St. Thomas
für Amiga (OCS/ECS)

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Mr Creosote:
Firma: Sphinx / Rainbow Arts
Jahr: 1994
Genre: Strategie
Thema: Geschäftswelt / Historisch / Schifffahrt / Piraten / Logistik
Sprache: Deutsch
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 1097
Rezension von Mr Creosote (16.09.2023)
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Errol Flynn durchstreift die Karibik mit seiner Bande Freibeuter. Gegen Basil Rathbone kommt es zum Fechtkampf, um Olivia de Havilland aus den Klauen des bösen Piraten zu befreien. Später müssen zwei Kriegsschiffe gleichzeitig bekämpft werden. Und schließlich, nun unter englischer Flagge, überrennt er die französische Garnison in Port Royal. Die Inspiration eines nicht ganz unbekannten Spiels namens Pirates! Das die Geschichte als episches Abenteuer eines heroischen Individuums inszeniert. Niemand hat dagegen nach einer Verfilmung der „Abenteuer“ von Lionel Atwill, des ursprünglichen Gouverneurs der Kolonie, verlangt. Eine Woche im Leben des Verwaltungschefs? Doch genau das hat ein deutsches Entwicklerteam hier versucht.

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Immerhin haben sie sich in diesem Rahmen eines recht originellen Unterszenarios angenommen. Man übernimmt die Rolle des Gouverneurs der winzigen preußischen Kolonie St. Thomas. Diese war von der dänischen Krone gepachtet und wurde historisch vor allem als Umschlagplatz für Sklaven genutzt. Als sich ein paar Jahrzehnte später die Prioritäten des Heimatlandes änderten, war das Überseeabenteuer beendet. Die Preußen hinterließen keinen bleibenden Eindruck in der Region, hatten aber zumindest eine Zeit lang versucht, in der ersten Liga mitzuspielen.

Sphinx, die Entwickler des Computerspiels St. Thomas, hielten sich ebenfalls nicht sehr lange im Geschäft. Keines ihrer Spiele ist groß im kollektiven Gedächtnis haftengeblieben. Dieses Spiel war bereits 1990 als „beinahe fertig“ angekündigt worden. Bis es dann vier Jahre später tatsächlich veröffentlicht wurde, hatte Sphinx in der Zwischenzeit ein paar andere Spiele gemacht. Danach hörte man nichts mehr von ihnen. Hatte Rainbow Arts sich einfach entschlossen, dieses Spiel unfertig herauszubringen? Direkt ersichtlich ist das im Spiel ist. Besonders durchdacht und optimiert wirkt es jedoch auch nicht.

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Im Kern handelt es sich – wie erwartet – um ein Handelsspiel. Hauptziel ist es, den zu der Zeit üblichen Dreieckshandel zu überwachen und auszuweiten. Konvoys von Handelsschiffen müssen organisiert werden. Idealerweise stellt man ihnen ein paar Kriegsschiffe zum Schutz gegen Piraten oder feindliche Seemächte zur Seite.

Doch auch lokaler Handel und die unterstützende Politik spielen eine Rolle. Verträge mit einflussreichen Händlern auf anderen Inseln oder militärische Abkommen mit anderen Gouverneuren zahlen sich früher oder später aus. Eine politische Hochzeit könnte die Bande noch enger gestalten. Und zuguterletzt, wenn alles andere scheitert, bleiben noch militärische Mittel. Halbverdeckt, indem man Freibeuter beauftragt, oder in Form ganz offener Invasion.

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Zugegeben, die erstmal negative Verwunderung über die einem zugedachte Rolle setzt die Erwartungen bereits niedrig an. Die Rolle des Underdogs zwischen all den Supermächten ist aber immerhin spannend. Selbst wenn darin ein typisch deutsches Zahlenspiel steckt, ist das Szenario nicht allzu schlecht. Man könnte daraus immerhin ausreichende Abwechslung ziehen.

Der erste Eindruck geht dann auch angesichts der überwältigend großen Anzahl der Untermenüs genau in diese Richtung. Immerhin ist das meiste erstmal ausgegraut, d.h. nicht direkt zugreifbar. Ansonsten wäre die Einstiegshürde wohl auch zu hoch gewesen. Mit steigendem Einfluss, sich ausbauender Macht, werden neue Optionen Schritt für Schritt freigeschaltet. Das ist als Idee erstmal gut. Bis einem aufgeht, dass das was später kommt, letztlich nur mehr vom Selben ist. Wie halt im deutschen Wirtschaftsgenre üblich.

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Die Versuche, es etwas aufzulockern, stammen praktisch 1:1 aus dem erwähnten Pirates! Natürlich gibt es Schwertkämpfe sowie Seeschlachten. Erstere leiden unter ihrem lahmen Ablauf und schlechter Steuerung. Letztere sind ironischerweise viel zu schnell. Unglaublich viel Zeit verbringt man in Verhandlungen mit anderen Charakteren. Was primär darauf besteht, deren bevorzugten Kommunikationsstil aus ihren Kurzbeschreibungen zu erraten. So versucht man, Politiker, Händler und Damen auf seine Seite zu bringen. Was sich alles sehr zufallsgesteuert anfühlt und eben überhaupt viel zu viel Zeit frisst. Doch ist das nicht in gewisser Weise praktisch der Vorgänger des Tanzspielchens, das später im Pirates!-Remake neu dazukam?

Die Minispielchen sind also weder spielerisch gut um umgesetzt, noch passen sie wirklich gut in die Rolle des Verwaltungsangestellten. Im Kern ist diese Rolle aber immerhin besser geeignet für ein Spiel, als filmisch umgesetzt zu werden. In diesem Sinne kann man St. Thomas als einigermaßen brauchbares Spiel mit einer schlimmen Bedienung bezeichnen, vielleicht für Fans geeignet. Neue Ideen bietet es nicht, aber es hat immerhin ein schönes Szenario. Letztlich wird ihm sein mangelnder Fokus zum Verhängnis. Seine Stärken sind nicht wirklich stark und selbst diese muss man erstmal unter einem Berg unvermeidlicher Beschäftigungstherapie finden. Was leider weder in Spiel noch Film unterhaltsam wäre.

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