenspiel macht den besonderen Reiz dieses Spiels aus. Dass die Kinder einen teils sehr ausgeprägten Charakter haben, also über das einfache Opferdasein hinauswachsen, macht das ganze umso interessanter.

[Mr Creosote] Absolut. Mit ihnen zu interagieren macht Spaß, da man immer wieder interessante Reaktionen bekommt. Selbst der Humor kommt dabei nicht zu kurz, was trotz der ernsten Grundsituation bestens funktioniert!

[Herr M.] Das mag vor allem daran liegen, dass der Humor nicht allzu platt ist und relativ natürlich wirkt. Meist lächelt man über die kindliche Naivität der Schüler, die den Ernst der Lage eben noch nicht ganz begreifen können, denen andere Dinge (wie der erwähnte Stoff-Hase) eben wichtiger sind. Meine Lieblingsstelle ist beispielsweise eine Tafel, auf der so gut wie alle Schüler etwas kritzeln, wenn sie davor stehen. Da waren ein paar echt amüsante, aber auch rührende Sachen dabei.

[Mr Creosote] Man könnte also sagen: Den Kindern wird eine große Menschlichkeit verliehen, die sich nicht zuletzt in ihren Beziehungen zueinander zeigt; denn Menschen sind eben nicht nur Objekte, die man mechanisch-beliebig einsetzen kann, sondern es bedarf einer zusätzlichen logischen Ebene, das Spiel mit ihrer Hilfe zu lösen. Ob es nun der Junge ist, der auf Teufel komm raus nicht ein anderes Mädchen an die Hand nehmen will oder das Mädchen, das sich weigert, ihre Besitztümer anderen auszuleihen.

[Herr M.] Ja, jedes der Kinder ist tatsächlich ein Individuum, unterscheidet sich von den anderen und erkennt auch die anderen Kinder. Größtenteils wurde das geschickt dazu verwendet die Rätsel des Spiels darauf aufzubauen, so dass diese Lebendigkeit nicht nur zu einem netten Gimmick verkommt. Wo man beispielsweise bei einem gebrochenen Bein normalerweise einfach ein paar Sachen zusammenträgt und dann das Bein halt schient, spielt sich das hier als komplexes Wechselspiel zwischen den kleinen Protagonisten ab.

[Mr Creosote] Es ist interessant, dass du in diesem Zusammenhang die Kinder als Protagonisten bezeichnest. Rein spieltechnisch sind sie das nämlich ja gar nicht. Doch durch seine körperliche Einschränkung tritt der Lehrer tatsächlich aus dieser Rolle weitesgehend zurück.

[Herr M.] Streng genommen ist der Lehrer eigentlich nur eine Art Zwischenebene, ein Sprachrohr für den Spieler, der damit die eigentlichen Figuren „steuert“. Das äußert sich am markantesten darin, dass sobald man einmal den ersten Schüler befreit hat, fast 99% aller restlichen Befehle, die man eintippt, sich auf Anweisungen an die Schüler beschränken.

[Mr Creosote] Ja, er ist eher eine Art Regisseur, kommt damit also der Identität mit der klassischen Spielerrolle näher als sonst in solchen Spielen üblich.

Was zu tun ist

[Herr M.] Doch so gut die Idee und der damit verbundene Aufbau der Rätsel auch sein mögen, so bringt es leider auch eine der (wenigen) Schwächen des Spiels mit sich: Das Herumdirigieren erfordert eine Menge zusätzlicher Befehle, die durch häufige Wiederholung ein wenig ermüdend werden.

[Mr Creosote] Was das Spiel ganz klar verletzt, ist der Grundsatz, die Umsetzung einer Rätsellösung, sobald man sie gefunden hat, so einfach wie möglich zu machen. Mehrfach müssen beispielsweise sperrige Gegenstände transportiert werden. Es ist jedoch nicht möglich, den Kindern einfach zu sagen, in welchen Raum sie sie bringen sollen, sondern man muss sie aufwändig Schritt für Schritt alles atomar durchführen lassen.

[Herr M.] Schon das Bewegen der Kinder selbst kann, je nachdem wie sehr man als Spieler gewillt ist das ganze zu optimieren, tatsächlich sehr mühsam werden. Wie oben schon erwähnt, kann man ihnen sagen sich an den Händen zu halten, dann bewegen sie sich automatisch mit den anderen oder mit dem Lehrer mit. Dazu muss man aber jedem Kind einzeln ein anderes zuweisen. Dazu kommt, dass manche andere nicht anfassen wollen, und eines der Kinder ihre geliebtes Kuscheltier immer in der Hand halten will (von den restlichen Gegenständen, die man ihnen sonst so in die Hand drückt, vorerst ganz zu schweigen). Die Alternative ist, jedem einzelnen Kind zu sagen in den nächsten Raum zu gehen. Die Möglichkeit allen Kindern auf einmal einen Befehl zu geben, wäre sicher nicht verkehrt gewesen.

[Mr Creosote] Man könnte es wohl so zusammenfassen: Obwohl Ollie beinahe vollständig aus solchen Fremdhandlungen besteht, definiert es keine neue, diesbezüglich optimierte Spielmechanik, sondern setzt ganz auf das altherrgebrachte Eingabeschema für Befehle.

[Herr M.] Was zwar den Einstieg erleichtert, aber gegen Ende, wenn man die ganze Gruppe zusammen hat, doch ein wenig zu wünschen übrig lässt. Wirklich hinderlich ist es aber nicht, eher lästig. Die Frage ist auch, wie man es hätte besser machen können?

[Mr Creosote] Bei Gruppenanweisungen hätte man immerhin „Kinder“ als gemeinsame Ansprache zulassen können. Insbesondere dann, wenn man bei Anweisungen an Einzelne ohnehin die Rückmeldung bekommt, dass dieser eine *und ein anderer* folgendes tun...

[Herr M.] Stimmt, das habe ich oben auch selbst schon vorgeschlagen. Vielleicht hätte auch die ein oder andere kleinere Änderung am Rätseldesign (weniger lange Wege) geholfen.

[Mr Creosote] Alles in Allem sind das jedoch Details. Wer sich davon abschrecken lässt, der muss schon generell ohne viel Motivation in dieses sehr schöne Spiel hineingekommen sein!

[Herr M.] Wobei nicht nur die Charaktere und deren Dynamik sehr gelungen sind, ich fand auch die Rätsel selbst schön knifflig, allerdings (mit ganz wenigen Ausnahmen) durchaus nachvollziehbar und selten aufgesetzt.

[Mr Creosote] Die Rätsel fand ich ebenfalls gelungen. Nicht nur, weil sie logisch, aber trotzdem nicht immer offensichtlich sind, sondern auch, weil ich wirklich nicht erwartet hätte, wie stark sich der „Einsatz“ von Menschen dann doch von der Manipulation lebloser Objekte unterscheidet. Das ist bislang nur wenigen Spielen, die ich kenne, gelungen!

[Herr M.] Man merkt es diesem Spiel wirklich an, dass dieses Alleinstellungsmerkmal, und wie man es am besten zur Geltung kommen lässt, sehr gut durchdacht wurde. Unter anderem daran, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, Dinge auszuprobieren, ohne gleich etwas für die „Lösung“ notwendiges zu tun. Gerade bei einer solch ungewöhnlichen Herangehensweise ist das ja sehr willkommen.

Übertriebenes Ende

[Mr Creosote] Also ein beinahe ausnahmslos positiver Gesamteindruck, bis… ja, bis man dann zum Schluss kommt, der leider in sehr kitschige Gefilde abgleitet.

[Herr M.] Man kann vielleicht schon ahnen, wie die Geschichte ausgeht (ich hatte da von Anfang an so meinen Verdacht), aber die tatsächliche Form… nun es ist nicht so schlimm, dass man es vielleicht bereuen würde das Spiel so weit gespielt zu haben, aber ein wenig unzufrieden stimmt es schon.

[Mr Creosote] Vor Allem sind es ja gleich mehrere Hämmer auf einmal. Nur die Begründung dafür, dass der Lehrer solche Probleme hatte, selbst einzugreifen – unnötig, aber auch unkritisch. Schlechte Stimmung machte mir eher dieser auf Pseudoanspruch getrimmte Kram mit seinem toten Ehemann. Das war doch nun ein spannendes Spiel bis dahin, das irgendeine gesellschaftpolitische Aussage überhaupt nicht brauchte!

[Herr M.] Für sich genommen wären die einzelnen Themen sicher interessant, aber es ist dann vielleicht echt ein wenig zu viel auf einmal.

Wobei ich gerade den letzteren, also den Ehemann nicht so überraschend fand, weil ich das vorher schon mitbekommen hatte als ich einem der Mädchen sagte es solle die Batterien aus der Taschenlampe entfernen („Ashley, remove batteries“), worauf ich eine Standpauke erhielt, dass schwule Lehrer gerne mit Pädophilen verwechselt werden und ich mir daher meine Aktionen besser überlegen sollte… :) Nachdem es aber nicht so arg herausgestrichen wurde, sogar (abgesehen von erwähnten Bug) relativ normal und unaufgeregt damit umgegangen wurde, hat es mich nicht erschüttert.

[Mr Creosote] Das wäre meines Erachtens auch durchgehend der richtige Weg gewesen: Der Lehrer kann ruhig schwul sein. Da waren ja auch bereits in den ersten Zügen Andeutungen drauf. Doch dann wäre es doch viel implizit aussagekräftiger, das wie selbstverständlich zu behandeln, anstatt am Ende großes Hurra darum zu machen! Gerade dieses große Betonen und darauf herumreiten gibt der Sache wieder vielmehr den Anschein, dass da wohl doch etwas nicht „mit stimmt“, weshalb es immer wieder gerechtfertigt werden muss.

[Herr M.] Das große Hurra kommt sicher auch von der ein wenig seltsamen Auflösung. Vielleicht wäre es besser gewesen ein wenig früher Auszublenden. Manchmal ist das Mysterium eben um einiges spannender als dessen Auflösung. Die hier wirklich enttäuscht (unabhängig von den damit verbundenen politischen Aussagen).

[Mr Creosote] Für mich wirkt es wie der misslungene Versuch, dem Spiel noch „Bedeutung“ zu verleihen. Was unnötig war. Wie du bereits sagtest, es verdirbt einem nicht den rückblickenden Spaß, den man mit dem Spiel hatte, aber es ist einfach schade.

[Herr M.] Nun, bis auf diesen Ausrutscher findet die Geschichte ja durchaus ein rundes und ansonsten auch befriedigendes Ende. Es wäre sicher auch ohne gegangen, aber vielleicht auch schlimmer (ein Enthüllen der Angreifer etwa?).

[Mr Creosote] Zugegeben, das hätte den sauren Geschmack noch deutlich getoppt.

[Herr M.] Also ich würde ja jedem raten sich selbst ein Bild davon zu machen, was wir hier ein wenig kryptisch andeuten. Der Weg dorthin weiß garantiert zu unterhalten und brilliert mit einem (für Textadventure) einzigartig gut umgesetzten Konzept und wirklich liebevoll gestalteten Charakteren. Das Ende kann man ja ausblenden (oder gerne auch in den Kommentaren zereissen/verteidigen). Hier gilt eben: Der Weg ist das Ziel.

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