Gamma Force in The Pit of a Thousand Screams
für PC (CGA)

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Mr Creosote:
Firma: Tom Snyder Productions / Infocom
Jahr: 1988
Genre: Adventure
Thema: Cartoon & Comic / Science Fiction
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 1655
Rezension von Mr Creosote (29.05.2021)
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Bitte lest zuerst den allgemeinen Artikel über die Infocomics.

Als Tom Snyder Productions die Prototypengine erstellte, aus denen die Infocomics erwuchsen, verwendeten sie ein paar Beispielbilder im Science-Fiction-Superheldenstil, um die technischen Möglichkeiten zu demonstrieren, jedoch ohne wirkliche Charakterdefinition (über Äußerlichkeiten hinaus) und ohne Geschichte. Nach der Einigung zwischen ihnen und Infocom zur Zusammenarbeit lag sofort die Idee auf dem Tisch, die – um einen heutigen Begriff zu verwenden – Assets zu verwerten. Gamma Force war geboren.

Amy Briggs hatte bereits ihre Kündigung bei Infocom eingereicht. So erhielt sie die undankbare Aufgabe, bis zu ihrem tatsächlichen Firmenaustritt eine Geschichte aus den vorhandenen Materialien zu ersinnen. In ihren eigenen Worten: „My task was to create a story from pre-existing images. […] I invented characters to fit their images, wrote the dialogue, and created some form of branching scheme that would logically and imaginatively encompass what was there already. […] My job was to crank something competent out, that could be sold as soon as possible.“ [„Meine Aufgabe bestand darin, eine Geschichte aus existierenden Bildern zu machen. […] Ich erdachte die Charaktere auf Basis ihres Aussehens, schrieb Dialoge und erstellte eine Art verzweigtes System, das logisch und fantasievoll das umfassen sollte, was es bereits gab. […] Mein Auftrag war, etwas kompetentes im Akkord zu produzieren, das so schnell wie möglich verkauft werden konnte.“]

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Wie in allen Infocomics rangiert die Grafikqualität zwischen schrecklich…

Sie fügt hinzu: “I wasn’t a comic reader and I didn’t grok the concept of issues and titles, etc.” [„Ich war keine Comicleserin und kapierte das Konzept von Serien, Ausgaben usw. nicht.“]

Was ihr allerdings geläufig war, ist das Konzept der klassischen Heldwerdungsgeschichte. The Pit of a Thousand Screams erzählt, wie Gamma Force, eine Dreiergruppe, sich fand und ihre Superkräfte erhielt. Ihre Anführerin ist Elena, an sich eine Prinzessin, die aber zu ihrem eigenen Schutz in einem abgelegenen Dorf aufgewachsen ist. Ihre Mitstreiter sind Ratchet und Eskobar, die vormals als Piloten für den bösen Nast (nomen est omen), ein vampirisch-magischer Tyrann, der einen Dune-ähnlichen Planeten unterjocht hat, arbeiteten. Eine Gruppe mystischer Kreaturen beauftragt die Gamma Force, die kosmische Balance zwischen Gut und Böse wiederherzustellen. Soweit so klassisch.

Sofort fällt ins Auge, wie extensive Verzweigungen das Spiel bietet. Praktisch die gesamte Geschichte ist eigentlich eine große Rückblende. Nimmt man diese erste Abzweigung in die Erinnerung nicht, dann läuft nach drei Minuten der Abspann mit einem etwas unbefriedigenden Versprechen eines nächsten Teils, ohne dass man die Charaktere überhaupt ansatzweise kennengelernt hätte.

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…und ok.

Selbst diese ausführliche Rückblende (d.h. die eigentliche Geschichte) besteht aus zahlreichen kleinen Schnipseln, die nicht unbedingt allesamt für sich gesehen verständlich sind. Es ist jetzt nicht Die Handschrift von Saragossa, aber trotzdem stellenweise schwierig zu folgen, auf welcher Erzählebene man sich eigentlich gerade befindet. Die Ästelstruktur stellt nicht einmal sicher, dass Charaktere überhaupt eingeführt werden, bevor man sie das erste Mal trifft, so dass Einiges nur dann vollständig erfassbar ist, wenn man vorher einen anderen Handlungsteil gesehen hat und es im Kopf zusammensetzt. Was immerhin möglich ist, denn alle Puzzlestücke passen zusammen und ergeben schließlich ein Großes und Ganzes, nachdem man sich geduldig durch alle Stränge gelesen hat, aber anders als in den anderen Infocomics erlebt man durch das exklusive Folgen eines oder zwei Strängen keine kohärente Geschichte.

Das ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits setzt es einen sehr engagierten Leser voraus, der wirklich willens ist, immer wieder zurückzuspringen und alle Abzweigungen systematisch mindestens einmal durchzugehen. Neueinsteiger in das Medium mag das abschrecken. Doch andererseits, wenn man schon interaktiv erzählen möchte, ist es dann nicht nur konsequent?

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Impliziter Humor wie hier, da der Bösewicht droht, eine Hundewelpe zu töten, ist selten in Gamma Force

Klar ist allerdings, dass Gamma Force in einigen Belangen zu weit geht im Versuch, die Engine auszureizen. Wenn in der Perspektive eines Wachroboters so wirklich gar nichts passiert, als einmal den Befehl zu befolgen, jemanden einzusperren, und dann herumzustehen, bis eine Superheldin auftaucht und ihn zerstört, dann ist das kein Kommentar auf oder Dekonstruktion des Genres, sondern eben nur wie ein Abfallprodukt; eingebaut, weil man konnte.

Viele dieser Beobachtungen können mittels der eingangs dargelegten Entstehungsgeschichte erklärt werden. Unter dieser Prämisse und unter Berücksichtigung der konzeptuellen Einschränkungen ist das Gesamtwerk ganz ansehnlich, bleibt jedoch im besten Fall auswechselbar und im schlimmsten Fall Stückwerk – je nach dem, wie viel Zeit man zu investieren bereit ist.

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